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Martin Neukamm (2003):

Evolution und 'Intelligent-Design' (ID)

Ein paar kritische Anmerkungen zu Dembski und den 'Design-Analogien'

                                     

Problemstellung

Der Denkfehler in der Design-Analogie

- Woran erkennt man ein "intelligentes Design" wirklich?

Über die Allerklärungspotenz der ID-Theorie

- Weitere Beispiele vermeintlicher "Designer-Signale"

Der Fortbewegungsapparat des Bakteriums Escherichia coli

- Über die "unheimlichen" Konsequenzen der ID-Theorie                    

Ergänzung / Literatur: Über vermeintliche "Falsifikationskriterien" der ID-Theorie

- POPPER, die Evolutions- und ID-Theorie: Ist die ID-Theorie falsifizierbar?                              

           

Problemstellung                                                                                               

Evolutionskritiker argumentieren gerne mit Analogien, um die Plausibilität von Schöpfungstheorien effektvoll zu unterstreichen. Das heißt, es wird im Hinblick auf Zweck und Plan menschengemachter Konstrukte auf eine ebenso zweck- und planmäßige Konstruktion von Biosystemen, auf die Existenz eines intelligenten Schöpfers geschlossen. Ein Autor (N. Basic) wählt dazu eine Zahlenfolge aus Nullen und Einsen, die eine "verschlüsselte Nachricht" enthält und stellt fest, daß es kein Naturgesetz gibt, welches "(...) die derartigen komplexen Informationen erzeugen könnte, und noch extrem komplexere Informationen sind in unserer DNA gespeichert und 'durchdringen unsere Welt'. Solche komplexen Informationen stammen ausschließlich von Intelligenz und sind 'Design Signale'."

Hinter solchen, längst zum festen Argumentationsrepertoire des Antievolutionismus gehörenden, Konstruktions-Analogien verbirgt sich also die Frage, woran man eine "intelligente Information" erkennen kann. Der Evolutionskritiker W.A. DEMBSKI hat dazu im Rahmen der "Intelligent-Design-Theorie" (ID-Theorie) ein Erkennungsmerkmal für planvolles Handeln vorgeschlagen, welches unter dem Begriff der "spezifischen Komplexität" ("specified complexity") geläufig ist (DEMBSKI, 2002 a). DEMBSKIs Kriterium der "specified complexity" läßt sich kurzerhand wie folgt umschreiben:

Findet man in der Natur ein Objekt, dessen Entstehung (noch) "nicht natürlich erklärt werden kann", das hinreichend komplex ist und ein "spezifisches Muster" trägt, das gewissermaßen dem Objekt aufgeprägt ist (um mit DEMBSKI zu sprechen: "...patterns, which are given independently from the system..."), ist es "spezifisch komplex" und müsse von einer innerweltlichen oder transnaturalen Wesenheit ausgedacht und konstruiert worden sein (DEMBSKI, 1998).


DEMBSKIs Konzept läßt sich am Beispiel eines außerirdischen Radiosignals verdeutlichen, welches, wie wir annehmen wollen, eine komplexe Signatur besäße. Wäre ein Himmelsbeobachter in der Lage, durch Wahl eines geeigneten Dechiffriercodes eine Botschaft (ein "semantisches Muster") in diesem Signal zu erkennen, das der elektromagnetischen Welle aufgeprägt ist, würde man ferner keinen natürlichen Entstehungsprozeß kennen, der das Muster hervorgebracht hat, wäre das Muster nach DEMBSKI "spezifisch komplex" und müsse von einem intelligenten Planer erschaffen worden sein. Wäre dagegen der Wissenschaftler außerstande dem komplexen Signal einen Sinn zu entnehmen, wäre nach DEMBSKI kein sinnvolles, dem Objekt (der Trägerwelle) aufgeprägtes Nachrichten-Muster und somit kein "Design-Signal" vorhanden.


