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Die Kontroverse um den Birkenspanner 'Biston betularia'

- Die Evolutionsgegner: Besprechung der Kritiken von LÖNNIG und RAMMERSTORFER -

                                              

3. Die Debatte um den Ruheplatz der Birkenspanner

Über den Sinn und Unsinn der Rastplatzdiskussion

In der Fachwelt wird unter anderen die Frage diskutiert, in welchen Baumregionen die Birkenspanner tagsüber rasten. In den meisten Lehrbüchern wird - wie betont - noch immer die Ansicht gelehrt, daß sich die Nachtfalter überwiegend auf Baumstämmen (exposed trunk) aufhalten, weil sich das im Überblick beschriebene Anpassungsszenario am einfachsten mit dieser Position in Einklang bringen läßt.

Mittlerweile haben jedoch die Fachbiologen um MAJERUS herausgefunden, daß sich die Birkenspanner überwiegend im schattigen Blätterdach und weniger an exponierten Stellen des Baumstamms aufhalten. Die Evolutionsgegner schlußfolgern daraus den Zusammenbruch der Birkenspannergeschichte, das heißt es wird behauptet, daß der "Wechsel" des Rastplatzes vom Birkenstamm ins "Blätterdach" eine Umkehr der selektionstheoretischen Situation bewirkt oder zumindest bewirken könnte. Läßt sich diese Auffassung begründen oder ist der Rastplatz für die selektionstheoretische Rolle des differenziellen Vogelfraßes nach unserem bisherigen Kenntnisstand von untergeordneter Bedeutung?

Lesen wir zunächst, was die Evolutionskritiker zu sagen haben. LÖNNIG schreibt:

"Weiter können die Befunde zur selektionstheoretischen Situation von 'exposed positions on tree trunks' auch nicht einfach auf die Baumkronen ('Blätterdach'), genauer 'underneath, or on the side of, narrow branches in the canopy' übertragen werden. Oben hatte ich Majerus (1998, p. 123) mit dem Satz zitiert: 'If the relative fitness of the morphs of the peppered moth does depend on their crypsis, the resting position is crucially important to the estimation of fitness differences between the morphs.' "

"Nach den Abbildungen von Majerus scheinen mir die gescheckten (die typica-) Formen 'underneath, or on the side of, narrow branches in the canopy' wesentlich auffälliger zu sein als die carbonaria-Individuen. Die typica-Exemplare scheinen hingegen in exposed positions on birch trunks (Birkenstämmen in unpolluted woodlands) eine deutlich bessere Tarnung aufzuweisen als die gleichen auf kleinen Ästen im Blätterdach (auch auf kleinen Birkenästen!) (vgl. Majerus p. 122 und Plate 3a). D. h. die dunklen Birkenspanner sind im Blätterdach besser getarnt als die hellen. Auf den Baumstämmen hingegen verhält es sich genau umgekehrt!"

                 

Auch WELLS stellt zu dieser Frage folgendes fest (zitiert nach LÖNNIG):   

"Miller obtains his percentage by lumping together moths found on tree trunks with moths found hiding in 'trunk/branch joints' where horizontal branches meet the trunk. Since moths in trunk/branch joints are obscured from view, this category is usually omitted even by other defenders of the classic story, who limit themselves to combining moths on exposed and unexposed trunks to come up with a figure of 26%. And even the 26% figure is questionable, because it is not at all clear that 'unexposed trunks' are equivalent to exposed tree trunks in relation to the classic camouflage-predation story. If moths are hidden from view in cracks in the bark, does their color make any difference?"

                                    

Nun erscheinen kleinere Birkenzweige tatsächlich etwas dunkler als die Stämme. Darüber hinaus deuten sich infolge unterschiedlicher Abschattung der verschiedenen Rastplätzen auch graduelle Unterschiede zwischen den Selektionskoeffizienten an, wie auch MAJERUS hervorhebt.

Hier geht es aber zunächst einmal nur und ausschließlich um quantitative Fitneß-Unterschiede, woraus sich keinesfalls eine qualitative Änderung (eine völlige Umkehr) der selektionstheoretischen Situation schlußfolgern läßt, wie uns dies LÖNNIG nahe legen möchte. Das heißt mit anderen Worten: auch wenn die "typica-Exemplare" in exposed positions eine bessere Tarnung aufweisen als auf kleinen Zweigen im Blätterdach, folgt daraus nicht, daß die dunklen Birkenspanner im Blätterdach (auf unexposed trunks, branches, trunk/branch joints and in shadowed areas) generell besser getarnt sind als die hellen. Tatsächlich läßt sich eine solch radikale Umkehr der Situation überhaupt nicht begründen, im Gegenteil:

Jeder Leser kann sich ohne weiteres ad oculos selbst davon überzeugen, daß die meisten Äste (branches), die trunk/branch joints und erst Recht die nichtexponierten Baumstämme (unexposed trunks) - abgesehen eben von einigen kleineren Ästen und Zweigen, die (insofern hat LÖNNIG hier Recht) etwas dunkler erscheinen als die Stämme - genau dieselbe Textur besitzen, wie die exponierten Baumstämme (exposed trunks). Von kleineren Zweigen also abgesehen, deren Verhältnisse LÖNNIG einfach ganz generell auf alle anderen Baumregionen überträgt, ist die Situation hier nicht grundlegend anders: Eine typica wird selbstverständlich auch auf einem hellen Ast im Blätterdach besser getarnt sein als eine carbonaria. Der Unterschied besteht nur darin, daß sich die Fitneßunterschiede im Schatten verringern, woraus aber nicht folgt, daß die Verhältnisse umgedreht werden. Erst bei vollkommener Abschattung (Dunkelheit) wird es zu einer Nivellierung der Überlebensvorteile beider Morphen kommen, wobei allerdings selbst dann keine radikale (qualitative) Umkehr der selektionstheoretischen Situation erwartet werden kann.

Dies entspricht genau MAJERUSens Position, der auf eine über 40-jährige Erfahrung zurückblicken kann und mir in einer persönlichen Stellungnahme folgendes mitgeteilt hat (unten werden wir MAJERUS noch einmal im Gesamt-Zusammenhang zitieren):

"What one must ask oneself is what difference does it make if the moths rest on the underside of branches rather than on the trunks. Branches still vary in colour and pattern as a result of pollution. There may be a quantitative difference to fitness estimates, but there would not be a qualitative difference. All of this is reviewed in my book. Please read it. It was written in a scientific and objective manner, before the current controversy had arisen. Just so you know, I am in the middle of a three year long predation experiment that I hope answers all the criticisms of Kettlewell's methodology. The results should be published early in 2005. Perhaps then we can have an end to this ridiculous farce."

                                    

RAMMERSTORFER interpretiert MAJERUS jedoch ganz anders. Er stellt fest:

"Sind die Rastplätze der 'peppered moths' für die Selektionsfrage relevant? (...) MAJERUS (1998) sagt: 'If the relative fitness of the morphs of the peppered moth does depend on their crypsis, the resting position is crucially important to the estimation of fitness differences between the morphs.' (...) GRANT (1999,S.4) bestätigt das: 'Majerus sees it as 'crucially important' to learn the natural resting place of peppered moths if we are to assess fitness differences between the morphs based on crypsis. This seems reasonable'."

