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Bericht:
Hansjörg
Hemminger
Podiumsdiskussion
"Design ohne Designer?"
Am 24.November 2009 im Staatlichen Museum für Naturkunde
Stuttgart
Die
Podiumsdiskussion im Stuttgarter Schloss Rosenstein 150 Jahre nach Erscheinen
von Darwins Hauptwerk "On the Origin of Species
" hatte einen passenden
Rahmen. Dort befindet sich die Ausstellung "Der Fluss des Lebens", in der
Darwins Werk und die heutige Evolutionstheorie vorgestellt werden.
(1) Unter dem an der Decke aufgehängten Modell
eines Finnwals versammelten sich neun Diskutanten und mehrere hundert
Zuhörerinnen und Zuhörer, für die der Saal schnell zu klein
wurde. Professor Martin Blum (Universität Hohenheim) eröffnete
die Diskussion mit einem Überblick über die Erfolgsgeschichte der
Evolutionstheorie seit Darwin und stellte klar, dass er (anders als die Vertreter
eines "intelligenten Designs" und einige darwinistische Extremisten) diese
Geschichte nicht als einen Angriff auf religiöse Überzeugungen
wahrnehmen könne. Er zitierte den Christen und ehemaligen Leiter den
"Human Genome Projects" Francis Collins mit dem Wort, dass es keine
seriösen biologischen Forscher mehr gebe, die Zweifel an der
Evolutionstheorie hätten.
Für "intelligentes Design" (ID) eröffnete Dr. Douglas Axe vom "Biologic
Institute", das Teil des "Discovery Institutes" in Seattle ist, die Debatte.
Er berief sich auf die nach seiner Ansicht bewiesene Tatsache, dass "funktionale
Information" ein Merkmal des Lebens sei, und dass funktionale Information
nur von Intelligenz produziert werde. Dieses Argument entwickelte er
während der Diskussion weiter, ohne auf Gegenargumente zu antworten
oder sie auch nur zu beachten. Dabei stützte er sich auf ein Werk von
Stephen C. Meyer, dem Mitgründer des Discovery Institutes: Signature
in the Cell - DNA and the Evidence for Intelligent Design (2009). Auch in
der folgenden Diskussion war lediglich "intelligent design" Gegenstand, der
Kurzzeit-Kreationismus wurde nicht angesprochen, obwohl mit Dr. Reinhard
Junker von "Wort und Wissen" ein Vertreter auf dem Podium saß.
Junker nutzte die Chance, die ihm das Ausbleiben kritischer Fragen nach der
Position von "Wort und Wissen" bot, und äußerte sich vor allem
zu Fachthemen, indem er für ein "intelligentes Design" der Bakterienflagelle
argumentierte und die so genannte "kambrische Explosion" in der
Paläontologie als ein Problem für die Evolutionstheorie darstellte.
Ausgerechnet er, der eigentlich kein Vertreter des ID ist, ließ als
Einziger erkennen, dass er wissenschaftliche Gegenargumente wahrnimmt und
sie zu bearbeiten sucht. Auch sein Detailwissen hob sich von den Allgemeinheiten
ab, die ansonsten für ID ins Feld geführt wurden, machte seine
Beiträge für das Publikum aber schwer verständlich.
Der Genetiker Dr. Wolf-Ekkehard Lönnig wiederholte demgegenüber
lediglich die Argumente für ID, die er in großer Breite im Internet
anbietet. Da er oberflächlich an die Evolutionstheorie anknüpft,
ohne wirklich auf sie einzugehen, wirkte er von allen Vertretern des ID am
plausibelsten auf das nur zum Teil fachkundige Publikum. Sein besonderer
Stil ist das Aneinanderreihen von scheinbar beweiskräftigen Zitaten.
Was in einem langen Internet-Text überzogen oder sogar lächerlich
wirkt, nämlich ein "Beweis durch Autorität", kam in Stuttgart gut
an - schon deswegen, weil niemand nachprüfen konnte, was die zitierten
Autoritäten (darunter Charles Darwin selbst) gesagt hatten oder hatten
sagen wollen. Lönnig dominierte die ID-Seite der Debatte, auch weil
Markus Rammerstorfer (Linz) nicht viel beizutragen hatte. Obwohl der Moderator
Stefan Zibulla ihm eine unfreiwillige Steilvorlage lieferte, indem er den
menschlichen Blinddarm als Beispiel für Dysteleologie (Flickschusterei,
unintelligentes Design von Merkmalen) einführte, entwickelte Rammerstorfer
kein eigenes Argument. Seine Entgegnung lief darauf hinaus, dass man wie
im Fall des Blinddarms (der in der Tat eine Funktion in der Immunabwehr und
bei der Erhaltung der Darmflora hat) irgendwann schon einsehen werde, dass
das scheinbar Unzweckmäßige an vielen biologischen Merkmalen doch
funktional sei. Danach verschwand er aus der Debatte. Die wurde auf
wissenschaftlicher Seite von dem Bemühen bestimmt, die Leistungen und
die verbliebenen Fragen der Forschung fair darzustellen.