                         

Im folgenden wollen wir das Design-Kriterium kritisch beleuchten. Unser Ziel besteht darin, anhand von Beispielen zu demonstrieren, daß die Analogien auf einem Denkfehler beruhen. Ferner wollen wir aufzeigen, daß DEMBSKIs Konzept nicht hinreicht, um "Design-Signale" analytisch zu erfassen, denn es läßt einen erheblichen Interpretationsspielraum offen, der es praktisch nach Belieben gestattet, Strukturen als "Design-Signale" aufzufassen. Die ID-Theorie ist mit anderen Worten "omniexplanatorisch"; sie kann alles erklären und kann somit nicht als wissenschaftliche Alternative zu naturalistischen Ursprungstheorien infragekommen. Dies wollen wir abschließend anhand eines beliebten Beispiels der ID-Theoretiker erörtern (vgl. dazu auch van TILL vs. DEMBSKI, 2002). Im Nachtrag folgt eine kurze Besprechung der vermeintlichen "Falsifikationskriterien" der ID-Theorie.

                                                                                                                                              

Die Denkfehler in der Design-Analogie

Woran erkennt man ein "intelligentes Design" wirklich?

Spezifisch komplexe Merkmale sollen nach DEMBSKIs Auffassung natürlich nicht nur bei Konstrukten sondern auch und gerade bei Lebewesen in Erscheinung treten. Diese sollen, so wird behauptet, in den "spezifischen Funktionsmustern" der antomischen Merkmale zu finden sein. Ein Lebewesen ist mit anderen Worten nicht nur komplex, sondern auch ein "Meisterwerk" an Synorganisation, das heißt es müssen all seine Merkmale ganz spezifisch aufeinander abgestimmt sein, damit es "funktionieren" kann. Zu diesem "spezifischen Muster" stellt DEMBSKI fest:

"(…) there are functional patterns to which life corresponds, and which are given independently of the actual living systems. An organism is a functional system comprising many functional subsystems. "

(DEMBSKI, 1998)       

                                         

Können wir also darauf vertrauen, daß wir mithilfe DEMBSKIs Konzept "Design-Signale" erkennen können? Der Antievolutionist wird nicht zögern, diese Frage zu bejahen, denn schließlich erkennen wir doch auch in Computern, Uhren, Höhlenmalereien usw. Artefakte intelligenten Ursprungs. Dasselbe gilt offenbar auch für das eingangs erwähnte Radiosignal, welches einen SETI-Forscher mit annähernder Gewißheit die Existenz einer außerirdischen Intelligenz vermuten ließe, ohne daß er dem Gedanken anheimfiele, nach natürliche Entstehungsursachen zu suchen. Daher betont DEMBSKI:

"An unknown material mechanism might explain the origin of the Mona Lisa in the Louvre, or the Louvre itself, or Stonehenge, or how two students wrote exactly the same essay. But no one is looking for such mechanisms. It would be madness even to try. Intelligent design caused these objects to exist, and we know that because of their specified complexity."

(DEMBSKI, 2002 b)

                                     

Die hier gezogenen Parallelen sind jedoch voreilig und beruhen auf einer fehlerhaften Analogie. Doch bevor wir darauf zu sprechen kommen, wollen wir zunächst anhand eines einfachen Beispiels (das mit Vererbung, Variation und Auslese zunächst noch gar nichts zu tun hat!) zeigen, worin der teleologische Fehlschluß der ID-Theorie liegt.

Man stelle sich vor, ein ID-Theoretiker suche nach einer neuen Unterkunft und finde eine Mietwohnung, die genau seinen Vorstellungen entspricht. Die Räumlichkeiten sind prunkvoll möbliert (erfüllen also DEMBSKIs Komplexitätsbedingung), erfüllen auch eine "Funktion" (sie dienen den Menschen als Unterkunft und "tragen" somit ein "Funktionsmuster"), und ihre Entstehung kann nicht natürlich erklärt werden. Das Konstrukt ist also "spezifisch komplex" - ohne zu zögern schließt der ID-Theoretiker anhand DEMBSKIs "Erklärungsfilter" also auf ein planvolles Design.

