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Die Kontroverse um den Birkenspanner 'Biston betularia'

                                                                                                              

Aktueller Nachtrag zur "Fledermausfrage" und zur Selektion (HOOPER/LÖNNIG)

MAJERUS ist nach einer Diskussion mit HOOPER dem Einwand nachgegangen, daß Birkenspanner weitaus häufiger (zu etwa 90%) von Fledermäusen gefressen werden als von Vögeln. Gesetzt den Fall, die Fledermäuse würden die Motten nicht rein zufällig herauspicken, sondern bevorzugt bestimmte Morphen ausselektieren, könnte dies die selektionstheoretische Situation quantitativ beeinflussen, oder den Effekt des differenziellen Vogelfraßes sogar umkehren. Denn, so schreibt LÖNNIG:

"Viele Fledermäuse jagen bekanntlich mit Hilfe der Echoorientierung, mit welcher sie noch gespannte Drähte mit einem Durchmesser von nur 0,18 Millimeter genau orten und umfliegen können. 'Bei landbewohnenden Tieren sind diesem Ortungsprinzip jedoch aufgrund der schallleitenden Eigenschaften der Luft enge Grenzen gesetzt. Zum einen steigt mit zunehmender Frequenz der Schallimpulse deren Absorbtion durch die Luft, zum anderen nimmt die Intensität einer Schallwelle mit der Entfernung quadratisch ab' (Lexikon der Biologie; Herder/Spektrum). Gibt es irgendwelche geringfügigen Unterschiede zwischen den morphs, die Fledermäuse wahrnehmen könnten? Inwieweit könnte sich Luftverschmutzung durch sulphur dioxide and soot auf die Echoorientierung auswirken etc.? - Bei '90% of the predation of adult moths' sollten solche Fragen jedenfalls nicht vor vornherein abgelehnt werden."

                                         

MAJERUS hält diesen Einwand für wissenschaftlich unbegründet, hat aber dennoch im Juni diesen Jahres ein Experiment durchgeführt, um zu testen, ob die Fledermäuse irgendwelche Unterschiede zwischen den Morphen registrieren. MAJERUS gibt nach Auswertung seiner Experimente folgendes Resümmee:

"The questions that Hooper asked me about bat predation in her e-mail are given verbatim in (Box 3). My responses were given in a lengthy telephone conversation (...) I do not recall precisely what I said, but my preparatory notes on her e-mail are that Kettlewell's reasoning is correct, that the two forms are unlikely to differ in palatability or smell, but that scale types and pigments might affect sonar. I also explained Kettlewell's reasoning, and the flaw in Hopper's, in detail, by theoretical example. My example is cited by Hooper (2002).

'Say three hundred eggs are originally laid. Once you get to the adult stage, maybe you have ten left. Of these more than half are killed by things not hunting by sight, so say you have four moths left - two typical and two carbonaria. You must be prepared to say that none of the mortality prior to this is due to selection on colour pattern, no pleiotropic effects of alleles, no differences in palatability, no greater energetic costs in producing black pigment and so on. If so, then despite 296 moths being killed up to that point, if those two typicals are eaten by birds, you've increased carbonaria by a hundred per cent at one go.'

Hooper (2002) then asks 'Can we really be sure that bat predation is not selective, that there is not some yet unidentified difference between melanics and typicals that makes one morph more vulnerable to bats? Certain night-flying moths can dodge or jam bat sonar, according to several studies, and it is not known whether this ability is equally distributed'. This passage stretches the bounds of probability. Following this line of reasoning, the assumptions that we would have to make are that not only could bats distinguish between the forms by sonar, smell, taste or behaviour, but that the form that was taken more would vary geographically, and that this geographic variation was, by chance, strongly correlated to pollution levels. Although it seems unlikely to anyone who has observed bats feeding on moths around moth traps that the bats could be behaving differently towards different colour forms of a species, the test of Hooper's question about the 'need to do an experiment to rule out selective predation by bats', is not difficult to address. Thus, in June 2003, I conducted such an experiment.

Non-selective predation of peppered moths by bats:

Four hundred laboratory reared male peppered moth were released sequentially between 11 pm and 3 am over five nights, 20 m from a mercury-vapour light, in the grounds of the Genetics Field Station, Cambridge, being attended by pipistrelle bats. Equal numbers of f. betularia and f. carbonaria were released. The moths, which had all eclosed earlier on the day of release, were kept individually in Perspex boxes. These were numbered randomly and moths were released in numerical order. The bats were flying above the trap, taking moths flying in the area. Up to seven bats were observed feeding at a time. At 10 min intervals, five boxes were laid on the ground and opened. Moths were watched as they took flight, and followed by eye, with the help of night glasses, until they were lost from view, or were seen to be caught by a bat.  The results are given in Table 1. There is no significant difference in the numbers of the two forms that were caught by the bats. Bats do catch and eat peppered moths flying at night, but they do so randomly with respect to the forms of the moth."

