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Ia. Wissenschafts-
und erkenntnistheoretische Grundlagen
Schöpfungstheorien in der
wissenschaftstheoretischen Kritik
Wie im letzten Abschnitt deutlich wurde, ist allen Schöpfungstheorien
- neben einer Reihe unterschiedlicher Hypothesen - die Schöpfungshypothese
gemein, welche den Eingriff einer übernatürlichen Wesenheit bei
der Entstehung des Universums und des Lebens behauptet. Die Schöpferthese
soll nach dem Verständnis der Evolutionsgegner nicht "weniger
wissenschaftlich" sein als DARWINs Deszendenzhypothese, gleichzeitig wird
dem Abstammungsgedanken der naturwissenschaftliche
Status abgesprochen. Es erscheint daher notwendig,
am Beispiel von Schöpfungstheorien die Frage zu erörtern, welchen
Kriterien wissenschaftliche Theorien und Hypothesen genügen
müssen.
1. Die Unwissenschaftlichkeit von
Schöpfungstheorien
Warum eine Schöpfungstheorie nicht wissenschaftlich sein kann
In der Literatur werden zahlreiche Kriterien zur Abgrenzung von Wissenschaft
und Nichtwissenschaft diskutiert (vgl. z. B. RADNER und RADNER
1982; VOLLMER, 1995; DUTCH, 2000; MAHNER, 2002 b),
doch scheint es unmöglich, Wissenschaft anhand einzelner
wissenschaftsphilosophischer Prinzipien hinreichend zu beschreiben.
Deshalb wird von BUNGE ein umfangreicher Wertekanon zur Charakterisierung
von Wissenschaft vorgeschlagen, anhand dessen MAHNER die Unwissenschaftlichkeit
des Kreationismus aufzeigt (BUNGE, 1984; MAHNER, 1986, S.
26-38).
VOLLMER, 1995 hat insbesondere sechs notwendige Merkmale
erfahrungswissenschaftlicher Theorien und Hypothesen bestimmt, von denen
die vier wichtigsten kurz benannt werden sollen: Die Mininalforderung ist
die sogenannte innere Widerspruchsfreiheit ("interne Konsistenz").
Das bedeutet, Theorien dürfen keine logisch widersprüchlichen Aussagen
enthalten oder zu logischen Konfusionen führen, wenn man sie weiterverfolgt.
Wichtig ist desweiteren das Kriterium der Prüfbarkeit:
Wissenschaftliche Aussagen (-systeme) müssen testbar, oder
eingeschränkter: prinzipiell bzw. logisch widerlegbar
(falsifizierbar) sein. Die prinzipielle Falsifizierbarkeit ist
eine notwendige Vorbedingung für ein weiteres Charakteristikum,
nämlich die Erklärungsmacht von Hypothesen und Theorien.
Sie sollen in der Lage sein, einen bislang unerklärten Sachverhalt
erklären können. Schließlich müssen wissenschaftliche
Aussagengebilde auch eine äußere Widerspruchsfreiheit
("externe Konsistenz") aufweisen. Damit ist gemeint, daß sie sich
gewinnbringend in das Theoriennetzwerk der Naturwissenschaften einfügen,
mit dem Großteil unseres "Hintergrundwissens" kompatibel sind und
die Theorien benachbarter Wissenschaftsbereiche heuristisch befruchten
(VOLLMER, 1995, S. 101).
Im folgenden wollen wir die drei zuletzt genannten Kriterien etwas
ausführlicher erörtern. Es gilt zu zeigen, daß
Schöpfungstheorien prinzipiell nicht falsifizierbar sind, keine
Erklärungsmacht besitzen und das Charakteristikum der externen Konsistenz
verfehlen.