Ein anderer ID-Theoretiker sucht ebenfalls nach einer Bleibe, begutachtet aber eine durch Bodenerosion gebildete Tropfsteinhöhle. Bei näherer Betrachtung stellt auch er fest, daß sie seinen Anforderungen entspricht: Das Höhleninnere ist in mehrere bewohnbare Kammern unterteilt, ein unterirdischer Fluß beschert ihm fließendes Wasser, und das Gewölbe ist mit kunstvoll verzierten Tropfsteinen ausstaffiert. Natürlich ist die Struktur der Höhle sehr komplex, "funktional" eingerichtet, und die Kalkgebilde an der Decke zeugen von einer abstrakten Schönheit, die "intelligent arrangierte Muster" ("...patterns, which are given independently from the system...") erahnen läßt. Der ID-Theoretiker lebt im 16. Jahrhundert, weiß also nichts über den Entstehungsprozeß von Tropfsteinhöhlen, und selbst wenn er sie kennte, würde er (unter Zugrundelegung falscher Voraussetzungen und in Analogie zu den Evolutionsgegnern) einige Wahrscheinlichkeitsberechnungen anstellen um zu "beweisen", daß solch ein komplexes, "funktionales" und "intelligent arrangiertes" Wohnsystem niemals auf natürlichem Wege entstehen kann! Er verwendet DEMBSKIs Erklärungsfilter und "erkennt" auch hier eine "planvolle Konstruktion".

Dieses nicht ganz der Komik entbehrende Beispiel macht deutlich, daß DEMBSKIs Erklärungsschema alles andere als ein Algorithmus zum "Erkennen" von intelligenten Konstruktionen darstellt, weil es zuhauf "falsch-positive" Ergebnisse liefert.


[Nachtrag 24.02.2004: Es ist also offensichtlich daß Komplexität, Ordnung und Funktionalität gar nicht die relevante Rolle in der "Design-Analogie" spielt, worauf jüngst wieder MAHNER (2003, 131) hingewiesen hat; siehe auch: http://www.martin-neukamm.de/skeptid.html]. Alles, was der ID-Theoretiker somit bewiesen hat ist, daß man zur "richtigen" Schlußfolgerung (Schöpfung/Design) gelangt, wenn man alles dafür Notwendige (nämlich die Auffassung, daß Biosysteme eine "biotic message" enthalten) bereits schon in die Prämissen hineingedeutet hat. Die Pflicht wäre es aber, Belege zu finden, die eben diese Prämisse abstützen, daß also Biosysteme tatsächlich Konstruktionen sind (näheres dazu weiter unten).  
                                         

Doch woran können wir ein "intelligentes Design" überhaupt erkennen? Meines Erachtens gibt es genau drei Kriterien zur Beantworung dieser Frage, die aber nichts mit DEMBSKIs Erklärungsschema zu tun haben (der Leser sei gerne eingeladen, sie kritisch zu prüfen). Wir postulieren: Ein Gegenstand wird dann (und nur dann!) als Artefakt eingestuft, wenn:

                                                            

Doch im Falle von Lebewesen liegen die Dinge ganz anders, denn Biosysteme besitzen emergente physico-chemischen Eigenschaften, die den zum Analogieschluß herangezogenen Maschinen, Werkzeugen und Kunstgebilden rundweg fehlen: Bei Computern, Robotern oder dem Louvre verbietet sich eine Evolution schon deshalb von vorne herein, weil die dafür notwendigen Voraussetzungen nicht existieren. Evolutionsfähige Systeme können sich aus chemischen Gründen nur auf Kohlenstoffbasis bilden; eine dem Kohlenstoff analoge Eisen- oder Siliciumchemie gibt es bekanntermaßen nicht. Darüber hinaus sind diese Dinge aus der Kulturgeschichte bekannt und so zweifelsfrei als Artefakte bestimmbar. Eben aus diesen beiden Gründen müssen die komplexen Objekte ausgedacht und planvoll konstruiert worden sein!

Dahingegen wissen wir, daß organische Moleküle auf der Grundlage physico-chemischer Gesetze entstehen können, hochspezifische katalytische Eigenschaften besitzen und in komplexen Systemen interagieren können. Wir wissen um Vererbung, Mutation und Selektion, wir wissen, daß die Embryonalentwicklung ganz natürlich (biochemisch) "gesteuert" wird, und wir können Evolutionsexperimente mit organischen Molekülen und Lebewesen durchführen. (Gerade diese Eigenschaften sind notwendige Voraussetzungen für Evolution - ob sie auch hinreichend sind, wie die Evolutionsgegner bestreiten, ist ein ganz anderes Thema, dessen Beantwortung der ID-Theorie nichts einbringt!)