                          

Widerspricht sich hier MAJERUS selbst? Das ist keineswegs der Fall, denn RAMMERSTORFER begeht denselben Fehler wie LÖNNIG, hält die quantitativen Fitneß-Unterschiede (von nichts anderem spricht MAJERUS) für qualitative Differenzen oder hält zumindest beide Fälle nicht hinreichend auseinander. Selbst in der "kleinen" Studie von HOWLETT und MAJERUS, 1987, die LÖNNIG akribisch beschreibt, geht es immer nur um graduelle Fitneßdifferenzen und nicht um eine Umkehr der selektionstheoretischen Situation.

MUSGRAVE (http://members.tripod.com/aslodge/id77.htm) stellt ferner klar:

"Holwett and Majerus have done a pilot experiment comparing predation of moths on exposed trunks with predation of moths in shadow at trunk-branch junctions, the major resting site in their field observations (...) There was no statistically significant difference between the ratio of light to dark moths taken at trunk-branch junctions and the ratios taken on exposed trunks. The study was small, and a small difference may have been missed. However, the main conclusion we can draw is that Kettlewell's experiments are not invalid."

                                                                                                

Alle anderslautenden Behauptungen spiegeln bislang rein subjektive Meinungen wieder; ihnen ist weder durch MAJERUSens Reputation noch durch irgendwelche Feldstudien Gewicht verliehen worden. Bei Lichte betrachtet kann der Einwand schon rational nicht durchgefochten werden, denn eine notwendige Bedingung für die qualitative Fitneß-Änderung (wohlgemerkt: es kann immer nur um die totale Umkehrung der selektionstheoretischen Situation gehen) wäre ja, daß die Rußkontamination vor Ästen, Zweigen und Blättern "haltmacht".

Die These läßt sich auch mit der Beobachtung nicht in Einklang bringen. Denn wenn es tatsächlich stimmte, daß die typica in "exposed positions" in jedem Falle besser getarnt wäre als im Blätterdach, während es sich bei der carbonaria genau umgekehrt verhielte, warum hat man dann nicht schon längst eine räumliche Segregation der Formen infolge "Morph specific resting site selection" beobachtet? Und wie läßt sich der Einwand überhaupt noch mit der Erfahrung in Einklang bringen, daß die Allelverschiebungen mit der Luftverschmutzung (und nicht mit den Rastplatzvorlieben der Birkenspanner) korrespondieren (vor allen Dingen mit dem erneuten Anstieg der typica-Formen)?

Alles in allem sollte klar geworden sein, daß die Rastplatz-Diskussion solange keine Relevanz besitzt, bis elaborierte Studien zu anderslautenden Ergebnissen führen. Nicht jeder Einwand ist - weil logisch denkmöglich - auch empirisch adäquat, erklärungsmächtig und rational-wissenschaftlich diskursfähig.  

                   

Selektive Argumentation und fragwürdige Vereinnahmungsstrategien der Evolutionsgegner                                 

Im Lichte des Vorangegangenen erscheinen die nun folgenden Ausführungen eher als Randdetails. Wie in Abschnitt 5 gezeigt wurde, erörtern Naturwissenschaftler und Evolutionskritiker ihre Argumente auf inkompatiblen methodologischen Ebenen, und auch die Rastplatzdiskussion erweist sich für die eigentlich relevante Frage "Welche Rolle spielt die Selektion durch differenziellen Vogel-Fraß beim Industrie-Melanismus?" eher als nebensächlich. Damit könnten wir die Feder eigentlich schon beiseite legen, enthielte die Evolutionskritik nicht auch methodische Fehler und fragwürdige rhetorische Stilmittel, die eine ausführlichere Erörterung verlangen. Sehen wir uns daher die Diskussion um den Ruheplatz der Birkenspanner noch einmal genauer an:

RAMMERSTOFER hat meine Kritik an LÖNNIGs Behauptung, daß Birkenspanner "normalerweise überhaupt nicht auf Baumstämmen 'sitzen' weder tagsüber noch nachts" vehement zurückgewiesen. Zuvor hatte ich auf zwei von MAJERUS veröffentlichte Tabellen zurückgegriffen, die ein ganz anderes Bild nahelegen und im Hinblick auf die Ruhepositionen der Nachtfalter folgende Relationen wiedergeben: 


Table 6.1: "The resting positions of peppered moths found in the wild between 1964 and 1996": Exposed trunk: 12,8%; Unexposed trunk: 12,8%; Branches: 31,9%; Trunk/branch joint: 42,6%  

(Stichproben-Umfang: 47 Exemplare; davon hielten sich 12 (> 25 %) auf Baumstämmen auf, inkl. Trunk/branch joint: 68,2%)

Table 6.2: "The resting positions of peppered moths found in the vicinity of mercury vapour moth traps at various locations, between 1965 and 1996": Exposed trunk: 23,6%; Unexposed trunk: 10,8%; Branches: 9,9%; Trunk/branch joint: 32,5%; Foliage: 10,8%; Man made surfaces: 12,3%  

(Stichproben-Umfang: 203 Exemplare; davon hielten sich 70 (> 34%) auf Baumstämmen auf, inkl. Trunk/branch joint: 66,9%)


Bezugsquelle: http://www.talkorigins.org/faqs/wells/iconob.html

                                                 

Nun hat mir RAMMERSTORFER vorgehalten, ich hätte diese Zahlenwerte aus dem Zusammenhang herausgerissen, zum Beweis seiner Behauptung den Kontext nachgeliefert und mir das Fehlen "nötiger Sachargumente" sowie eine Mißinterpretation von MAJERUSens Tabelle attestiert. Er schreibt:

"Bringen wir die von NEUKAMM zitierte Statistik zunächst einmal in den richtigen Zusammenhang, MAJERUS schreibt auf S.121 seines Buches: (...) 'However, the number of published records of peppered moths being found on tree trunks is negligible. This is emphasized in an admission by Sir Cyril Clarke (Clarke et al. 1985): 'All we have observed is where moths do not spend the day. In 25 years we have found only two betularia on the tree trunks or walls adjacent to our traps (one on an appropriate background and one not), and none elsewhere'. The largest data set of the resting positions of wild pepper moths found in truly natural positions (i.e. not near moth traps or other light sources which may have [Weiter auf S.122:] attracted the moths) is of just 47 moths found over a period of 34 years (Howlett and Majerus 1987). Analysis of these results (Table 6.1) and an additional data set of the resting positions of moths found close to moth traps or street lights (Table 6.2), led Howlett and Majerus to conclude that peppered moths generally rest in unexposed positions (...)'

NEUKAMM behauptet, die von ihm zitierte Statistik würde LÖNNIG wiederlegen, dabei lässt er alles weg, was MAJERUS zu dieser Statistik gesagt hat. NEUKAMM führt hier einfach die nackte Statistik an, ohne MAJERUS Expertenmeinung dazu zu zitieren - die unterstützt nämlich LÖNNIG's Angaben!"

                                                                         

Zunächst sei daran erinnert, daß ich erwähnt habe, "(...) daß MAJERUS und andere Forscher die freiliegenden Baumstämme nicht zur üblichen Ruheposition der Birkenspanner rechnen", wobei es sicher ein Lapsus war, dies nicht bereits in der "Rohfassung" meines Textes ausdrücklich geschrieben bzw. MAJERUS nicht im Kontext zitiert zu haben (insofern kann man RAMMERSTORFER daraus keinen Strick drehen). Und gewiß, auch die Kritik, daß man sich zuerst hätte im Klaren darüber sein müssen, ob sich die Birkenspanner tatsächlich (überwiegend) auf Baumstämmen aufhalten, bevor man das Postulat in Lehrbüchern abdruckt, ist völlig berechtigt. Es wäre in der Tat angezeigt gewesen, hier etwas genauer hinzuschauen.

