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Martin Neukamm (2003):

Evolution und 'Intelligent-Design' (ID)

Ein paar kritische Anmerkungen zu Dembski und den 'Design-Analogien'

                                                     

Ergänzung / Zusammenfassung: Über vermeintliche "Falsifikationskriterien" der ID-Theorie

POPPER, die Evolutions- und ID-Theorie: Ist die ID-Theorie falsifizierbar oder eine rein dogmatische Lehre?

Wie bereits erwähnt, können nur Theorien als wissenschaftlich gelten, die nicht alles erklären. POPPER hat daher festgestellt, daß wissenschaftliche Theorien wenigstens prinzipiell (logisch) widerlegbar (falsifizierbar) sein müssen, das heißt es muß eine Reihe von denkmöglichen Beobachtungen geben, welche die Theorie vor Erklärungsprobleme stellen. Solche logischen Falsifikationen zwingen die Wissenschaftler dazu, ihre Theorien mit (wiederum prüfbaren) Stützhypothesen anzureichern, sie gehaltsvermehrend zu modifizieren und/oder weiterzuentwickeln.

Wie erinnerlich sind die Evolutionstheorie sowie all ihre Hypothesen (etwa die DARWINsche Deszendenzthese) prinzipiell widerlegbar, das heißt, man kann nicht problemlos alles mit ihnen in Einklang bringen.

POPPER schreibt daher über die Evolutionstheorie:

"Die allgemeine Evolutionstheorie, also die Behauptung, daß das Leben auf der Erde in langsamer Entwicklung zu dem geworden ist, was es ist, hat eine außerordentliche Überzeugungskraft. Sie erlaubt Annäherungen so unterschiedlicher Gebiete wie der Paläontologie, der Embryologie und sogar gewisser Bereiche der Medizin. Viele sehr unterschiedliche Probleme finden so durch sie eine Art gemeinsame Erklärung. Es ist wenig wahrscheinlich, daß sie jemals ernsthaft in Frage gestellt wird. Natürlich ist sie überprüfbar. Und natürlich könnte sie widerlegt werden, wenn man die Reste eines Autos in Gestein aus dem Kambrium fände."

(POPPER, 1994)

                                       

Dessen ursprüngliche Ansicht, die Selektionstheorie ("Darwinismus") sei im Gegensatz zur "allgemeinen Evolutionstheorie" (damit meint POPPER die Deszendenzthese) nicht testbar, hatte POPPER übrigens revidiert:

"The Mendelian underpinning of modern Darwinism has been well tested and so has the theory of evolution which says that all terrestrial life has evolved from a few primitive unicellular organisms, possibly even from one single organism."

"It does appear that some people think that I denied scientific character to the historical sciences, such as palaeontology, or the history of the evolution of life on Earth. This is a mistake, and I here wish to affirm that these and other historical sciences have in my opinion scientific character; their hypotheses can in many cases be tested."

(POPPER, 1978, S 344; POPPER, 1981, S. 611)

                 

Wie besprochen, läßt sich die ID-Theorie jedoch nicht testen, obgleich eine Reihe von Evolutionsgegnern anderslautende Behauptungen aufstellen und scheinbare "Falsifikationskriterien" präsentieren, um den wissenschaftlichen Status ihres Schöpfungsparadigmas zu unterstreichen.

So betont RAMMERSTORFER, 2003 (Hervorhebungen im Schriftbild von mir):