Ansonsten wäre die Wissenschaft niemals über die mittelalterlichen Mythen hinausgekommen, weil damals natürlich die Mechanismen der Physik und Chemie noch völlig unbekannt waren. Selbstredend wäre in "grauer Vorzeit", als es noch gar keine wissenschaftlichen Erklärungen gab, die Welt in unheimlicher Weise mit "Design-Signalen" förmlich überflutet gewesen, hätte ein früher Homo sapiens DEMBSKIs Kriterium als heuristische Regel verwendet! Die hierin enthaltene "Lückenbüßer-Theologie" ist also nicht nur "heuristisch ungeschickt", sie bedeutet rundweg Erkenntnis- und Forschungsverzicht und macht das Betreiben von Wissenschaft generell unmöglich!


Halten wir nochmals fest: Die emergenten Eigenschaften lebendiger Systeme (wie etwa die Fähigkeit zur Selbstorganisation und Autoreplikation, Mutabilität, der Unterhalt eines Stoffwechsels usw.), anhand deren wir auf eine Evolution schließen, fehlen Computern, Uhren, dem Bild der Mona Lisa und dem Louvre völlig, so daß alle dahingehenden Analogiebeispiele wertlos werden (MAHNER, 1986, S. 75).  

                                                  

Was schließlich die von DEMBSKI erwähnten Signalreihen und Texte betrifft, so gilt hier grundsätzlich dasselbe: Texte und Sprachen können nicht evolvieren, sie stehen untereinander in keinem Deszendenz- (Abstammungs-) verhältnis, können sich nicht von selbst reproduzieren und keinen Stoffwechsel unterhalten. Darüber hinaus tragen sie  - wie oben erörtert - in den Augen des Empfängers, der sie liest und lesen kann, auch eine "Bedeutung", eine "Botschaft", die auf eine "semantische Übereinkunft", das heißt auf eine Konstruktionsabsicht schließen läßt (1). Daher nimmt es nicht wunder, daß oft versucht wird, Nucleotidbasen und Gene ebenfalls mit einer "Bedeutung" auszustatten, sie mit Symbolen und chiffrierten Texten zu vergleichen und festzustellen, daß es einen "Schöpfer" geben muß, der die Bedeutung ("biotic message") in die "DNA-Texte" hineingelegt hat:

"Thus, it is this semantic character of biological information, which Dembski refers to as Complex Specified Information, that has not been explained by chance and natural law. Although symbols such as the nucleotide bases along the DNA backbone and dots and dashes in the morse code, may carry meaning, only information processing systems or intelligence have been shown to create the meaning that is carried by the symbols."

(STENGER, 2000)

                                      

Hier wird aber übersehen, daß weder die "Passungen" der oben erwähnten Tropfsteinhöhle, noch die funktional angeordneten Merkmale von Lebewesen etwas mit der Bedeutung eines Textes oder Signals zu tun haben. Es statten weder Biomoleküle andere Biomoleküle, noch die Tropfsteine die Höhle mit einer "Bedeutung" aus, und in beiden Fällen werden weder Botschaften noch Erkenntnisse (bestenfalls im metaphorischen Sinne!) an den Betrachter übermittelt. Damit laufen alle Vergleiche auf einen Kategorienfehler hinaus, auf eine Verwechslung des wissenschaftlichen Informationsbegriffs nach SHANNON mit dem semantischen Informationsbegriff der Nachrichtentechnik (v. DITFURTH, 1981; MAHNER und BUNGE, 2000, S. 278). (2)

Die teleologische Argumentation erinnert an den bekannten Kalauer zur Zeit der Schneeschmelze, in dem gefragt wird, woher der Schnee denn wisse, wo Schatten ist. Die Pointe besteht darin, daß sich der Schnee erfahrungsgemäß im Schatten länger hält als in der Sonne. Anders ausgedrückt: Es entstehen auf der Basis physikalischer Gesetzmäßigkeiten, durch selektive Kräfte (Wind, Regen, Wärme), bizarre Strukturen in der verschneiten Landschaft, die von einer reinen "Zufallsverteilung" abweichen und daher bestenfalls so etwas wie eine "SHANNON-Information" beinhalten. Jeder sieht ein, daß es hier unsinnig wäre, in die Struktur eine "semantische Information" ("wo Schatten da Schnee") hineinzulesen und dann auf eine planmäßige Aktion des Schnees oder eines Schöpfers zu schließen (Beispiel nach Herbert Huber).