1.1. Prinzipielle Falsifizierbarkeit und wissenschaftliche
Erklärung
Warum Schöpfungstheorien nichts erklären
Die übliche Strategie, um Schöpfungstheorien einen wissenschaftlichen
Status zu verschaffen, gründet in der Feststellung, daß Beobachtungen,
die zur Bestätigung der Evolutionstheorie herangezogen werden, auch
im Lichte der Schöpfungsthese interpretiert werden können.
Damit wird auf die altbekannte Tatsache zurückgegriffen, daß
Wissenschaftler immer von Annahmen ausgehen müssen, die sich nicht streng
logisch beweisen lassen. So betont beispielsweise KUHN:
"Ähnlichkeit kann aber auch auf einen Plan
zurückgehen, und (...) Morphologen wie Louis Agassiz, einer der
größten Morphologen aller Zeiten, haben die Formenähnlichkeit
der Organismen auf den Schöpfungsplan, nicht auf Abstammung
zurückgeführt."
(O. KUHN, zitiert nach LÖNNIG, 1989)
Was also spricht gegen den wissenschaftlichen Charakter einer
Schöpfungstheorie? Zur Erhellung dieser Frage wollen wir (teilweise
in Anlehung an MAHNER, 2002 a) folgendes Szenario
erörtern:
Man stelle sich einmal vor, es gäbe keine
abgestufte Formenähnlichkeit zwischen den Arten - jede Art wäre
bis in den molekularen Bereich hinein vollkommen verschieden von jeder anderen.
Oder man stelle sich vor, die Fossilien würden in den geologischen
Schichten völlig regellos aufeinanderfolgen, alle systematischen
Organismengruppen wären gleichzeitig entstanden oder wir
lebten auf einer erst wenige tausend Jahre alten Erde. Jeder
einzelne derartige Befund würde die Evolutionstheorie logisch
widerlegen, ja in einer solchen Welt wäre vermutlich gar keine
Evolutionstheorie entstanden. Denn hierbei handelt es sich um Phänomene,
die den Folgerungen der (in eine mechanismische Evolutionstheorie
eingebetteten) Abstammungshypothese DARWINs widersprechen: Wenn "strukturelle
Ähnlichkeit" vererbt wird, wenn es zugleich Variation sowie einen
allmählichen Wandel der Arten gibt und wenn die
Abstammungshypothese stimmt, dann müssen abgestufte
Ähnlichkeiten zwischen den Arten feststellbar sein, die Organisationsformen
im Fossilienbestand geordnet aufeinanderfolgen usw.
Die Methode der Theorienprüfung sowie die Logik der (sogenannten
deduktiv-nomologischen) Erklärung besteht kurzerhand darin, daß
man aus den Gesetzesaussagen einer Theorie T (sowie aus einer
Reihe von Randbedingungen) einen zu erklärenden Sachverhalt
A schlußfolgert (HEMPEL und OPPENHEIM, 1948). Wird
die Folgerung nicht bestätigt, ist die Theorie prinzipiell
widerlegt (aus T folgt A; Nicht-A, also nicht T) und muß
modifiziert oder schlimmstenfalls aufgegeben werden.
Auf die Schöpfungshypothese ist dieses methodologische Prinzip jedoch
nicht anwendbar:
Natürlich kann man zwar die Ähnlichkeit zwischen den Arten
als ein Resultat des Schöpfungsplans deuten. Der Schöpfer ist jedoch
völlig frei in seinem Willen, so daß natürlich auch das Szenario
der völlig unähnlichen Arten seinem unerforschlichen
Ratschluß entsprungen sein könnte (vgl. MAHNER, 2002
a). (1) Ganz entsprechend
könnten wir den systematischen, gleichzeitig aber auch den
völlig unsystematischen Wandel des Fossilienbestands mit
Schöpfung vereinbaren. Selbstverständlich kann man das Fehlen
von fossilen Zwischenformen in Schöpfungsmodellen ebenso problemlos
unterbringen, wie den Nachweis beliebiger Bindeglieder (denn es
können ja alle überhaupt denkbaren Fossilien stets als diskret
erschaffene Arten gedeutet werden). Natürlich könnte man mit der
Schöpfungshypothese eine alte Erde, gleichzeitig aber auch eine
ganz junge Erde vereinbaren, und auch die gleichzeitige Entstehung
aller Organisationsformen wäre kein Problem für sie.