Die Art und Weise jedoch, wie die Evolutionsgegner ihre Kritik einsetzen und die Daten ausdeuten, ist meines Erachtens wissenschaftlich nicht mehr tolerabel, und die Objektivität verlangt es meines Erachtens, daß wir im folgenden etwas konkreter werden, bevor wir beurteilen können, ob MAJERUS und andere Fachleute tatsächlich LÖNNIGs Aussagen unterstützen. Insbesondere darf der Grund der Kritik nicht neglegiert werden, von dem jedoch die Evolutionsgegner geschickt abgelenkt haben.

Worum geht es? Der Stein des Anstoßes war, daß LÖNNIG MAJERUS ursprünglich nicht nur selbst nicht im Zusammenhang zitiert, sondern auch dessen Feststellung (...peppered moths normally do not rest on tree trunks...) - genauer gesagt: dessen Arbeit - vor dem Hintergrund einer Arbeit von CLARKE interpretiert (in der ausschließlich über zwei Birkenspanner auf Baumstämmen berichtet wurde) und dabei die MAJERUS-Tabellen großzügig übergangen hat. Im fettkursiven Druck wurde dann hervorgehoben, daß Birkenspanner "normalerweise überhaupt nicht..." in dieser Position verharren.

LÖNNIG, 2003 a schreibt:

"... wer kommt schon angesichts der oben zitierten Behauptungen Kutscheras und vieler weiterer Lehrbuchautoren auf die Idee, dass diese Falter normalerweise überhaupt nicht auf Baumstämmen "sitzen" weder tagsüber noch nachts? (...) Wer kommt dabei auf den Gedanken, dass die Nachtfalter tagsüber fast ausnahmslos 'in shaded areas under branches' in Ruhestellung verharren? ('It is now universally acknowledged that Cyril Clarke, who laconically observed that in twenty-five years he had seen exactly two Biston resting on tree trunks, was right after all: the normal daytime resting place of peppered moths is not on tree trunks but in shaded areas under branches, where colour differences would be muted' - J. Hooper: Of Moths and Men, 2002, pp. 265/266, kursiv von Hooper, bold von mir)."

(Hervorhebung im Schriftbild teilweise vom Autor)

                           

Auf das offenbar recht "griffige" CLARKE-Zitat wird auch in dem Wort-und-Wissen-Beitrag "Ist die Birkenspanner-Story falsch?" verwiesen. Doch auch hier finden merkwürdigerweise die Tabellen von MAJERUS überhaupt keine Erwähnung, obgleich der relevante Datensatz unmittelbar auf das CLARKE-Zitat folgt und obwohl "Table 6.1: nicht unbekannt in der Debatte um Biston betularia (ist)" (RAMMERSTORFER). Schließlich werden aus den "twenty-five years" 40 Jahre, so daß folgendes Resümmee gezogen wird:

" (...) Die Geschichte von der Anpassung und Selektion des Birkenspanners (Biston betularia) muß neu geschrieben werden (...) Es gab schon länger Kritik an dieser Geschichte; Majerus (1998) faßte sie nun in zwei Kapiteln seines Buches zusammen. Der schwerwiegendste Einwand ist, daß sich die Birkenspanner nahezu niemals auf Baumstämmen niederlassen; nur zweimal wurde diese Position während 40 Jahren intensiver Forschung beobachtet."

(JUNKER, URL: http://www.wort-und-wissen.de/sij/sij62/sij62-s.html#idx_7)

                               

Bei dieser "laxen" Zitierweise handelt es sich keineswegs um Ausnahmen, eher um die Regel. Auch der prominente Evolutionsgegner WELLS, der in den USA für viel Furore gesorgt hat, ist in dieser Sache auffällig geworden, hatte im Brustton der Überzeugung behauptet: "Peppered moths in the wild don't even (und an anderer Stelle relativiert: don't normally) rest on tree trunks" und zur Abstützung seiner Behauptung das CLARKE-Zitat verwandt. Binnen 15 Minuten ist es mir gelungen, im Internet fast ein Dutzend weiterer Autoren zu recherchieren, die auf die CLARKE- bzw. MAJERUS-Passage ("...that in twenty-five years he had seen exactly two Biston resting on tree trunks") zu sprechen kommen, MAJERUSens Tabellen sowie alles weitere aber "übersehen". Ein Autor glaubt sogar sicher zu wissen: "Furthermore, British scientist Cyril Clarke investigated the peppered moth for 25 years, and saw only two in their natural habitat by day - no other researchers have seen any."

Nun wird der eine oder andere Kritiker sicher den Einwand erheben, daß die insgesamt 82 (12) Exemplare, auf die MAJERUS hinweist, gegenüber den zweien, über die CLARKE berichtet hatte, in Relation zu den "thousands of moths" kaum ins Gewicht fallen (falls dies tatsächlich geglaubt wird, warum wurden die Tabellen dann nicht von Anfang an und ganz generell zur Diskussion gestellt? Läßt die Unterlassung nicht doch auf gewisse Zweifel an der Überzeugungskraft der eigenen Argumentation schließen?)

Doch bei aller berechtigten Kritik an der klassischen "Rastplatz-Geschichte", und einmal davon abgesehen, daß die Frage nach den "prozentualen Anteilen einer Biston-Population: 'Wieviel Prozent befinden sich tagsüber wo?'" in einer methodisch falschen Art und Weise diskutiert wird (siehe unten), fällt der Vorwurf der Evolutionsgegner, daß die Geschichte mangelhaft eruiert wurde, nurmehr selbst auf sie zurück. Wirft die selektive Besprechung mit anderen Worten nicht ein Schlaglicht auf die generelle "Methodik", die einige Evolutionsgegner auch an anderen Stellen gerne praktizieren, jedoch selbst bei jeder sich bietenden Gelegenheit den Evolutionsbiologen vorhalten? Anstatt nämlich gründlich zu recherchieren oder darüber zu berichten, wie es sich ganz genau verhält, werden die "Tatsachen" nur in einer Weise akzeptiert, wie man sie aufgrund religiös-weltanschaulicher Überzeugungen einem Menschen gerne ausdeuten möchte.

Fairerweise ist darauf hinzuweisen, daß sich hinter diesem Verhalten nicht immer eine sinistre Absicht verbergen muß. Es ist gut möglich, daß die Behauptungen oft einfach nur unkritisch übernommen oder "von Dritten" abgeschrieben worden sind, weil sie eben besonders gut ins evolutionskritische Schema zu passen scheinen. Es gibt eine Reihe von vergleichsweise fairen Evolutionsgegnern (dazu zähle ich insbesondere die Mitarbeiter der "Wort-und-Wissen e.V."), denen ich keine unlauteren Absichten zutraue. Bei vorurteilsfreier Betrachtung sollte allerdings die Frage erlaubt sein, ob vor allem ausgewiesene Fachbiologen das nicht besser hätten wissen können und ob einige darunter, die sich in dieser Frage besonders engagiert haben, es tatsächlich nicht auch besser gewußt haben.