               

Man sieht, daß man die Informationsterminologie Biosystemen und Genen nur gewaltsam überstülpen und dann auf einen intelligenten Ursprung schließen kann (3). Denn Biosysteme erfüllen keines der drei genannten Kriterien, die zur Erkennung zielgerichtet hergestellter Konstruktionen herangezogen werden. Somit endet die evolutionskritische Argumentation in einer petitio principii, in einem fatalen Zirkel gegenseitiger Selbstbestätigung:

Es wurde weder gezeigt, daß Biosysteme in allen relevanten Eigenschaften mit Texten und Werkzeugen zu vergleichen sind (bzw. aufgrund der uns bekannten Naturgesetze nicht natürlich entstehen können), noch daß sie eine lesbare Botschaft (semantische Information) enthalten, die der eines Textes vergleichbar ist. Alles für die Deutung Notwendige wurde einfach vorausgesetzt, um das gewünschte Ergebnis "vorzufabrizieren". Das Ergebnis ist eine leere Tautologie, die hier lautet: "Design must have a designer!"                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                       

Über die Allerklärungspotenz der ID-Theorie

Weitere Beispiele vermeintlicher "Designer-Signale"

Das Prinzip, daß Theorien nicht alles, sondern gleichsam nur das erklären dürfen, was erklärt werden soll, gehört zu den notwendigen Voraussetzungen wissenschaftlichen Arbeitens. Denn eine Aussage, die alles erklärt, erklärt gar nichts; sie ist grundsätzlich durch keine Beobachtung zu erschüttern oder empirisch zu belegen und hat keinen wissenschaftlichen Wert.

Wie wir gesehen haben, erfüllt die Evolutionstheorie diese Voraussetzung, denn ihre Erklärungskraft beschränkt sich ausschließlich auf Systeme, welche die oben erwähnten, für eine natürliche Umwandlung notwendigen Eigenschaften besitzen. Außerdem schließt sie bestimmte (denkmögliche) Beobachtungen aus, wie etwa die völlige Unähnlichkeit der Arten, einen chaotischen Wandel des Fossilienbestandes usw. Auch das mechanismische Mutations-Selektions-Erklärungsschema kann nicht alle Phänomene (vollständig) erklären und muß daher im Bedarfsfalle um "tiefere" Erklärungsansätze (z.B. um "innere Entwicklungsprinzipien") erweitert werden.

Wie steht es in dieser Hinsicht aber mit der ID-Theorie? Erfüllt auch sie die genannte Voraussetzung? Zur Klärung dieser Frage wollen wir uns einigen weiteren Phänomenen zuwenden, die sich naturgesetzlich beschreiben und verstehen lassen. Prüfen wir also, inwieweit man auch in solchen Fällen unter Anwendung von DEMBSKIs Erklärungsfilter "Design-Signale" ausmachen könnte:

                                                                                                            

                                                                                        

Hier fällt auf, daß sowohl die raffinierten Interaktionen, nichtlinearen Rückkopplungen und inhärenten Eigenschaften solcher Systeme als auch die "unzweckmäßige Schönheit" der beschriebenen Kooperationsphänomene immer dann als "Design-Signale" gedeutet werden, sobald sie in Biosystemen auftreten (vgl. KAHLE, 1999, S. 61; JUNKER und SCHERER, 1998, S. 297). Interessanterweise kommen sie in allen genannten Fällen aber durch Selbstorganisation zustande.

Die Systeme sind sowohl komplex als auch spezifisch in DEMBSKIs Sinne, denn sie weisen "Ordnungsmuster" auf, die man vom materiellen System abstrahieren und mit mathematischen Gleichungen beschreiben kann. Sie sind, metaphorisch gesprochen (!), vom Objekt unabhängig ("...patterns, which are given independently from the system..."), denn sie können bei verschiedenen (voneinander unabhängigen) Systemen in Erscheinung treten, uns gleichsam über die abstrakte Schönheit und Komplexität der Natur "informieren" und uns einen Einblick in die seltsam nichtlineare Welt der Attraktoren gewähren, die man als Manifestation "intelligent arrangierter Zusammenhänge" interpretieren könnte.