CHALMERs macht deutlich, daß eine Theorie
oder Hypothese, die alle möglichen Fälle der Beobachtung
gleichermaßen problemlos zu schlußfolgern erlaubt,
nicht wissenschaftlich sein kann. Er bemerkt dazu:
"(...) nur durch das Ausscheiden einer Menge logisch
möglicher Beobachtungsaussagen ist ein Gesetz oder eine Theorie
aussagekräftig (...andernfalls) teilen uns die Aussagen (...) nichts
über die Wirklichkeit mit (...) Gerade weil das Gesetz definitive Aussagen
(...) macht, besitzt es einen Informationsgehalt und ist
falsifizierbar."
(CHALMERS, 2001, S. 54 f.)
Hier könnte man selbstverständlich
einwenden, daß es eine Reihe ganz unterschiedlicher
Schöpfungstheorien gibt, die definitive Aussagen zum "intelligenten
Designer" bzw. zum Schöpfungsmodus enthalten und daher keineswegs
mit allen möglichen Beobachtungen in Einklang stehen. So lassen
sich beispielsweise mit dem kreationistischen Schöpfungsmodell
(dem zufolge die Welt vor rund 6000 Jahren und alle "Grundtypen" gleichzeitig
erschaffen wurden) die radiometrische Altersbestimmung der Erde sowie der
Fossilienbefund, der von einer stufenweisen Entstehung immer komplexerer
Organisationsformen zeugt, nicht vereinbaren. Wie wir gesehen haben, gilt
dies jedoch nicht für die Schöpfungshypothese (die Idee
der "Schöpfung an sich"); sie kann -
im Gegensatz zur DARWINschen Abstammungshypothese (der Idee der
"Evolution an sich") - nicht einmal im Prinzip an der Beobachtung
scheitern.
LÖNNIG, 1991 widerspricht jedoch dieser Behauptung und
gibt als Falsifikationskriterium den Befund an, "dass das Leben und die
Information für komplexe Strukturen und Organe allein aufgrund
physikochemischer Gesetzmäßigkeiten entsteht (Abiogenese)".
Doch selbst dann, wenn "Makroevolution" im Experiment nachgewiesen wäre,
wäre die Existenz eines Schöpfers keineswegs logisch widerlegt.
Niemand könnte die Hypothese falsifizieren, daß der Schöpfer
nicht doch nach Belieben in die Evolution eingreift, eingegriffen hat, oder
daß die Evolution historisch gesehen überhaupt so abgelaufen ist,
wie es in unserem Szenario aufgezeigt wurde (JUNKER und SCHERER, 1998,
S. 17). Die (wissenschaftlich inakzeptable) Orientierung am
Empirismus (vgl. Kapitel Ib.2) eröffnet dem Schöpfer
immer eine Hintertür, ganz gleich wie die Daten aussehen.
Alles in allem stellt MAHNER dazu fest:
"Übernatürliche Wesenheiten, wie Götter,
Geister oder Dämonen und deren Aktivitäten kann man (...)
im Prinzip zur Erklärung von allem und jedem heranziehen. Warum sollte
das Fallen des Apfels vom Baum oder das Leuchten der Sonne nicht mithilfe
göttlicher Einwirkung erklärt werden? (...) Eine
übernatürliche Ursache erklärt alles!"
(MAHNER, 2002 b, S. 689)
Eine These jedoch, die - wie die Schöpfungshypothese - alles
erklärt, erklärt letztlich gar nichts, weil sie nicht deutlich
macht, warum die (belebte) Welt so und nicht anders beschaffen ist,
wie wir sie vorfinden (SOBER, 1993).