                   

Es ist natürlich völlig klar, daß im Rahmen solcher Betrachtungen niemand zu einem anderen Schluß gelangt, als eben zu dem, daß lediglich mit astronomischer Unwahrscheinlichkeit Birkenspanner auf Baumstämmen verweilen. MAJERUS hatte zwar die Arbeit von CLARKE auch erwähnt, ihr aber zugleich seine neueren Zahlen gegenübergestellt, die auf konkrete Relationen hinweisen. Und berücksichtigt man den (von RAMMERSTOFER erwähnten) Kontext, stellt man fest, daß LÖNNIG den Passagen (auch und gerade in seiner neuen Arbeit) weit mehr entnimmt, als diese objektiv betrachtet hergeben:


Daß die auf Baumstämmen sitzenden Spanner (bislang) nur in geringer Zahl dokumentiert wurden, ist zutreffend. Und daß die meisten Exemplare (wahrscheinlich) in abgeschatteten Bereichen der Baumkrone, relativ wenige ("rather few") dagegen auf Baumstämmen verharren, ebenso. Aber das bedeutet weder, daß man dies, wie LÖNNIG ursprünglich suggeriert hatte, bis heute lediglich anhand zweier Falter auf Baumstämmen beobachten konnte, noch bedeutet das, daß die Falter "normalerweise überhaupt nicht" auf Baumstämmen verharren - allenfalls "predominantly..., more or less..., habitually..., generally..., probably... on branches... or elsewhere" ("überwiegend..., mehr oder weniger..., üblicherweise..., im allgemeinen..., möglicherweise... auf Ästen oder sonstwo") . Das alles liest sich im Original viel vorsichtiger, differenzierter und weitaus weniger apodiktisch als bei LÖNNIG, WELLS und HOOPER, und die Sachlage ist gegenwärtig noch alles andere als "vollkommen eindeutig".

                                                                    

Insgesamt fällt auf, daß LÖNNIG immer wieder Prononzierungen vornimmt, mit denen er den Eindruck, den er beim Leser gerne hervorrufen möchte, gewissermaßen schon einmal durch seine Betonungen vorfabriziert. So schreibt LÖNNIG beispielsweise " …peppered moths do not habitually rest in exposed positions on tree trunks…" anstelle: " …peppered moths do not habitually (üblicherweise) rest in exposed positions on tree trunks…" usw.

Jedenfalls verbinden MAJERUS und andere Kritiker der etablierten Geschichte (soweit mir bekannt ist) mit ihrer Feststellung, daß sich die Falter an exponierten Stellen "not usually..., not naturally..., less commonly..." usw. (und keineswegs: "normally not at all..., almost (99,...%) entirely not..., only exceptionally") aufhalten, keine quantitativen Aussagen über die Häufigkeitsverteilung der Ruhepositionen von Birkenspannern, die man auch nur entfernt mit den Schätzungen von WELLS und LÖNNIG vergleichen könnte. MAJERUS hält beim derzeitigen Wissensstand WELLS' (und damit erst Recht LÖNNIGs) quantitative Abschätzung ausdrücklich für unredlich ("disengenuous"). Wir werden darauf unten noch zurückkommen.

TAMZEK (http://www.talkorigins.org/faqs/wells/iconob.html) bringt den entscheidenden Gesichtspunkt treffend auf den Punkt:

"Majerus is a proponent of the view that peppered moths most commonly - but not entirely or even almost entirely - rest on the underside of branches and thick twigs in the forest canopy."

                                                                                          

Die Auslagerung der Frage: "Welche Rolle spielt die Selektion durch differenziellen Vogelfraß?"   

Nun handelt es sich nun bei der "Rastplatzfrage" gewiß nur um ein Mosaiksteinchen unter vielen, die sich zur "Birkenspanner-Geschichte" fügen; das heißt, die Grund-Elemente der Anpassungsgeschichte blieben selbst dann noch evident, wenn die Rastplatzfrage im Sinne der Evolutionsgegner beantwortet würde. Die alles entscheidende Frage nach der selektionstheoretischen Bedeutung des differenziellen Vogelfraßes läßt sich auch dann beantworten, wenn man über die natürlichen Rastplätze der Birkenspanner noch nichts genaues weiß!

Umso schwerer wiegt die selektive Ausdeutung der Beobachtungsdaten, wenn sie sich auch auf den eigentlich relevanten Aspekt erstreckt. In der Tat ist er in der Evolutionskritik (so auch in LÖNNIG, 2003 a und in seiner 'Natural Selection') weitgehend unerwähnt geblieben, das heißt es werden fast ausschließlich sogenannte "false facts" aufgezählt, wobei jedoch regelmäßig "vergessen" wird zu erwähnen, daß MAJERUS:

                                                                                         

(Alle relevanten MAJERUS-Zitate folgen unten)

                                                                                   

Desweiteren ist es in evolutionskritischen Kreisen gang und gäbe, COYNEs umstrittenes "review" von 1998 ('Not black and white'. Nature 396, S. 35-36) so zu zitieren, so als handele es sich bei dessen Interpretationen um allgemein anerkannte "Tatsachen", die auch MAJERUSens Positionen bzw. die Mehrheitsmeinungen der "Biston-Forscher" adäquat wiedergäben. So wird COYNE von LÖNNIG unter anderem wie folgt zitiert (Auslassung  vom Autor):

"Majerus notes that the most serious problem is that B. betularia probably does not rest on tree trunks - ... This alone invalidates Kettlewell's release-recapture experiments, as the moths were released by placing them directly onto tree trunks, were they are highly visable to bird predators."

                                             

MAJERUS sieht dies allerdings völlig anders und hält das review (sowie den darauf folgenden COYNE-Artikel im "Sunday Telegraph") eher für eine eigenwillige (Miß-)Interpretation seiner Arbeiten sowie der ganzen Birkenspanner-Geschichte, als für eine Quintessenz, die von den meisten ihm bekannten "Biston-Experten" unterschrieben würde. MAJERUS stellt klar: 

"Professor Coyne's review of Melanism: Evolution in Action was published on 5th November 1998, under the title Not black and white. I read the review with mounting dismay. Generally the review was positive. Indeed, Coyne wrote: 'Occupying a quarter of the book, the Biston analysis is necessary reading for all evolutionists, as are the introductory chapters on the nature of melanism, its distribution among animals, and its proposed causes'. However, the message from the review was that the peppered moth case is fatally flawed as an example of Darwinian evolution. Coyne writes: '….for the time being we must discard Biston as a well-understood example of natural selection in action….' (...) Coyne's (1998) review was followed up by an article in The Sunday Telegraph by Robert Matthews (1999); entitled Scientists pick holes in Darwin moth theory. This article begins: 'Evolution experts are quietly admitting that one of their most cherished examples of Darwin's theory, the rise and fall of the peppered moth, is based on a series of scientific blunders. Experiments using the moth in the Fifties and long believed to prove the truth of natural selection are now thought to be worthless, having been designed to come up with the 'right' answer.'

This opening was a surprise to me. I know most of those who have experimented with the peppered moth, and do not know any who would subscribe to this view. Moreover, if evidence were obtained that seriously undermined the qualitative accuracy of the case, it would be of such importance in academic circles that I cannot imagine any scientist speaking of it 'quietly'. The Matthew's article is littered with numerous scientific inaccuracies and misquotations, but then many press reports, particularly of science, are. However, one would not expect misrepresentation in a book review in Nature. I leave judgement of whether Coyne's 1998 review was a misrepresentation of my book to Donald Frack, an American scientist, who has long wrestled in the Untied States with creationists and intelligent design advocates (...)"