Könnte man mit anderen Worten, um im Bild der Kohärenzphänomene zu bleiben, nicht auch die raffinierte Synorganisation von Molekülen (deren nichtlineare Rückkopplungen noch nicht in allen Einzelheiten mechanismisch geklärt sind!) als ein "intelligentes Muster" auffassen und behaupten, daß es unter dem Eingriff oder der Planung eines superintelligenten Konstrukteurs zustandekommen müsse? Immerhin ist kein Ingenieur oder Wissenschaftler in der Lage, ein solches Ausmaß an Synorganisation zustandezubringen!

Gewiß, in allen hier besprochenen Fällen sind die Gesetze, die solche wohlgeordneten Strukturen hervorbringen, weitgehend oder wenigstens teilweise bekannt. Allerdings war dies noch vor rund hundert Jahren grundlegend anders, so daß ein Wissenschaftler, der DEMBSKIs Maßstäbe auf die Phänomene anwenden wollte, auch hier wieder zu dem Schluß gelangt wäre, daß sie ausgedacht worden sein müssen und damit nichts anderes als das wissenschaftlich unbrauchbare (und auch für die Theologie ruinöse!) Lückenbüßer-Argument gebraucht!

Auf der anderen Seite können sich Evolutionskritiker, die sich der Zahlenmystik verschrieben haben, auch heute nicht von der Anschauung losreißen zu behaupten, daß den "magischen" Zahlenverhältnissen, seltsamen Attraktoren und sonstigen Ordnungsmustern, die man in der Natur findet, ein Plan zugrunde liegen müsse. Etwa der Chemiker und Zahlenmystiker Peter PLICHTA vertritt dezidiert diese Auffassung. Er glaubt beispielsweise in den 81 natürlich vorkommenden chemischen Elementen (81 = 93 = [3*3]3) einem unsichtbaren Schöpfungs-Bauplan auf die Schliche gekommen zu sein, der sich uns in Gestalt eines geheimnisvollen Primzahlenkreuzes entbirgt (die Zuordnung gelingt allerdings nur, wenn man die ebenfalls natürlich vorkommenden Elemente jenseits des Bismuts aus der Reihe heraushält). Ähnliche Überlegungen stellt PLICHTA für eine Reihe physikalischer Naturkonstanten an und glaubt felsenfest:

"(...) dass die Natur in einer für uns unbekannten, bisher völlig verborgenen Mathematik und Geometrie angelegt ist. Damit erfüllt sich das griechisch-platonische Erbe, nachdem hinter unserer Welt ein ewiger Plan steht."


Daher läßt sich kurzerhand feststellen: Man kann mithilfe der ID-Theorie nahezu beliebige Spekulationen über den Schöpfungsakt anstellen, denn jeder Antievolutionist ist in der Lage (ausreichend Phantasie vorausgesetzt), in praktisch jedes Naturgesetz, wohlstrukturierte Objekt und in jeden "Attraktor" eine "spezifische Komplexität" hineinzuinterpretieren und über Design zu räsonieren. Eine "Design-Theorie" erklärt letztlich alles und daher gar nichts.

                                    

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Einschätzung der Evolutionskritiker JUNKER und SCHERER, die - obgleich sie dies viel vorsichtiger formulieren - fairerweise eingestehen, daß "Design-Signale" kaum analytisch, sondern praktisch nur intuitiv "festgestellt" werden können. Damit wird DEMBSKI, der ja mit den Ziel antrat, mithilfe seines Konzepts Design-Signale völlig objektiv, wenn nicht gar "theoriefrei" und naturwissenschaftlich stichhaltig nachzuweisen, auch aus dem Lager der Evolutionsgegner (gewollt oder ungewollt) widersprochen, obgleich auch die Autoren von der Existenz solcher "Botschaften" überzeugt sein dürften:             