Dr. Jürgen Kriwet behandelte das Thema der chemischen Evolution, also
den Übergang von abiotischen zu biotischen Strukturen, mit der Schilderung
der zahlreichen Modelle, die es dafür inzwischen gibt, aber auch mit
einem Hinweis auf die schwache Datenlage, was die tatsächlichen
Randbedingungen der chemischen Evolution auf der frühen Erde angeht.
Dr. Michael Maisch schilderte die Methodik der Paläontologie am Beispiel
der kambrischen Radiation, die Schwierigkeiten ebenso wie die großen
Erfolge seit Darwins Zeit. Er betonte, dass Darwins Problem der fehlenden
"missing links" längst keines mehr sei und erwähnte - unter dem
Modell des Finnwals sitzend - als Beispiel die nahezu vollständig fossil
belegte Evolution der Wale. Danach äußerte sich Professor Martin
Blum zu den eindrucksvollen Erfolgen der evolutionären Entwicklungsbiologie
(Evo-Devo) und griff das Beispiel der Lichtsinnesorgane auf, deren Entwicklung
im gesamten Tierreich und darüber hinaus von einer homologen genetischen
Regulation abhängt.
Es war typisch für die Diskussion, dass weder die geschilderten Fortschritte
der Paläontologie, noch die der kausalen Evolutionstheorie an den Argumenten
für ID etwas änderten. Das Kameraauge wird seit Darwin als ein
klassisches Beispiel für komplexe Funktionalität in der Biologie
und als Argument für "Design" benutzt. Dass wir heute relativ gut wissen,
wie selbst das Linsenauge der Säugetiere durch zunehmend komplexe
ontogenetische Prozesse in der Evolution zustande kam, entkräftet die
Kritik angeblich nicht. Dann hat der "Designer", so die Taktik, eben denselben
entwicklungsgenetischen Werkzeugkasten immer wieder dafür benutzt, Augen
zu konstruieren. Ebenso ändern immer neue, paläontologisch hervorragend
belegte Evolutionslinien nichts an dem Argument, ein "Designer" habe dabei
die Hand im Spiel.
Dr. Hansjörg Hemminger griff das ID-Standardargument der nichtreduzierbaren
Komplexität (zum Beispiel der Bakteriengeißel) auf. Sie besteht
aus mehreren Elementen, die alle vorhanden sein müssen, damit die Funktion
nicht ausfällt. Dass jedoch die fertige Struktur auf alle funktionalen
Elemente angewiesen ist, sagt nichts darüber aus, wie sie zustande kam.
Man muss den Prozess kennen, durch den die Geißel entstand, um etwas
über dessen Wahrscheinlichkeit sagen zu können. Modelle dafür
gibt es bereits. (2) Der Trick der ID-Literatur besteht
darin, einen unwahrscheinlichen Prozess so darzustellen, als sei er der einzig
mögliche, und ihn dann zu widerlegen. Dr. Axe demonstrierte diesen Trick
unfreiwillig, indem er berichtete, dass man in seinem Institut die menschliche
Sprache als Modell dafür benutze, "funktionale Information" im Genom
zu messen. Abgesehen davon, dass er eine Definition dieser Art Information
schuldig blieb, und für seine quantitativen Aussagen Bits benutzte,
die sicherlich nichts Funktionales messen, ist die menschliche Sprache aus
vielen Gründen ein denkbar schlechtes Modell für genetische
Information. Sie ist weit weniger redundant als das Genom, sie ist viel lage-
und kontextspezifischer, und ungerichtete Änderungen sind fast nie
bedeutungsneutral. Im Genom höherer Lebewesen ist das jedoch die große
Mehrheit. Kein Wunder, dass man mit dieser falschen Analogie zu falschen
Ergebnissen kommt. Aber Dr. Axe demonstrierte auch, dass es dem Discovery
Institute auf Wissenschaft nicht ankommt. Seine Argumente sind pure
Scheinwissenschaft, sie dienen dem medialen und politischen Schaulaufen,
sie sind Waffen im Kulturkampf der USA zwischen "Liberals" und "Conservatives".
Zum Glück, so muss man sagen, wirkten sie deshalb in Schloss Rosenstein
belanglos.
Zurück zur Naturwissenschaft: Dr. Mike Thiv nahm aus der Sicht eines
Botanikers zur Frage der Dysteleologie Stellung, und zum Schluss
äußerte sich nochmals Dr. Hansjörg Hemminger zur Grundsatzfrage
des "methodischen Naturalismus". Dieser beruht auf dreiGrundannahmen über
die Natur, nämlich dass es überhaupt eine Realität der Natur
außerhalb unseres Bewusstseins gibt (hypothetischer Realismus), dass
in ihr regelhafte Beziehungen von Ursache und Wirkung herrschen (kausale
Ordnung), und dass diese Ordnung in Raum und Zeit überall gilt, also
keine räumlichen und zeitlichen Grenzen hat (Kontinuität). Diese
Grundannahmen sind nicht naturwissenschaftlich beweisbar, sie sind die
Voraussetzung jedes Beweises und deshalb so etwas wie eine "minimalistische
Metaphysik". Diese ist aber alles andere als willkürlich. Deswegen ist
es ein Missgriff, metaphysische Erklärungen für das Wesen der Welt
in eine biologische Theorie einbauen zu wollen.