(MAJERUS, 2003 b p.c.*)              

                                                                                          

In LÖNNIG, 2003 a findet man lediglich eine verkürzte Wiedergabe der MAJERUSschen Position (streng genommen nur ein "ceremonial citation"), die beim Leser den Eindruck erweckt, als hielte er aufgrund des "Rastplatzwechsels" (vom Birkenstamm ins Blätterdach) auch das klassische "Tarnszenario", KETTLEWELLs Experimente - und mit dazuhin die ganze Birkenspanner-Geschichte - für fragwürdig.

Abgesehen davon, daß die Behauptung, KETTLEWELL habe die Birkenspanner nur auf Baumstämmen "ausgesetzt", mit den realen Verhältnissen nichts zu tun hat (So betont MUSGRAVE, 2002: "In contrast, the direct and indirect predation experiments, and the mark release experiments, moths were released onto trunks AND branches (Kettlewell, 1955, pages 327, 332 and Kettlewell 1956, page 287). Note that, the moths were not only released on trunks."), wird nirgends auf MAJERUSens Einsichten Bezug genommen, die wie folgt lauten:

"Differential bird predation of the typica and carbonaria forms, in habitats affected by industrial pollution to different degrees, is the primary influence on the evolution of melanism in the peppered moth."

(MAJERUS, 1998, S. 116)

"Furthermore, the speed and direction of the changes can be explained only by natural selection. Hence, proof of Darwinian evolution. The only question that remains is whether Tutt's bird predation hypothesis is sound. All the experimental work to date suggests that it is. Kettlewell's work, and eight other independent studies, all point to bird predation as the main factor in the rise and fall of the black peppered moth."

(MAJERUS, 2003 a)

               

Es überrascht nicht, daß auch die Schlußfolgerungen aus den mittlerweile acht (!) Folgeexperimenten geflissentlich übergangen werden, in denen die "methodischen Fehler", die man KETTLEWELL unterstellt hatte, (in der Summe) weitestgehend ausgeschaltet wurden. KETTLEWELLs Resultate stützen sie dennoch, wie MAJERUS klarstellt; dies hält aber die Evolutionsgegner keineswegs davon ab, seine Reputation gegen den Wert der KETTLEWELLschen Experimente auszuspielen. Gegen solche Vereinnahmungsstrategien setzt sich MAJERUS energisch zur Wehr. Er schreibt:

"These eight studies [von BRAKEFIELD, CLARKE, COOK, CREED, GRANT, HOWLETT, SHEPPARD, MAJERUS; vgl. MAJERUS, ebd.], and indeed Kettlewell's own experiments, consistently show that the fitness of a morph is correlated to the frequencies of the forms in a particular area and to concurrent changes in these frequencies (Cook, 2000b; Grant, 2002). Were I giving my view of the procedures in each of these nine studies, including my own (Howlett and Majerus, 1987), I would certainly criticize each for artificiality in some respect. However, the cause of the artificiality varies between studies - using dead moths, moths at unnatural frequencies, moths at unnatural densities, not allowing moths to take up natural resting sites, and so on. Reviewing all these studies, it is difficult to believe that the artificiality in each case just happen, by chance, to provide results that support Tutt's bird predation hypothesis. Yet this is what some critics would have us believe."

"Many criticisms have been aimed at the experiments conducted by Kettlewell in the 1950s. Some of these were first proposed by Kettlewell himself, others by scientists who worked on peppered moths. Most may have some validity. The major criticisms have been: i) The densities of moths in Kettlewell's predation and mark-release-recapture experiments were too great.  ii) Kettlewell released moths onto tree trunks. The evidence that exists suggests that although some peppered moths naturally rest in exposed positions on tree trunks, this is not their preferred resting site. iii) In his mark-release-recapture experiments, Kettlewell released moths during the day. Peppered moths prompted to fly during the day will settle on the first substrate that they encounter, and generally remain still thereafter. Thus, moths released during daylight will not select the same sites as those that settle at the end of night flight. It is improbable that the degree of crypsis secured by Kettlewell's released moths would have been as high as that of moths in the wild. iv) Kettlewell used mixtures of wild-caught and laboratory bred specimens, which may have behaved differently. v) The moths that Kettlewell released in Birmingham and Dorset may not have originated in the same locations, and so may have had local behavioural adaptations (...)

With one exception, one or more of the studies subsequent to Kettlewell's avoids each of these sources of artificiality, and shows that they do not affect the differential bird predation hypothesis. The only criticism that can be aimed at all the predation studies conducted to date is that the moths available for predation did not take up their own resting positions during the pre-dawn flight that characterizes this species. This criticism should be addressed in future predation experiments."

(MAJERUS, 2003 b p.c.*)

                                                                                                              

Das Übergehen solcher Aspekte ist meines Erachtens weit mehr als nur ein Lapsus. Denn gerade weil die erwähnten Reflexionen, Positionen, Studien und deren Einsichten hier nicht unerheblich sind und auch (wie RAMMERSTORFER feststellt) die "Table 6.1: nicht unbekannt in der Debatte um Biston betularia (ist)" müssen die Gesichtspunkte - auch und gerade für den "biologischen Laien" - vollständig auf den Tisch.

Kurioserweise hat mir LÖNNIG spiegelbildlich (und ohne einen Hauch selbstkritischer Reflexion darüber, wie dem unvoreingenommenen Leser und vor allen Dingen den Fachbiologen seine eigene Zitierweise vorkommen muß) unterstellt, ich hätte ausgerechnet die"entscheidende Aussage von Sir Cyril Clarke nach Hooper ... ganz präzis aus einem längeren Zitat (von WELLS) herausgeschnitten". Ich halte das für keinen respektablen Zug. Der Leser frage sich ernsthaft: Welchen Gewinn könnte ich mir davon versprechen, aus taktischem Kalkül eine allgemein diskutierte (und im Hinblick auf unsere bisherigen Ausführungen alles andere als "entscheidende") Passage zu camouflieren, die dem Wissenschaftler GRANT als Steilvorlage gegen WELLS förmlich zupaß kam? GRANT unterstellt WELLS ernste Zitatenmißbräuche, weist ihm über mehrere Seiten ein gutes Dutzend fachlicher Falschaussagen nach und zeigt, daß der "Rastplatzfrage" im Lichte anderer Evidenzen eine vergleichsweise geringe Bedeutung in der Birkenspanner-Geschichte zukommt (nachzulesen ist das alles in "GRANT's Review of WELLS"). Hier seien abschließend nur noch zwei weitere Ausschnitte zitiert:

"He uses two tactics. One is the selective omission of relevant work. The other is to scramble together separate points so doubts about one carry over to the other. Basically, he is dishonest. He immediately launches the claim 'that peppered moths in the wild don't even rest on tree trunks' (p. 138). This is just plain wrong! Of course they rest on tree trunks, but it's not their exclusive resting site. He quotes Cyril Clarke's lack of success in finding the moths in natural settings, but he omits mentioning Majerus' data which reports just where on trees (exposed trunks, unexposed trunks, trunk/branch joints, branches) Majerus has found moths over his 34 years of looking for them."