"Design-Signale lassen sich auf der intuitiven Ebene sehr leicht erkennen, sofern man solche Intuitionen aufgrund von Weltanschauung und Erziehung nicht verdrängt oder wegrationalisiert. Auf der analytischen Ebene sind Design-Signale jedoch sehr schwer zu fassen. Um ein Design-Signal nach obiger Definition schlüssig zu belegen (und nicht nur zu vermuten), sollten alle natürlichen Evolutionsprozesse sowie die Struktur-Funktionsbeziehungen des fraglichen Systems hinreichend gut verstanden sein. Weil dies eine kaum zu erfüllende Forderung ist, läuft ein nicht unwesentlicher Teil der Design-Signalerkennung auf der intuitiven Ebene ab und ist dementsprechend von persönlichen Meinungen mitbestimmt." Und noch deutlicher heißt es da auf S. 306: "Zweifellos kann der naturwissenschaftliche Nachweis, daß es sich bei Design-Signalen um 'Nachrichten' des Schöpfers an seine Geschöpfe handelt, niemals geführt werden."

(JUNKER und SCHERER, 1998, S. 297, 306)

                                                                             

Während JUNKER und SCHERER aber eher die Auffassung zu vertreten scheinen, daß die "Signalerkennung" an rein praktischen Hürden scheitert (damit aber auch den praktischen Wert der ID-Theorie nahezu entwerten), habe ich zu begründen versucht, daß dies nicht einmal prinzipiell möglich ist, weil die Deutung praktisch in jedem Falle gelingt und daher alles und nichts erklärt. Damit unterscheidet sich der methodologische Status von Schöpfungstheorien fundamental von den Evolutionstheorien. 

                                                                                                                                                                              

Der Fortbewegungsapparat des Bakteriums Escherichia coli

Über die "unheimlichen" Konsequenzen der ID-Theorie

Warum "ID-Theoretiker" nicht in der Lage sind, in biologischen Merkmalen "Design-Signale" zu erkennen sondern diese gleichsam immer nur "vorfabrizieren" können, wollen wir abschließend an einem illustrativen Beispiel erörtern, das zu den Paradebeispielen der ID-Theorie zählt. Es handelt sich um den Fortbewegungsapparat des Bakteriums Escherichia coli.

Aus der Zellwand dieses Einzellers ragt ein haarfeines Proteinfilament aus Flagellin. Diese Geißel wird durch einen Miniatur-Rotationsapparat angetrieben, der in die Cytoplasmamembran eingebettet und aus verschiedenen, paßgenau synorganisierten Proteinmolekülen zusammengesetzt ist:

The flagellum is an acid-powered rotary motor with a whip-like tail whose rotating motion enables a bacterium to navigate through its watery environment. Behe shows that the intricate machinery of this molecular motor - including a rotor, a stator, O-rings, bushings, and a drive shaft - requires the coordinated interactions of about thirty proteins and another twenty or so proteins to assist in their assembly.

(DEMBSKI,  2002 a, S. 249 f., zitiert nach van TILL, 2002)

                                          

Diese Konstruktion ist also zweifelsohne hochkomplex. Da sie auch eine Funktion erfüllt, wird ihr eine "spezifische" Komplexität zugeschrieben und muß also, so ist es in evolutionskritischen Kreisen Legion, von einer höheren Intelligenz ausgedacht worden sein. Wie hielten es die ID-Theoretiker nun aber mit ihrem "Design-Signal", wenn das Flagellum aus irgendwelchen Gründen nicht (mehr) zur Umwelt des Bakteriums passen würde, wenn es also seine "Außenfunktion" verlöre, an welcher DEMBSKI ja nachgerade das Erkennen von "spezifischer Komplexität" und "Intelligenz" bei den Lebewesen festgemacht hat? Dann würde der hochkomplexe Fortbewegungsapparat in den Augen der ID-Theoretiker entweder gar nicht als Design erkannt, oder er würde ganz plötzlich zu einer (evolutionären) "Nonsens-Konstruktion" degradiert!