Warum, so könnte man beispielsweise fragen,
hat der Schöpfer nur ähnliche
Arten hervorgebracht? Der "allmächtige Designer" hätte
ähnliche Konstruktionsprobleme doch auch auf völlig
verschiedenen Wegen lösen können (wie dies etwa vielfach in der
Technik geschehen ist). Oder warum zeigt
der Fossilienbestand einen systematischen Wandel der Formen; ein
übernatürliches Universalgenie könnte die "Organisationstypen"
doch auch in regelloser Abfolge erschaffen haben? Warum hat der
Konstrukteur ferner seine Lebewesen mit "umständlichen" Konstruktionen
(z. B. Wale mit Lungen anstelle mit Kiemen) ausgestattet?
Läßt sich überhaupt irgend eine beliebige,
konkrete Beobachtung logisch aus der Schöpfungsthese schlußfolgern?
Das ist nicht der Fall. Man kann nur mit "Baukastensystemen" argumentieren,
die der Schöpfer (wer weiß schon warum?) eben verwendet
hat.
Bereits J. HUXLEY hat deutlich gemacht, daß ein Theoriengebäude,
das die Dynamik der Artenentstehung auf geheimnisvolle,
übernatürliche Mechanismen, wie z. B. auf ein "élan vital"
oder "élan intelligent" zurückführt, denselben
Erklärungswert besitzt, wie eine Theorie, welche
die dynamischen Prozesse, die in einer Zugmaschine ablaufen, auf ein
geheimnisvolles "élan locomotif" zurückführt. So lesen
wir bei LOVEJOY:
"Before the fairly recent development of a synthetic
theory of organic evolution, it was often held that organisms existed because
of an élan vital Huxley once commented that this explanation was about
as effective as the invocation of an élan locomotif to account for
the motion of a train (...) Nothing that we know of the evolutionary process
or of the factors that led to the appearance of man justify an élan
intelligent or the existence of intellogenesis. If we wish to make estimates
of the probability of intelligent life on suitable planets, then we must
clearly identify the events and processes by which it appeared on this planet.
This is the only method available short of pure fantasy."
(LOVEJOY, 1981, S. 318)
Der Vorwurf, daß die Schöpfungshypothese alles erklärt (oder
um im Fachjargon zu sprechen: einen "omniexplanatorischen" Charakter
besitzt), wird von den Evolutionsgegnern jedoch nur allzu gerne an die
Evolutionsbiologen zurückverwiesen. JUNKER erhebt den Einwand, daß
die Evolutionslehre beispielsweise keine genauen Erwartungen an die
"Merkmalsmuster" der Arten stellen kann und darüber hinaus eine so
große Plastizität aufweist, daß man mit ihr ebenso wie mit
der Schöpfungstheorie fast "alles und nichts" erklären kann. Er
schreibt:
"Zum einen widersprechen die Merkmalsmuster der
Arten vielfach ursprünglichen evolutionstheoretischen Erwartungen. So
lassen sich die Beziehungen zwischen Angehörigen bestimmter Tier- und
Pflanzengruppen nicht selten besser netzartig als baumartig darstellen. Man
kann zwar versuchen, die Evolutionstheorie soweit zu ändern, daß
diesen Befunden Rechnung getragen wird [indem man z.B. Konvergenzen
annimmt] (...) doch nähert man sich damit der Situation, daß
durch Evolution ebenfalls alle denkbaren Muster im Prinzip deutbar sind."