"Wells clouds discussions with irrelevancies. For examples he brings up Heslop Harrison (p. 141 and again on p. 151) and the question of phenotypic induction. Wells makes it sound as if most biologists discount induction based on their belief in natural selection (as if it were a popular religious question). The evidence for the Mendelian inheritance of melanism in peppered moths has nothing to do with evolutionary theory; it is based on old fashioned crosses involving over 12 thousand progeny from 83 broods. The Mendelian basis for this character in this species is as well established as is any character in any species. Wells doesn't mention this, yet he cites my review paper where I do bring this up in my criticism of Sargent et al. Induction has nothing to do with industrial melanism, and Wells knows it. Again, selective omissions on the part of Wells."

(GRANT, 2001; URL: http://www.talkorigins.org/faqs/wells/iconob.html#mothgrant)

                                                         

LÖNNIG kommentiert GRANTs Ausführungen mit dem Vorwurf, er habe sich stilistisch daneben benommen, während WELLS zum Opfer verleumderischer Diffamierungskampagnen avanciert. Mit Ausnahme der "Rastplatzfrage" wir jedoch kein einziges der sachlichen Argumente, die GRANT und andere gegen WELLS ins Felde führen, näher erörtert, geschweige denn unvoreingenommen hinterfragt, ob die Personalkritik in Teilen nicht doch berechtigt sein könnte. Lassen sich mit dieser Strategie nicht alle Biologen, die eine sachliche Kritik üben und nicht bereit sind, die Argumente und Zitierweisen der Evolutionsgegner bereitwillig zu akzeptieren, von vorn herein ins moralische Abseits stellen?

                                     

"Wo befinden sich 99,9% der Birkenspanner nach allen bisherigen Daten (...) nicht?"

LÖNNIG hat, das sei nochmals klargestellt, die zur Diskussion stehende MAJERUS-Tabellen in seiner neueren Arbeit ausführlich besprochen und kritisiert. Fairerweise muß man zugeben: LÖNNIGs Hauptkritikpunkt, daß die tabellierten Zahlen keine absolute Repräsentanz besitzen können, weil sich die Falter eben an Baumstämmen leichter als im Blätterdach auffinden lassen, ist schwer zu kritisieren. Die Daten in MAJERUSens Tabelle "are biased toward the lower parts of trees, as these are most easily searched." In dieser Frage dürfte zwischen den Fachleuten und den Evolutionskritikern (soweit ich das überblicke) ebenso Konsens bestehen, wie hinsichtlich der Feststellung, daß die eine oder andere vorschnell aufgestellte Behauptung revidiert werden muß. LÖNNIG weist daher auf den wichtigen Umstand hin, daß:

"(...) selbst unter den Voraussetzungen der unhaltbaren Verabsolutierung der Tabellendaten von Tabelle 6.1 aus Majerus sowie den 'unnatürlichen' Voraussetzungen der Daten von Tabelle 6.2 (...) Grant zum Ergebnis [kommt], dass etwa 74,5% bzw. 66% der Birkenspanner tagsüber nicht 'in exposed positions on tree trunks' rasten! Und das ist das Ergebnis ohne Berücksichtigung des bias im ersten Falle und der 'unnatürlichen' Voraussetzungen für die zweite Tabelle. In der biologischen Realität müssen also die Prozentsätze wesentlich geringer ausfallen als in diesen Statistiken!

                                                       

Allerdings glaube ich nicht, daß GRANT und andere Forscher beabsichtigen, die Relationen der Tabellendaten (unter Vernachlässigung des "bias") zu "verabsolutieren" (es geht hier vielmehr um den trivialen Umstand, daß es zum Selbstverständnis eines jeden gewissenhaft arbeitenden Wissenschaftlers, Statistikers und Demoskopen gehört, sich zunächst einmal an nichts anderem als an den "positiv vorhandenen", real dokumentierten Datensätzen zu orientieren, auch falls diese später um einen gewissen Faktor korrigiert werden müssen). Andernfalls hätte GRANT sicher nicht mit Nachdruck betont: "In truth, we still don’t know the natural hiding places of the peppered moth", sondern die Rastplatzfrage im Hinblick auf die MAJERUS-Tabellen schon als "geklärt" betrachtet.  

Was GRANT und andere Forscher hier tatsächlich kritisieren, ist weniger der Hinweis darauf, daß die Zahlenrelationen keine vollkommene Repräsentanz besitzen (es geht auch gar nicht darum, ob die Birkenspanner "mehrheitlich" auf den Baumstämmen sitzen), als vielmehr die evolutionskritische Interpretation der Befunde, wenn man so will der "Trick", mit dem hier die Daten geradezu ins Gegenteil umgedeutet werden. Das methodische Problem besteht mit anderen Worten darin, daß die einzig vorhandenen Tabellensätze dadurch wegdiskutiert (und wie wir gesehen haben, meist sogar vollkommen verschwiegen) werden, indem die geringe Anzahl der dokumentierten, auf Baumstämmen verharrenden Falter einfach ins Verhältnis zu den Zehntausenden von Motten gesetzt wird, über deren Verbleib jedoch so gut wie nichts bekannt ist. So fragt LÖNNIG in etwas reißerischen Lettern:

"Wo befinden sich 99,9% der Birkenspanner nach allen bisherigen Daten tagsüber bzw. wo befinden sie sich tagsüber nicht?"

           

Die Antwort auf die rhetorisch gestellte Frage gibt LÖNNIG mehrfach in seinem Text:

"Wie oben jedoch schon betont, würden wir 'the natural hiding places of the peppered moth' längst kennen, wenn sich die meisten Birkenspanner tagsüber - wie nach gängigen Lehrbuchdarstellungen zu erwarten - 'in unexposed positions on tree trunks' aufhalten würden. Denn wir hätten dort schon Tausende von Exemplaren allein in den letzten fünfzig Jahren gefunden!" "Würden die Birkenspanner in aller Regel tagsüber 'in exposed positions on tree trunks' Rast machen, dann wüßte man es!" "Auf dem Hintergrund von Zehntausenden von Birkenspannern (zumeist) im Blätterdach mehrerer Wälder sowie einer Beobachtungszeit von Jahrzehnten, schätze ich die reale Häufigkeit zur Zeit auf weniger als 0.1%. Bei überzeugenden, d. h. auf klaren biologischen Daten basierenden Gegenargumenten, werde ich diese Schätzung korrigieren."

                                                             

Seltsam ist nur, daß offenbar weder für LÖNNIGs noch für WELLSens quantitative Abschätzung auch nur ein Kenner der Materie hat Pate stehen wollen. Statt dessen heißt es meist ganz vorsichtig: "In truth, we still don't know the natural hiding places of the peppered moth" (GRANT, 1999, S. 4), "Although observations of peppered moths being taken from natural resting positions are still lacking and are urgently needed, it is highly probable that predation levels are significant." (MAJERUS, 1998, S. 125) " oder: "Thus, the first answer to Wells is simply that I do not SEE most of the moths present (...) We are simply not usually up there." (MAJERUS, siehe unten) usf.

Warum also diese Vorsicht? Sie wird sogleich verständlich, wenn wir die Voraussetzungen, die LÖNNIGs Schätzung zugrundeliegen, etwas genauer analysieren. Auf welcher Basis ist LÖNNIGs Berechnung zustandegekommen?