"(...Aus der ID-Theorie) ergeben sich folgende Erwartungen an den Datenbestand: (...) Enorme Komplexität ist zu erwarten (...) Eine Deszendenz der Arten ist nicht zu erwarten, sondern eine reiche aber letztlich begrenzte Variabilität (... die...) Vererbung (muß) bestimmten Gesetzmäßigkeiten unterworfen sein (... die)  Arten (müssen) entweder aussterben oder (im wesentlichen) unverändert überleben. (...) Ähnlichkeiten sind grundsätzlich zu erwarten, allerdings sollten sie in ihrer Verteilung schwer in ein evolutionäres Modell integrierbar sein (Konvergenzen), da ein Designer keine Rücksicht auf irgendwelche realgenetischen Abstammungen nehmen muss (...) Eine Grunderwartung an den Fossilbericht ist, dass dieser diskontinuierlich verläuft (...) Eine weitere Grunderwartung an den Fossilbericht ist, dass die meisten fossilen Formen auf ihrem Organisationsniveau nicht nachweisbar primitiver sind als rezente, bzw. das auch fossile Formen komplex und nicht in irgendeiner Weise „primitiv“ und „unfertig“ erscheinen. (...) Es sind Konstruktionen zu erwarten, die komplexer und raffinierter sind, als dies allein durch die Funktion bedingt wird. (Genau das sind typische Sachverhalte, die eine Überprüfung auf Intelligent Design notwendig machen.) Diese und zahlreiche weitere Befunde sind auf Basis der I.D.-T. zwanglos erklärbar, sie stimmen mit den Erwartungen überein."

Und LÖNNIG schreibt auf seiner Homepage:

"Im Gegensatz zur S.E. macht die Intelligent- Design-Theorie klare Voraussagen, und zwar (a) über die Möglichkeiten und Grenzen der Evolution aufgrund genetischer Gesetzlichkeiten (vgl. das Gesetz der rekurrenten Variation). (b) Für die paläontologische Forschung rechnet sie bei fossil sehr gut überlieferten, aber noch unzureichend gesammelten und/oder analysierten Formen mit der Verdoppelung bis Vervierfachung der Zahl der bisherigen Mosaiktypen im Zuge der weiteren Arbeit (siehe Diskussion dazu) . Aufgrund dessen sagt sie weiter voraus, (c) dass auch bei vollständiger Überlieferung und Entdeckung aller Arten und Gattungen einer größeren Tier- oder Pflanzengruppe (Familie, Ordnung, Klasse, Stamm/Abteilung) der regelmäßig festgestellte "leere Raum des Ursprungs" (Overhage) nicht durch kontinuierliche Übergangsserien überbrückt werden wird."

                   

Wir wollen im folgenden kurz erläutern, weshalb die hier genannten Kriterien, in Wahrheit keine sind:       

a.) Strukturen, die "komplexer und raffinierter sind, als dies allein durch die Funktion bedingt wird" (KAHLE, 1999, S. 61 spricht hier von "unzweckmäßiger Schönheit") lassen sich ebenso problemlos als "Design-Signale" deuten bzw. aus der ID-Theorie schlußfolgern, wie zweckmäßige Funktionalität (DEMBSKI, 1998). Wie also könnten "nicht designte" Merkmale bei Lebewesen überhaupt ausssehen? Die Antwort steht bis heute aus. Dahingegen sah sich DARWIN außerstande, z. B. "unzweckmäßige Exzessivbildungen" allein mithilfe der Milieu-Selektion zu erklären; er hat dazu die Hypothese der "sexuellen Selektion" bemüht.

b.) Wären alle Arten - von der morphologischen bis hinab zur molekularen Ebene - völlig verschieden, wäre vermutlich nie eine Evolutionstheorie entstanden, denn bei der abgestuften Formenähnlichkeit handelt es sich um eine logische Erwartung der Deszendenzhypothese. Der ID-Theoretiker behauptet nun, die Formenählichkeit sei das Manifest eines "einheitlichen Schöpfungsplans": ("This is one unified system of life; attributable to only one designer."; ReMINE, zitiert nach LÖNNIG). Doch natürlich könnte man auch die völlige Unähnlichkeit der Arten mit der "grenzenlosen Phantansie" des "Designers" erklären. Weder könnte ein Naturgesetz "only one designer" dazu zwingen, abgestuft ähnliche Arten zu erschaffen, noch muß ein Team aus Schöpfern lauter unterschiedliche Arten hervorbringen. "Ähnlichkeiten sind also nicht streng logisch zu erwarten"; die ID-Theorie wird im Lichte gegenteiliger Befunde nicht widerlegt.