(JUNKER, 2003, S. 3)
Hier hat JUNKER zwar ein Problem der Evolutionsbiologie angesprochen, womit
sich implizit auch prinzipielle Erklärungsgrenzen der klassischen Theorie
(und streng genommen aller wissenschaftlicher Theorien) andeuten. Es ist
richtig, daß mit der Synthetischen Theorie der Evolution heute längst
nicht alles erklärbar ist, was es zu erklären gilt - sie ist (wie
dies auch zahlreiche Evolutionbiologen betonen) nur ein wohlbestätigtes
"Fragment" aber kein theoretisch verbindlicher Rahmen, der einfach nur noch
mit Details ausgefüllt zu werden braucht (RIEDL und KRALL, 1994,
S. 254).
Aber gerade die Tatsache, daß "die Merkmalsmuster der Arten vielfach
ursprünglichen evolutionstheoretischen Erwartungen" widersprechen,
macht deutlich, daß Evolutionstheorien
keine statischen Gebilde sind, weil sie nicht jeder beliebigen Beobachtung
standhalten können. Würde es schließlich überhaupt keine
abgestuften "Ähnlichkeitsmuster" geben, wäre auch die DARWINsche
Abstammungshypothese im Prinzip widerlegt, so daß auch alle möglichen
Evolutionstheorien, die sie enthalten, scheitern würden. Wissenschaftliche
Theorien zeichnen sich eben dadurch aus, daß sie immer nur
bestimmte (denkmögliche) Szenarien erklären, ja in
jedem Stadium der Wissenschaftsgeschichte stehen fast immer mehr oder weniger
zahlreiche Beobachtungen im Widerspruch zu den herrschenden
Theorien. Deshalb wird man in der Wissenschaft immer wieder an Grenzen
stoßen und muß fragen, durch welche Zusatzannahmen man die Theorien
zu ergänzen oder zu revidieren hat.
Solche, durch Falsifikationen "erzwungene" Modifikationen und Revisionen
von Theorien führen überhaupt erst zu wissenschaftlichem Fortschritt
(LAKATOS, 1974), der aber innerhalb
des Schöpfungsparadigmas nicht zu konstatieren ist. Auch JUNKER,
a.a.O. hat den Einwand der Allerklärungsmacht von Schöpfungstheorien
nicht ausräumen können, denn tatsächlich läßt sich
mit der Schöpfungshypothese sowohl "perfekt kongruente", durch Konvergenzen
gestörte sowie das totale Fehlen von "Ähnlichkeitsmustern"
erklären). Diese Unrevidierbarkeit steht im
offenen Gegensatz zum methodologischen Status wissenschaftlicher
Forschungsprogramme und hat zur Folge, daß der Wissensfundus von
Schöpfungslehren stagniert.
Dieser Einwurf hat umso mehr Gewicht, je offensichtlicher der Kreationismus
(im engeren Sinne) selbst noch an widerlegbaren und widerlegten
(!) Details seines Schöpfungsverständnisses festhält, wodurch
deutlich wird, daß das Wissen fast nur aus "geoffenbarten Wahrheiten"
besteht, an denen dogmatisch festgehalten wird.
Gewiß, innerhalb bestimmter Grenzen lassen sich empirische Befunde
in den "Erklärungsrahmen" des Kreationismus einpassen; die Hermeneutik
(also die Neuinterpretation des Bibeltextes) verschafft den Kernpostulaten
(dem sogenannten "harten Kern") des Kreationismus einen
Auslegungsspielraum, so daß gewissermaßen "(...) durch die
semantische Hintertür indirekt eine gewisse Revidierbarkeit
hinein(kommt)" (KANITSCHEIDER, 1999, S. 81).
JUNKER ist es gelungen, dies in einer wissenschaftstheoretischen
Abhandlung anhand konkreter Beispiele aufzuzeigen (Vgl.: JUNKER (o.J.): 'Harter
Kern und Hilfshypothesen von Forschungsprogrammen in der
Schöpfungsforschung.' URL:
http://www.wort-und-wissen.de/fachgruppen/wt/wt006.html#tp322).