Allem Anschein nach geht er davon aus, daß (praktisch) ALLE Birkenspanner, die es auf Baumstämmen zu beobachten gibt, beobachtet werden können und vollständig beobachtet wurden (das heißt also, daß alle bislang nicht entdeckten Falter DEFINITIV NICHT auf Baumstämmen sitzen). Nur und ausschließlich unter diesen Voraussetzungen ergibt die Rechnung einen Sinn, und man kommt auf die genannte Relation von <= 0,1 : 100 = 12 : mehreren 10000 Birkenspannern. Was uns LÖNNIG hier implizit nahelegt, ist ein Szenario, das da kurz und knapp wie folgt beschrieben werden kann:

                   

                 

Die ganze Sache hat mich mißtrauisch gemacht. Obwohl die Kritiker ja Recht haben, wenn sie behaupten, daß die in MAJERUSens Tabellen dargelegten Relationen zu korrigieren sind (wie groß aber das "bias" ist, bleibt noch zu erforschen), reimen sich die Voraussetzungen nicht mit unseren bisherigen Einsichten, ja sie kollidieren mit allen Befunden, die wir bislang kennen:


Man überlege sich nur im Hinblick auf die in Abschnitt 2 dargestellten Fotografien (wäre wohl die 'carbonaria form' auf dem Bild noch zu entdecken, wenn die Rinde rußgeschwärzt wäre?), im Hinblick auf die Feststellung, daß Vögel "see far more than humans..." (siehe unten) sowie unter Berücksichtigung des Umstandes, daß selbst die sehtüchtigeren Vögel in KETTLEWELLs ("and eight other independent") Studien viel häufiger die ungetarnten Exemplare herauspicken (die getarnten Spanner also gehäuft übersehen), einmal gründlich, ob es überhaupt noch etwas mit der Realität zu tun haben kann, wenn behauptet wird, der Feldforscher bräuchte die Birkenspanner auf den Stämmen doch einfach nur quantitativ "abzuzählen".

                       

Trotz der verhältnismäßig kleinen Suchfläche der Birkenstämme im Vergleich mit dem "Blätterdach" scheinen mir solche Hypothesen derart überzogen, daß ich dies von einem Fachmann wie MAJERUS doch etwas genauer wissen wollte. Um MAJERUS keine Suggestiv-Frage zu stellen, habe ich ihn in neutraler Form gebeten, nur zu der quantitativen Abschätzung von WELLS (die noch moderater ausfällt als diejenige LÖNNIGs) Stellung zu beziehen. Meine Frage an MAJERUS lautete wie folgt:

"Dear Dr. Majerus, Wells now claims that the 47 moths that you found in your studies (resting all over the trees) are not representative for all the tousands of moths that really exists. So, he claims, we won't be able to verify the hypothesis that peppered moths usually rests on tree trunks. The tiny number (47) proves in the eye of Wells that the really percentage of peppered moths that rest on tree trunks is less than 1% (47/10000...) What about - this ist my question to you - the ten thousands of moths in the wild? How can we be sure that your data are representative? And if so, why did you deal with that tiny numbers and weren't able to find hundreds and thousands of moths resting on the tree trunks? Is Wells eventually right? Thank you very much for your answer! With kind regards..."

                           

MAJERUS hat mir dazu folgendes geantwortet (die Hervorhebungen im Schriftbild und der Einschub stammen von mir):

"Dear Martin, In one sense, Wells is correct. Peppered moths do not usually rest on tree trunks. This is well documented (Mikkola 1979, 1984; Howlett and Majerus 1987; Liebert and Brakefield 1987; Majerus 1989, 1998, 2002). The whole issue is reviewed in my book (Melanism,...) Rather ['lieber' und nicht: 'so gut wie überhaupt nicht'], they rest high in the canopy on the underside of branches. But Wells' arguments are disengenuous. He has obviously never tried to find a peppered moth, nor probably any other moth, in the wild. Humans are not very good at looking for moths. I have been looking for moths in the wild for over 40 years, starting when I was very young. I am very good at this, for a human. In experiments I have shown, both with students and with friends, that I am on average, over 10 times more efficient than those who have not had my experience. Yet, I freely admit that compared to birds, I a (m) not good. Thus, the first answer to Wells is simply that I do not SEE most of the moths present. Birds would see far more, and they will search in places where moths occur. We are simply not usually up there. Briefly, humans are very bad at finding peppered moths or other moths that are truely cryptic."

My real criticism of Wells and others such as Hooper, is this. They criticise Kettlewell's predation work, perhaps with some justification. However, they do not address his mark-release-recapture experiments. Nor do they consider the reciprocal nature of Kettlewell's results in Birmingham and Dorset. They do not put forward a viable alternative explanation of the results obtained. The only alternatives that I can find are i) genetically inept suggestions that some pollutants are highly mutagenic; ii) that melanism in the peppered moth is environmentally induced by factors related to pollution, ignoring all the data on the Mendelian inheritance of the forms, and iii) veiled suggestions that Kettlewell faked his results. Kettlewell, although not the greatest theoretician, was a first class field entomologist and was certainly not a fraud. What one must ask oneself is what difference does it make if the moths rest on the underside of branches rather than on the trunks. Branches still vary in colour and pattern as a result of pollution. There may be a quantitative difference to fitness estimates, but there would not be a qualitative difference. All of this is reviewed in my book. Please read it. It was written in a scientific and objective manner, before the current controversy had arisen. Just so you know, I am in the middle of a three year long predation experiment that I hope answers all the criticisms of Kettlewell's methodology. The results should be published early in 2005. Perhaps then we can have an end to this ridiculous farce."

                             

Soweit also die Stellungnahme von MAJERUS. Hier wird deutlich, daß sich kaum ein Fachmann auf LÖNNIGs Voraussetzungen, Behauptungen, Interpretationen und quantiatative Hochrechnungen einläßt, weil sie aus Erfahrung von ganz anderen Voraussetzungen ausgehen.

Nicht beachtet wird auch der Umstand, daß für das "Fehlen" der Birkenspanner auch artifizielle Faktoren in Betracht zu ziehen sind, so daß nicht von vorn herein die Theorie fehlerhaft sein muß. So geht MAJERUS zur Zeit dem differenziellen Vogelfraß sowie der Rastplatzfrage intensiver nach und hat tatsächlich beobachtet, daß sich die Falter mit Vorliebe in einer Höhe oberhalb von 2 Metern aufhalten, wo die Birkenspanner bislang kaum gesucht wurden. Mit Blick auf eine neue Stichprobe rasten sie zwar überwiegend auf Ästen, Zweigen und "on the side/underside of branches with a diameter > 5 cm" (insgesamt 22 von 27 Exemplare), aber eben auch signifikant in (höhergelegenen) Stammregionen (5 von 27). MAJERUS stellt fest:

"The work has already yielded one interesting piece of data. The slowest accumulating data set that I have is of the resting positions of peppered moths I have found in the wild since 1964. This data set, first published in 1987 (Howlett and Majerus, 1987), has continued to build. The set up to 2001 is given in Table 4a, and consists of just 59 moths, a rate of 1.55 moths located per year. While constructing or removing release sleeves in the trees, I have found, by eye, a considerable number of moths, 27 of which have been peppered moths (Table 4b). The rate of find has thus risen to 13.5 moths per year. Furthermore, all of these moths were more than 2 m above ground, most were in the upper half of the trees that they were on and only five were on the main trunks of the trees.