c.) Aus der ID-Theorie lassen sich keinerlei logischen Schlußfolgerungen über die Natur des Fossilienbestandes ziehen: Während die Deszendenzthese logisch widerlegt wäre, wenn nicht stets die einfach strukturierten Lebewesen den komplexen chronologisch vorangestellt wären (Anagenese), spielt es in der ID-Theorie keine Rolle, ob das Leben komplex oder einfach begonnen hatte. Was könnte einen "Designer" daran hindern, zunächst Säugetiere und später Einzeller oder gar alle Organisationstypen gleichzeitig zu erschaffen, wie im Kreationismus (sensu stricto) behauptet wird?

d.) Die ID-Theorie behauptet, daß die überwiegende Zahl aufgefundener Zwischenformen diskret erschaffen wurde. Wären jedoch überhaupt keine Zwischenformen auffindbar und mit Ausnahme des Menschen keine weitere Spezies existent, wäre zwar die Deszendenzhypothese prinzipiell widerlegt, nicht aber die ID-Theorie. In diesem Falle wäre der Mensch als einziges Wesen ein "lebender Beweis" für ein hinter dem Schöpfungsplan stehendes Ökonomieprinzip.

e.) Während die Faktizität eines extrem lückenhaften ("sprunghaften") Fossilienbestands den Gradualismus vor Erklärungsprobleme stellt, läßt sich dieser Befund dagegen ebenso problemlos aus der ID-Theorie schlußfolgern wie das zahlreiche Auffinden evolutionstheoretisch unumstrittener Übergangsformen. Bei der angeblich zu erwartenden "Verdoppelung bis Vervierfachung der Zahl der bisherigen Mosaiktypen" handelt es sich also um ein scheinwissenschaftliches Phantasieprodukt: Was könnte den "Designer" daran hindern, fünfzehn-, hundert-, zwei Millionenmal soviele oder überhaupt keine Mosaikformen zu erschaffen? Es spielt letztlich überhaupt keine Rolle, ob der Fossilienbestand kontinuierlich oder diskontinuierlich verläuft, denn jede neu gefundene, fossile Art verkörpert immer nur einen diskreten Repräsentanten eines (denkmöglichen) Formenkontinuums. Daher könnte man bei jedem nur denkbaren Bindeglied immer behaupten, es mit einer weiteren (diskret erschaffenen) Art zu tun zu haben.

f.) Die "enorme Komplexität" der Lebewesen läßt sich aus der ID-Theorie ebenso schlußfolgern wie das Gegenteil. Denn auch kausaltheoretisch einfach durchschaubare Zusammenhänge können unter Rekurs auf "Intelligenz" erklärt werden (so ließe sich beispielsweise hinter der Tatsache, daß regelmäßig jeden Winter Schnee fällt, ein intelligenter Plan bzw. ein "chronologisch wiederkehrendes Signal" vermuten). Hier handelt es sich keinesfalls um ein "Falsifikationskriterium"!

g.) Auch eine bewiesene "Makroevolution" widerlegt nicht die ID-Theorie, denn diese Behauptung ist nicht logisch aus der Theorie zu schlußfolgern. Warum sollte ein Schöpfer, der immer wieder für die "Feinabstimmung" der Naturkonstanten verantwortlich gemacht wird, nicht auch "Evolutionsgesetze" erschaffen haben? Was hielte ihn davon ab, gelegentlich "intelligent" in die Evolution einzugreifen, wenn es ihm gefiele? Was hielte wiederum ID-Theoretiker davon ab, auch im Falle einer nachgewiesenen "Makroevolution", einige noch ausstehende Detailerklärungen als "Beweis" für den sporadischen "Eingriff" des Kreators zu deuten?