(MAJERUS, 2003 b p.c.*)         

           

Das Ergebnis fiel also negativ aus, das heißt die Fledermäuse bevorzugten keine von beiden Formen. Damit scheint gegenwärtig festzustehen, daß die "bat predation" den differenziellen Vogelfraß nicht beeinträchtigt.

Da eine Wiederholung des Experiments in jedem Falle geboten erscheint, werden die Evolutionsgegner die Evidenz dieser Studie vermutlich nicht anerkennen. Eine gewisse Vorsicht ist sicherlich angebracht, doch es kann der generelle Skeptiker die Forderung nach noch "genaue(re)n Studien und Daten" auch ad infinitum weitertreiben und damit den Wert einer jeden Belegsituation beliebig herabmindern (wir haben in Abschnitt 7 darüber gesprochen). Wie die Kritiker reagieren werden, bleibt einstweilen abzuwarten.

                           

MAJERUSens Rechenexempel macht zugleich den oft gehörten Einwand der Evolutionsgegner zunichte, der darauf abhebt, daß der weitaus größte Teil der Individuen nicht durch gerichtete Faktoren (Selektion), sondern meist durch "unglückliche Zufälle" eliminiert würde. So greift neben HOOPER auch LÖNNIG diesen etwas in die Jahre gekommenen Vorwurf auf und betont in 'Natural Selection' (teilweise zitiert nach Litynski):

"Out of 120,000 fertilized eggs of the green frog only two individuals survive. Are we to conclude that these two frogs out of 120,000 were selected by nature because they were the fittest ones; or rather - as Cuenot said - that natural selection is nothing but blind mortality which selects nothing at all? (...) If only a few out of millions and even billions of individuals are to survive and reproduce, then there is some difficulty believing that it should really be the fittest who would do so."

(LÖNNIG, URL: http://www.weloennig.de/NaturalSelection.html)            

                                        

MAJERUS hält solche Einwände für wenig überzeugend und hat dies wie oben geschildert auch begründet. Der Denkfehler in LÖNNIGs (LITYNSKIs) Beispiel liegt darin, daß nicht erkannt wird, daß die 119998 zufällig eliminierten gegenüber den 2 überlebenden Fröschen gar nicht ins Gewicht fallen, weil der Zufall gar keine Verschiebung von relativen Genhäufigkeiten (Genfrequenzen) bewirken kann. Das heißt statistisch gesehen werden die Frequenzen immer wieder mehr oder minder genau auf das ursprüngliche Niveau "zurückgeregelt".

Nehmen wir an, in der Froschpopulation seien zunächst 50% "tüchtige" (Träger einer Genausprägung A) und 50% "untüchtigere" Exemplare (Träger einer Genausprägung B) vorhanden. In jedem Falle werden alle rein zufälligen Einflüsse, wie z. B. Naturkatastrophen mit 50%iger Wahrscheinlichkeit die tüchtigeren und mit 50%iger Wahrscheinlichkeit die untüchtigeren auslöschen, das heißt an den ursprünglichen Genhäufigkeiten ändert sich überhaupt nichts (vorausgesetzt, die Populationen sind hinreichend groß und der Einfluß der genetische Drift vernachlässigbar). Entsprechend werden auch bei einer 90/10-Verteilung die ursprünglichen Verhältnisse wieder erreicht.

Das "Finetuning" des Zufalls erfolgt dabei umso exakter, je größer die ursprüngliche Individuenzahl war. So wird bei 119998 aus 120000 zufällig zugrundegegangen Froscheiern das Verhältnis der Überlebenden viel präziser auf die ursprüngliche Relation (in unserem Beispiel 50/50 - gleichviel Tüchtige wie Untüchtige) zulaufen, als bei 98 aus 100 Eiern. Die "statistischen Abweichungen" werden gewissermaßen stärker geglättet, so wie die Wahrscheinlichkeit, daß unter 10 Milliarden radioaktiver Atomkerne nach Ablauf der Halbwertszeit genau 50% aller Kerne zerfallen sind, größer ist, als bei einer Handvoll von Atomen. Ganz analog ist davon auszugehen, daß von 296 aus 300 nichtselektioniert zugrundegegangenen Birkenspannern mit höherer Wahrscheinlichkeit zwei "typica" und zwei "carbonaria" übrigbleiben wird als bei einem Verhältnis von 6 aus 10.

                 

Von Bedeutung ist überhaupt nur, was nach "Abzug aller Zufallsgrößen" mit dem mehr oder minder genau auf die ursprünglichen Relationen (z. B.  50/50) "zurückgeregelten Rest" der Population passiert: Wenn nämlich von den 4 aus 300 überlebenden Birkenspannern die zwei bessergetarnten (z.B. die typica) durch Selektion (z. B. Vogelfraß) eliminiert werden, erhöht sich der Anteil der carbonaria in einem Schritt um 100% ("you've increased carbonaria by a hundred per cent at one go"!), und das "basic problem" mit den hunderten, tausenden, millionen oder gar milliarden zuvor zufällig ausgelöschten Individuen tritt gar nicht in Erscheinung.

                                                                                                                                      

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