Critics of the peppered moth have often pointed to a statement made by Clarke et al. (1985): '…. In 25 years we have only found two betularia on the tree trunks or walls adjacent to our traps, and none elsewhere'. The reason now seems obvious. Few people spend their time looking for moths up in the trees. That is where peppered moths rest by day."

(MAJERUS, 2003 b p.c.*)

                                                                                                                   

Obwohl man sich hier darüber streiten könnte, inwieweit die Birkenspanner, die sich in "unexposed positions" und "trunk/branch joints" aufhalten, von den rund 20% der Birkenspanner, die sich auf "main trunks" aufhalten, in Abzug gebracht werden sollten (MAJERUS hält dieses "Herunterechnen" jedoch für eine unlautere Methode, weil nach allen bisherigen Erkenntnissen - vgl. HOWLETT und MAJERUS, 1987 - die lichtgeschützten Bereiche den differentiellen Vogelfraß eben nur quantitativ, nicht aber qualitativ tangieren), wird deutlich, daß die auf Baumstämmen rastenden Birkenspanner nicht einfach ins Verhältnis der "thousands of moths", die man bislang nicht gefunden hat, gesetzt werden dürfen.

Ungeachtet solcher Aspekte wird MAJERUSens Feststellung "peppered moths normally do not rest on tree trunks" in die These transformiert: "Es befinden sich also nach den mir bisher zugänglichen Daten etwa (oder vielleicht auch mehr als) 99,9 % aller Birkenspanner tagsüber nicht in exposed positions on tree trunks." Verbirgt sich hinter der apodiktischen These nicht ein "Lapsus" weitaus größeren Kalibers als hinter GRANTs angeblicher "Verabsolutierung" der MAJERUSschen Tabellendaten?


Jedenfalls kann man auf diese Weise nicht mehr naturwissenschaftlich argumentieren, denn hier werden kurzerhand "fehlende Daten" in "positive, real existierende Daten" verwandelt, die einzig existierende (wenn auch "biased") Datenbasis wegdiskutiert, damit die wissenschaftliche Methode der (unvollständigen) Induktion ad absurdum geführt und die Aussagen von GRANT, MAJERUS u.a. in das Interpretationsschema der Evolutionskritiker (die jedoch auf einer anderen methodologischen Ebene diskutieren) eingefügt.

                   

Im Grunde hat MUSGRAVE (http://members.tripod.com/aslodge/id77.htm) zu der Argumentationsmethodik bereits alles Wesentliche gesagt, wenn er schreibt:

"In Wells's reply, he refers to an enormous number of moths in studies summarized by Steward, this is irrelevant as in these studies the resting places of the moths was not determined. Only in Majerus's study has there been any significant, systematic attempt been made to determine the resting locations of peppered moths."

                       

Doch nehmen wir einmal an, LÖNNIGs quantitative Schätzung stellte sich in der Zukunft tatsächlich als annähernd richtig heraus, das heißt das Gewicht des "bias" sei so groß, daß sich die Birkenspanner wirklich nur zu einem Prozentbruchteil auf (exponierten) Baumstämmen aufhielten. Wir wollen ferner annehmen, daß sich die alles entscheidende Frage in der Birkenspanner-Geschichte tatsächlich um die "Frequenzen" drehte, also "(...) gar nicht um die Frage, ob Birkenspanner auch auf trunks vorkommen, sondern um die Relationen, um die prozentualen Anteile einer Biston-Population: Wieviel Prozent befinden sich tagsüber wo?"

                             


Wenn das alles richtig wäre, dann müßte doch wenigstens im Ansatz die Frage diskutiert werden, wie hoch der Prozentsatz der auf Birkenstämmen rastenden Nachtfalter mindestens sein muß, um die beobachteten Allelverschiebungen überhaupt verursachen zu können. Es müßte mit anderen Worten belegt werden, daß die Selektion durch differenziellen Vogelfraß aller Voraussicht nach nicht mehr wirken kann, sobald der prozentuale Anteil einen bestimmten Zahlenwert unterschreitet. Dies ist eine notwendige Voraussetzung, wenn KETTLEWELLs (and eight other independent studies) angezweifelt und die Frage nach dem Aufenthaltsort der Spanner noch sinnvoll als "experimentum crucis" durchgefochten werden soll. Soweit mir aber bekannt ist, hat bislang noch kein Evolutionsgegner diese Mindestanforderung erfüllt.
 
                                          

Ja, mehr noch: RAMMERSTORFER stellt hierzu einige sehr interessante Überlegungen an, die - wenn sie sich bestätigen sollten - LÖNNIGs Kritik an der "Rastplatzfrage" weitgehend den Wind aus den Segeln nehmen würden. Er schreibt:

"Es mutet schon seltsam an, wenn MAJERUS darauf hinweist, dass die Geschwindigkeit nur durch natürliche Selektion erklärt werden kann und SARGENT et. al gerade aus der Geschwindigkeit (und dem daraus theoretisch resultierenden enorm hohen und fragwüdigen Selektionsvorteil) darauf schließen, dass das Auftreten der melanistischen Form irgendwie 'gepusht' werden muss, was der Selektion ordentlich 'unter die Arme' greifen würde. Genau das wäre der Fall, wenn 'enviromental change' ein erhöhtes Auftreten melanistischer Formen induzieren würden, bevor die Selektion überhaupt wirksam werden könnte. Dieses erhöhte Auftreten melanistischer Varianten, würde der Selektion in Richtung der melanistischen Varianten sehr zu gute kommen und die hohe Geschwindigkeit bei der Durchsetzung der melanistischen Formen wäre nicht mehr so erstaunlich."

                             

Ja wenn das so ist! Dann kann allerdings nicht mehr ausgeschlossen werden, daß bereits eine vergleichsweise geringe relative Häufigkeit von auf Birkenstämmen rastenden Birkenspannern ausreichen könnte, um unter dem Einfluß der gerichteten (durch differentiellen Vogelfraß ausgeübten) Selektion die vergleichsweise raschen Allelverschiebungen zu erklären, womit sich die "Rastplatz- bzw. Frequenz-Frage" (Wieviel Prozent befinden sich tagsüber wo?) fast erübrigte.

MAJERUS favorisiert dagegen die Annahme, daß der Selektionfaktor "bird predation" durch Migration überlagert wird; auch in diesem Fall könnte die Frage nach den "Frequenzen" an Bedeutung einbüßen. So betont MAJERUS:

"My view of the rise and fall of the melanic form of the peppered moth is that differential bird predation in more or less polluted regions, together with migration, are primarilty responsible, almost to the exclusion of other factors."

(MAJERUS, 1998, S.155)

                                              

Warum wird dann aber nicht begriffen, daß es zum gegenwärtigen Zeitpunkt überhaupt keinen Sinn macht, GRANT schon einmal vorsorglich, noch bevor alle Karten auf dem Tisch liegen, die schwersten logischen Irrtümer und noch viel Schlimmeres vorzuwerfen, wenn er feststellt, die Birkenspanner: "(...) sit all over the trees, INCLUDING the trunks"?

Dies gilt umso mehr, solange nicht belegt wurde, daß die Rastplatzfrage (Birkenstamm oder Blätterdach?) in qualitativer Hinsicht für das Tarnszenario überhaupt von Bedeutung ist.

                                                                                                                                     

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