Es wird dort beispielsweise erörtert, wie das "Grundtypen-Modell"
des Kreationismus (demzufolge die Lebewesen von Beginn ihrer Existenz an
als diskrete Schöpfungseinheiten existiert haben und "gleichzeitig"
vor etwa 6-10000 Jahren geschaffen wurden) überprüft und im Falle
des empirischen Scheiterns durch Stützhypothesen modifiziert werden
könnte. Auf diese Weise soll ein "schöpfungswissenschaftliches
Forschungsprogramm" aufgelegt werden, wobei in Anlehnung an die Methodologie
von LAKATOS, a.a.O. alle "Falsifikationen" auf die
Stützhypothesen umlenkt und gehaltsvermehrend modifiziert, der "harte
Kern" (das Grundtypen-Modell an sich) aber nicht angetastet werden soll.
Allerdings bleibt es fraglich, ob auf diese Weise gehaltsvermehrende
Modifikationen zustandekommen, die die Wissenschaft weiterbringen, denn wie
betont gehen die theoretischen Modifikation nie über die Exegese des
Bibeltextes hinaus. Das heißt, immer dann, wenn wissenschaftliche
Erkenntnisse mit dem Kreationismus kompatibel sind, werden sie zur
Bestätigung des Schöpfungsparadigmas herangezogen - stehen sie
jedoch im Widerspruch zum Bibeltext, "irrt" die Wissenschaft und nicht der
Kreationismus. Eine wirklich "ergebnisoffene" Schöpfungsforschung
ist damit nicht möglich, die Kernpostulate des Kreationismus sind weder
vorläufig noch disponibel.
Um das revolutionäre Moment des wissenschaftlichen Fortschritts nicht
von vorn herein dogmatisch zu untergraben, wird in der Wissenschaftstheorie
vielfach betont, daß die Methodologie von LAKATOS (eine genauere
Beschreibung folgt in Kapitel Ib.1) allenfalls nur sehr "behutsam"
eingesetzt werden kann. CHALMERS hebt hervor, daß es praktisch keine
wissenschaftshistorischen Beispiele gibt, die hätten zeigen können,
daß es ein konsequentes Festhalten an "harten Kerne" gibt und
verdeutlicht dies am Beispiel der revolutionären Umstürze in der
Physik (CHALMERS, 2001). FEYERABEND übt an der konsequenten
"Immunisierungsstrategie" eine noch schärfere Kritik und behauptet:
"Keine der Methoden, die Carnap, Hempel, Nagel,
Popper oder selbst Lakatos heranziehen möchten, um wissenschaftliche
Veränderungen rational zu machen, läßt sich anwenden, und
die einzige Methode, die übrigbleibt, die Widerlegung wird stark
geschwächt."
(FEYERABEND, 1983, S. 369).
HEMMINGER stellt daher fest, daß die Grundpositionen des Kreationismus
in jedem Falle "(...) inhaltliche Vorgaben (sind), die innerhalb der
herkömmlichen Naturwissenschaft der empirischen Kritik unterliegen"
müssen (HEMMINGER, 1988, S.
8). KANITSCHEIDER, a.a.O. fährt fort:
"Allerdings gilt offiziell immer noch das Prinzip
der Unfehlbarkeit: Die Schrift kann nicht irren (...) Und niemand hat das
Recht, den Zusammenhang zwischen der supernaturalen Macht und denen, die
die heiligen Texte aufgeschrieben haben, in Frage zu stellen - eine Situation,
die in der Wissenschaft nicht existiert (...) Jeder Satz, jeder Beobachtungssatz
in der Wissenschaft kann als falsch erkannt werden. Das gibt es in den Religionen
nicht. Hier gilt das Prinzip der Offenbarung."