Der "intelligente Designer" von außen ist ein solcher Missgriff. Damit
wird die Naturwissenschaft nicht erweitert, sondern verhindert. Sie verliert
die methodische und logische Grundlage und damit ihre Konsensfähigkeit.
Dem widersprach besonders Dr. Wolf-Ekkehard Lönnig vehement und bezeichnete
es als ideologische Einengung des Denkens, wenn man Intelligenz als Ursache
biologischer Phänomene ausschließen wolle. An diesem Punkt zeigte
sich die Schwierigkeit besonders deutlich, komplizierte Sachfragen mit streng
kontrollierten Minuten-Statements auf einem so großen Podium abzuhandeln.
Es war zwar möglich, Lönnig zu entgegnen, dass nicht die Ursache
"Intelligenz" an sich ausgeschlossen werde, sondern die transzendente,
supranaturale Intelligenz, und auch nicht aus dem Weltbild, sondern lediglich
aus der biologischen Theorienbildung. Aber dieser zentrale Kritikpunkt an
ID ließ sich nicht wirklich entfalten, obwohl Professor Martin Blum
pointiert darauf hinwies, dass eine immanente Intelligenz als Faktor der
kausalen Evolution selbstverständlich berücksichtigt würde,
sollten die ID-Vertreter irgendwann eine Hypothese vorbringen, wo und wie
man diese Intelligent bzw. ihre Effekte empirisch zu untersuchen habe. Ohne
eine solche Hypothese sei die ID-Vorstellung wissenschaftlich leer, und alle
Beweise aus Nichtwissen, um die sich ID bemühe, gingen ins Leere.
Verständlicherweise behaupteten alle ID-Vertreter, ihr Ansatz sei
wissenschaftlich fruchtbar, konnten aber außerhalb ihrer Kritik an
evolutionsbiologischen Modellen nicht einmal den Anschein eigener Modelle
vorweisen.
Das Fazit der Veranstaltung war für den Berichterstatter zwiespältig:
Positiv ist hervorzuheben, dass der Ton sachlich blieb, und persönliche
Angriffe vermieden wurden. Nur Dr. Wolf-Ekkehard Lönnig fiel mit der
Behauptung auf, es habe Störungs- und Verhinderungsversuche von
Evolutionisten und Atheisten gegeben. Dem widersprach die Direktorin des
Museums, Frau Professor Eder: Es habe zwar Kritik an der Veranstaltung im
Internet gegeben. Aber dass jemand eine kritische Meinung habe, auch wenn
sie sachlich unfundiert sei, sei weder eine Störung noch ein
Verhinderungsversuch. Damit war auch dieser Ausrutscher in Richtung
Verschwörungsdenken erledigt. Es hätte auch keinen Grund gegeben,
den Auftritt der Befürworter eines "intelligenten Designs" zu verhindern.
Die wissenschaftlichen Gegenargumente wurden überzeugend vorgebracht,
und für Personen mit Sachkenntnis gab es einige Erkenntnisgewinne. Subjektiv
sah es nach einem Punktsieg für die Wissenschaft aus, aber diese Effekte
hingen von den Vorannahmen der Zuhörerinnen und Zuhörer ab. Der
Mut der Veranstalter ist jedoch an sich sehr anerkennenswert. Immerhin kann
man nun nicht sagen, die Kritiker hätten im Darwin-Jahr gar keine
Gelegenheit bekommen, sich öffentlich zu äußern. Auf der
anderen Seite ließ sich die Attraktivität der Pseudowissenschaft
"intelligent design" in einem solchen Rahmen kaum diskutieren, und wohl gar
nicht abbauen. Sie beruht nicht auf wissenschaftlichen, eigentlich auch nicht
auf philosophischen oder theologischen, Argumenten, sondern auf dem Wunsch
nach einem geschlossenen Weltbild, das Sicherheit vermittelt. Und dieser
Wunsch ist naturwissenschaftlich in der Form einer Debatte kaum
reflektierbar.
__________________________________
Fußnoten
(1) Ausstellungsband s. Schmid, U.; Bechly, G. (2009,
Hg.) Evolution - Der Fluss des Lebens. Staatliches Museum für Naturkunde,
Stuttgart.
(2) S. dazu Sikorski, J. (2009) Die bakterielle Flagelle
- Stand der Forschung zu molekularem Aufbau, Diversität und Evolution.
In: Neukamm, M. (Hg.) Evolution im Fadenkreuz des Kreationismus. Vandenhoeck
& Ruprecht, Göttingen, 262-301.
Hansjörg
Hemminger
© Hansjörg Hemminger
25.11.09