Dahingegen "tauchten" jetzt natürlich wiederum an anderen Stellen, gewissermaßen "ex nihilo" (!), neue "Design-Signale" auf. Diejenigen Merkmale nämlich, die jetzt schlagartig zu den neuen Umweltbedingungen "passen", in den Augen des Evolutionsgegners bislang aber nur "evolutionären Ausschuß" darstellten, wandeln sich nun auf "geheimnisvolle" Weise zum "Design". Diese merkwürdigen Konsequenzen (aus "evolutionärem Ausschuß" wird "Design" und umgekehrt) hat auch van TILL an DEMBSKIs Design-Kriterium kritisiert:

"On what basis can Dembski assert, for instance, that 'Biological specification always refers to function'? (...) What is the specific function of the flagellum that warrants being counted as .... 'Design'? a detachable specification pattern? Its function as a means of locomotion? Apparently not (...) The base pair sequence pattern is like a blueprint for the flagellum. But the pattern itself would never be recognized unless it were first provided the appropriate environmental context and allowed to express itself in the formation of a flagellar appendage to a bacterial cell. The base-pair sequence pattern in question is not detachable, and the flagellum is not specified in the particular sense required by Dembski's complexity-specification criterion."

(v. TILL, 2002)                                                                     

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Fußnoten:

(1) Dahingegen ist der semantische Informationsgehalt eines Textes in den Augen derer, die ihn nicht lesen und verstehen können, gleich Null. Alles, was sie durch ihre wissenschaftlichen Analysen herausfinden könnten, ist, daß die Zeichenfolge von einer rein zufälligen (statistischen) Verteilung abweicht. Würden wir die Wörter und Buchstaben so vertauschen, daß sich am Grad der Ordnung nichts verändert, könnten sie am Gehalt der semantischen Information keinerlei Unterschied feststellen; sie wäre für sie in beiden Fällen gleich Null! Sie könnten allenfalls in die kryptischen Symbole und Wörter eine beliebige Bedeutung (in der ihm eigenen Sprache) hineindichten, also dem Text willkürlich eine semantische Information unterschieben aber nicht wissenschaftlich auf eine planvolle Handlung schließen!

(2) Wenn beispielsweise ein Aminosäuremolekül Glycin an das Nucleotidbasentriplett GGC eines t-RNA-Moleküls koppelt (GGC also für Glycin "codiert"), kann man daraus nicht schließen, daß vorher eine semantische, auf einen Designer zurückzuführende, Übereinkunft getroffen werden mußte, wie dies bei Texten der Fall ist. Im Falle der Kopplung spielen ja eigengesetzliche Aspekte eine Rolle, die auf den physico-chemischen Eigenschaften der Moleküle beruhen. So stellt hier GGC das stabilste, am häufigsten vorkommende Basentriplett dar, die Aminosäure Glycin die am häufigsten vorkommende Aminosäure. Der "genetische Code" richtet sich auch nach der Stabilität der Wasserstoffbrückenbindungen aus, das heißt die "Semantik" (wenn man hier den Terminus im metaphorischen Sinne gebrauchen will) hat eine naturgesetzliche Begründung (Beispiel nach v. DITFURTH, 1981). Auch die Bildung bestimmter Biomoleküle ist thermodynamisch und reaktionskinetisch begünstigt (ihre Mengenausbeute ist also höher als bei einer reinen Zufallsverteilung), während wiederum andere Biomoleküle aus denselben Gründen gar nicht erst entstehen. (Bio-) Chemische Prozesse lassen sich also weder mit den sattsam bekannten (meist wahrscheinlichkeitstheoretisch untermauerten) Rüttel- und Schüttelanalogien der Evolutionsgegner in Zusammenhang bringen, noch lassen sich deren Produkte zwingend auf intelligente Entstehungsursachen zurückführen (MAHNER, 1986).             

(3) DEMBSKIs Informationismus stellt im übrigen eine klassische Reifikation dar. Indem DEMBSKI nämlich behauptet, "Muster" zu erkennen, die dem Objekt "aufgeprägt" seien, behandelt er diese als reale, von materialen Systemen abgekoppelte (an sich existierende) Dinge. Noch niemand hat aber je ein Stück reine Information oder ein Muster an sich gesehen (KANITSCHEIDER, 1999). Der Wissenschaftler sieht in Strukturen stets Eigenschaften materialer Systeme - sie existieren nicht "vor" sondern gleichsam "in den Dingen". Selbst semantische Information setzt hochevolvierte Gehirne voraus, die sie denken können; sie sind Konstrukte und als solche nicht real.                          

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Copyright (c) by Martin Neukamm, 22.06.2003          Last update: 05.12.2003


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