               


Antievolutionisten haben also, so scheint es, den metatheoretischen Gesichtspunkt nicht verstanden, daß Theorien immer nur auf der Grundlage von Gesetzesaussagen logisch widerlegt werden können. Nur aus Gesetzesaussagen lassen sich logisch spezifische Folgerungen ableiten, die man testen kann. Es ist aber deutlich geworden, daß sich der Schöpfer selbst nicht an innerweltliche Gesetze zu halten braucht, wenn er sie "erschaffen" hat. Ein Wesen, das buchstäblich jenseits der kausalgesetzlich strukturierten Welt steht, kann alles! Und ein Explanans, das alles erklärt, erklärt nichts und ist prinzipiell nicht widerlegbar (vgl. MAHNER, 1989; SOBER, 1993). Wie, so kann man fragen, müßte ein Lebewesen überhaupt aussehen, um zu dem Schluß zu gelangen: "Nein, hier haben wir uns geirrt, dieses Lebewesen trägt keine Design-Signale, weil..."? Solange die Frage niemand überzeugend beantworten und erörtern kann, was die ID-Theorie erklärt und wie sie die Wissenschaft weiterbringen könnte, besitzt sie keine wissenschaftlichen Qualitäten. POPPER schreibt dazu:

"His (DARWINs) theory of adaptation was the first nontheistic one that was convincing; and theism was worse than an open admission of failure, for it created the impression that an ultimate explanation had been reached."

(POPPER 1976, S. 172)


                      

Quellennachweis

Briggs J, Peat FD (1990) Die Entdeckung des Chaos. München

Dembski WA (1998) Intelligent Design as a Theory of Information. http://www.arn.org/docs/dembski/wd_idtheory.htm

Dembski WA (2002 a) No Free Lunch: Why Specified Complexity Cannot Be Purchased Without Intelligence. Lanham MD: Rowman & Littlefield Publishers, Inc.

Dembski WA (2002 b) Does Evolution eben have a Mechanism? http://www.designinference.com/documents/04.02.AMNH_debate.htm

Ditfurth H v. (1981) Wir sind nicht nur von dieser Welt. Hamburg

Junker R, Scherer S (1998) Evolution - Ein kritisches Lehrbuch, Weyel

Kahle H (1999) Evolution - Irrweg moderner Naturwissenschaft? Mindt. Bielefeld

Kanitscheider B (1999) Es hat keinen Sinn, die Grenzen zu verwischen. Spektrum der Wissenschaften, 11, S. 80-83

Lönnig WE (2002) Die Synthetische Evolutionstheorie und die Intelligent-Design-Theorie: Ein Vergleich. URL: http://www.weloennig.de/IntelligentDesign.html

Mahner M (1986) Kreationismus - Inhalt und Struktur antievolutionistischer Argumentation. Berlin

Mahner M (1989) Warum eine Schöpfungstheorie nicht wissenschaftlich sein kann. Praxis der Naturwissenschaften - Biologie 38(8), S. 33-36

Mahner M, Bunge M (2000) Philosophische Grundlagen der Biologie. Berlin

Mahner M (2003) Hume, Paley und das Design-Argument. Skeptiker 16 (4), S. 131

Popper KR (1976) Unended Quest. An Intellectual Autobiography. LaSalle, IL: Open Court

Popper KR (1978) Natural Selection and the Emergence of Mind. Dialectica, 32, S. 339-355

Popper KR (1981) Letter. New Scientist, 87, S. 611

Popper KR (1994) Die Wege der Wahrheit - zum Tode von Karl Popper. In: Aufklärung und Kritik 2/1994, S. 38 ff.

Rammerstorfer M (2003) Eine Theorie zur Signalerkennung und ihre (möglichen) Folgen. URL: http://members.aon.at/evolution/

Sober E (1993) Philosophy of Biology. Westview Press. Boulder             

Stenger VJ (2000) A Rebuttal to 'Intelligent Design the new Stealth Creationism'. http://www.intelligentdesignnetwork.org/stenger%20rebuttal.htm

Till HJ v. (2002) E. Coli at the No Free Lunchroom: Bacterial Flagella and Dembski’s Case for Intelligent Design. http://www.counterbalance.net/id-hvt/id-hvt-print.html

                     

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