1.2. Externe Konsistenz
Neben dem methodologischen Kriterium der durchgehenden logischen
Falsifizierbarkeit von Hypothesen und Theorien gibt es noch eine weitere
Forderung, die an wissenschaftliche Theorien gestellt werden muß, die
sogenannte externe Konsistenz (BUNGE, 1983;
VOLLMER, 1988; MAHNER und BUNGE, 2000). Theorien und Hypothesen
haben in der Wissenschaft einzig den Zweck, irgendeine unbegreifliche Erscheinung
zu erklären. Wenn sie ihren Zweck erfüllen sollen, müssen
sie eine Form besitzen, die es uns ermöglicht, das in ihnen Gesagte
zu unseren übrigen wissenschaftlichen Theorien in eine vernünftige
Beziehung zu setzen. Entscheidend ist mit anderen Worten, daß Theorien
untereinander kompatibel sind und daß sie sich gegenseitig stützen,
ergänzen und erkenntnistheoretisch erhellen.
So werden die Aussagen der Evolutionstheorie beispielsweise durch die
Erkenntnisse der Geologie, Biogeographie, Entwicklungsbiologie,
Kontinentaldrifthypothese usw. abgestützt, wie auch umgekehrt die
Evolutionsbiologie die Theorie der Plattentektonik, die Erkenntnisse der
Biogeographie, Entwicklungsbiologie usw. stützt. Auch die Chemie liefert
den Forschern in der Entstehungsfrage des Lebens wertvolle Hinweise. Die
Theorien der Wissenschaft stehen untereinander also in einem Verhältnis
gegenseitiger Rückkopplung und heuristischer Befruchtung, das sich graphisch
in Gestalt eines schier unentwirrbaren Liniengeflechts ausdrücken
läßt (siehe Abbildung).
Die Einbindung in das naturwissenschaftliche Theoriennetzwerk fehlt im Falle
von Schöpfungstheorien jedoch völlig. So ist es (wie wir in
Kapitel V.3 demonstrieren) Schöpfungstheorien beispielsweise
unmöglich, die Geschichte des Lebens anhand theoretischer Vorgaben zu
rekonstruieren und das Resultat dann paläontologisch oder biogeographisch
zu untermauern, wie dies beispielsweise den Evolutionsbiologen, die im Bereich
der (molekularen) Systematik tätig sind, immer wieder
gelingt. Alle Anstrengungen, eine heuristische Kopplung zwischen den Natur-
sowie den angeblichen "Schöpfungswissenschaften" aufzuzeigen, sind
bislang fehlgeschlagen!
Im Falle des Kreationismus (im engeren Sinne) kommt noch
erschwerend hinzu, daß sich die meisten der Hypothesen nicht nur nicht
mit der Evolutionstheorie vertragen, sondern auch mit zahlreichen anderen
wohlbestätigten Theorien der Wissenschaft direkt kollidieren. Dazu schreibt
MAHNER:
"Wenn die Kreationisten recht hätten, dann wäre
nicht nur die Evolutionsbiologie falsch, sondern wir müßten uns
von einem Großteil unserer wissenschaftlichen Erkenntnisse und Disziplinen
trennen, nämlich von allen, die direkt oder indirekt deren Aussagen
stützen. Zunächst käme die Geologie dran und mit ihr die
Paläontologie. Weil die Geologie bei ihrer Datierung von Gesteinen aber
auf radioaktive Zerfallserscheinungen zurückgreift, müßten
auch die chemischen und physikalischen Theorien, die diese zum Inhalt haben,
falsch sein."
(MAHNER, 1989, S. 34 f.)
Abbildung:
Schematischer Ausschnitt aus dem konsistent
verwobenen Theoriensystem der Wissenschaft. Die Pfeile zeigen, welche Theorien
oder Wissenschaftsbereiche auf die Aussagen anderer Theorien und
Forschungsbereiche zurückgreifen, das heißt in einem wechselseitigen
Verhältnis der Erhellung stehen. Aufgrund der heuristischen
Rückkopplung hätte die Eliminierung bzw. Substitution einer Theorie
oder Disziplin durch eine Schöpfungstheorie die Auflösung des
größten Teils des Theoriennetzwerks zur Folge.
Schöpfungstheorien stehen mit keiner anderen Theorie in einem
Verhältnis fruchtbarer Rückkopplung; sie verhalten sich extern
inkonsistent und können nicht zum wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt
beitragen.
Tatsächlich findet man in JUNKERs und SCHERERs Buch keinerlei Hinweise
auf die Bedeutung der externen Konsistenz für die Wissenschaft, wohl
aber Ausführungen, die darauf hindeuten, daß die radiometrische
Datierung von Fossilien und Sedimenten als fehlerhaft angesehen wird, weil
sich die Daten selbstverständlich nicht mehr ins Konzept einer 6000
Jahre alten Schöpfungsgeschichte einfügen ließen. Entsprechend
müßte also nicht nur die Evolutionstheorie völlig umgeschrieben
werden, sondern auch die Erdgeschichte, was JUNKER und SCHERER sogar in
verklausulierter Form anmahnen (JUNKER und SCHERER, 1998, S.
207).
MAHNER (a.a.O.) zeigt konsequent auf, daß wir uns noch
von weiteren Theorien verabschieden müßten, so etwa von der Theorie
der Plattentektonik, der Biogeographie und erst
recht von den Theorien der Kosmologie und
Astrophysik. Entsprechende Überlegungen kann man auch
für die Allgemeine Relativitätstheorie und die
Standardtheorie der Elementarteilchen anstellen, läßt
sich doch durch deren Verknüpfung ein Urknall-Modell ableiten, das die
Ausdehnung des Weltalls ganz natürlich begründet.
Selbstverständlich wären auch die meisten Entfernungen im Weltraum
falsch bestimmt, weil nach kreationistischer Vorstellung der Kosmos nicht
älter als etwa 6000 Jahre sein kann, und alle physikalischen Modelle,
die uns Entfernungen von Millionen und Milliarden Lichtjahren liefern,
müßten falsch sein. Entsprechendes gilt für die
Kernphysik, die uns Hinweise auf ein Sternenalter (bezogen
auf Sterne mit etwa einer Sonnenmasse) von etwa 10 Milliarden Jahren gibt,
und in der Tat findet man zahlreiche Sterne, die gegenwärtig im Ende
ihrer Existenz angelangt sind.
Wir sehen also, daß mit der Evolutionstheorie, die ein Teil des konsistent
verwobenen Theoriennetzwerks der Wissenschaft ist, die meisten wissenschaftlichen
Theorien und Erkenntnisse rundweg falsch wären, wenn die Kreationisten
recht behielten. Die mit ihren Schöpfungsmodellen kollidierenden
Theorien der Wissenschaft lassen Antievolutionisten einfach hinter den
dogmatischen Glaubensvorgaben zurückstehen, wir erhielten - je nach
Schöpfungsmodell - eine bis zur Unkenntlichkeit ausgedünnte
Wissenschaft.
_________________________________________
Fußnoten:
(1) Diese Feststellung wird von einigen
Evolutionsgegnern jedoch bestritten. So glaubt beispielsweise JUNKER, daß
ein Schöpfer deshalb keine vollkommen unähnlichen Arten hervorgebracht
haben könne, weil Funktionalität und gewisse innere Zwänge
eine Formenähnlichkeit erforderlich machten (JUNKER,
2002). Allerdings gibt es Beispiele aus der Technik, in der auch
völlig unterschiedliche Konstruktionen gleiche Funktionen erfüllen.
Außerdem müßte JUNKER logisch zeigen, daß ein
Schöpfer, der sich nicht an innerweltliche Gesetzmäßigkeiten
zu halten hat (die Naturgesetze wurden ja von ihm erschaffen), einem
naturgesetzlichen Zwang beugen muß.
Zweite, völlig neubearbeitete Fassung, (c) 12.01.2002
Last
update:
12.01.02
Voriges
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(c) M. Neukamm,
30.08.2000