Allgemeines
Aktuelles
Newsletter
Zur Homepage
 

FAQ
Allgemeines
Interview
Warum die Seite?
 

Publikationen
Essays
Besprechungen
Printpublikationen
Repliken
 

Partner
AG Evolutionsbiol.
Giord.-B.-Stiftung
GWUP


 

     

 
 Voriges  Kapitel          Nächstes Kapitel          Inhaltsverzeichnis

Druck-Version  Druck-Version   

II. Die Rekonstruktion der Stammesgeschichte

phylogenetische Systematik, Fossilien, Übergangsformen und Artbildung

                                                      

2. Von Fossilien, Übergangsformen, Mosaikformen und Artspaltung                                              

2.1. Fossilienlücken und Artbildung

Der Evolutionsinteressierte bekommt von Antievolutionisten meist die Lückenhaftigkeit des Fossilbefunds gegen die Evolutionstheorie ins Felde geführt, das heißt es wird behauptet, das regelmäßige Fehlen von Übergangsformen widerlege die Hypothese vom kontinuierlichen Artenwandel und dazuhin die gesamte Abstammungslehre:

"Aus paläontologischer Sicht kann zwar vielfach ein erdgeschichtlich nacheinander erfolgtes Auftreten neuer und 'höherer' Baupläne bewiesen werden, jedoch (...) keine realgenetische Stammesentwicklung, da echte Übergangsformen regelmäßig fehlen. Es scheint an der Zeit, die neodarwinistische Theorie zu korrigieren oder ganz aufzugeben (...)" "Als Fazit (...) betont auch Oskar Kuhn (...) 'Mit der Feststellung, daß die Typen und Subtypen unvermittelt auftreten, ist die klassische Abstammungslehre, deren Sinngebung ja gerade darin lag, daß sie kleinste Schritte, die keiner eigentlichen Erklärung zu bedürfen scheinen, zu großen Wirkungen addierte, widerlegt.' "

(KAHLE, 1999, S. 141, 137)

                            

Nun ist der Feststellung, daß zwischen den Fossilien große Lücken klaffen, zwar zuzustimmen, KAHLEs sowie KUHNs Schlußsentenz muß aber aus mehreren Gründen zurückgewiesen werden.

Grundsätzlich rührt ein Großteil der Lücken von der Unvollständigkeit der fossilen Zeugnisse her. Im Regelfalle werden tote Tierkörper und Pflanzenreste schnell der Verwesung preisgegeben. Hartteile haben - insbesondere in marinen Habitaten - größere Chancen, überliefert zu werden, und dennoch bleibt nur ein winziger Bruchteil fossil erhalten (KUTSCHERA, 2001, S. 52, 225 f.). Solche Tierstämme, deren Vertreter überhaupt keine Hartteile aufweisen, sind fossil sogar überwiegend unbekannt und nur in Einzelfällen dokumentiert worden (ZIEGLER, 1972). Daraus erklärt sich, daß von den nichtsklerotisierten Frühformen des Lebens aus dem Präkambrium in aller Regel Zeugnisse fehlen (HASZPRUNAR, 1994, S. 145).

Ein hinsichtlich der Fossiliendokumentation limitierender Faktor resultiert auch aus der Lebensweise von Individuen. Organismen, die sich etwa in tropischen Gebieten, in der Luft oder in turbulenten Meereszonen aufhalten, werden nach ihrem Tod überdurchschnittlich rasch zersetzt. Desweiteren führt die Gesteinserosion häufig zur Zerstörung von Fossilien, sofern der Prozeß nicht (etwa durch eine schützende Basaltdecke) unterbunden wird (ein Beispiel liefern DMITRIEVA und NESMEJANOV, 1982). Fossilien dürfen im Laufe der Erdgeschichte auch nicht - etwa im Kontakt mit Magma und infolge des Herrschens hoher Drücke - zerstört werden, was oft der Fall ist. Entsprechend sind aus geologisch älteren Perioden in der Regel weniger Details überliefert als aus jüngeren Zeiten (FOOTE und RAUP, 1996). Und schließlich müssen Fossilien erst einmal gefunden werden, bevor man sie überhaupt paläobiologisch einordnen kann (MAHNER, 1986).

Der Umstand, daß der tatsächliche Fund eines fossilierten Tier- oder Pflanzenkörpers jedesmal einen ausgesprochenen Glücksfall darstellt, läßt sich daran ermessen, daß man in allen Museen der Erde kaum mehr als etwa 250000 Exponate zusammengetragen hat, die man als verschiedene - einen erdgeschichtlichen Zeitraum von über 500 Millionen Jahre repräsentierende - Morphen bzw. Arten werten kann (Zahlen in Anlehnung an JUNKER und SCHERER, 1998, S. 209, 243). Wenn man bedenkt, daß bis heute mindestens 1,5 Millionen lebende Arten bekannt sind und die Zahl der im Laufe der letzten Milliarde Jahre wieder verschwundenen Arten und Entwicklungslinien diesen Wert noch beträchtlich (nach den vorsichtigsten Schätzungen mindestens um das zehnfache!) übersteigt (KÄMPFE, 1992, S. 152), dann zeugen schon diese einfachen Zahlenverhältnisse von der Existenz einer sehr großen Überlieferungslücke (REMANE et al., 1973).

Solchen Überlegungen wird gelegentlich der Versuch entgegengestellt, die Rolle der fragmentarischen Überlieferung als Ursache für die Lücken im Fossilienbefund durch eigens angestellte Erhebungen kleinzurechnen (ein Beispiel verkörpert LÖNNIG, 1991, S. 25). Doch abgesehen von der fragwürdigen Aussagekraft derartiger Präsentationen ist es eigentlich müßig, solche Kalkulationen anzustellen. Selbst wenn man sie für bare Münze nehmen und die Lücken nicht als Artefakt einer unvollständigen Fossilienüberlieferung akzeptieren könnte, wäre damit allenfalls die Vorstellung von der gradualistisch verlaufenden Stammesentwicklung infrage gestellt, nicht aber die Faktizität der Stammesentwicklung (SCHINDEWOLF, 1960).

Der Grund liegt darin, daß die fossilen Dokumente ungeachtet ihrer Lückenhaftigkeit zentrale Erwartungen der Abstammungshypothese erfüllen, so daß eine evolutionäre Entwicklung angenommen werden muß: Wir stellen im Laufe der geologischen Zeit keinen chaotischen Wandel der Fossilien fest, sondern konstatieren eine gesetzmäßige Abänderung der Formen. In stufenweiser Abfolge erscheinen komplexer strukturierte Lebewesen auf der Bühne des Lebens, die sich sukzessive den heutigen Formen annähern (REMANE et al., 1973, S. 23; MAHNER, 1986, S. 61). In der Frage der Bejahung einer evolutionären Stammesgeschichte spielen also keine lückenlose Fossilienreihen sondern die besprochenen Gesetzmäßigkeiten in der Fossilienabfolge eine Rolle.

ELDREDGE und GOULD haben darauf hingewiesen, daß als weitere Ursache für die Lückenhaftigkeit des Fossilienbefundes auch der Evolutionsablauf selbst infrage kommen könnte (ELDREDGE und GOULD, 1972). Ihre Theorie von den "punctuated equilibria" (Punktualismus) hat zum Ziel, die Lücken evolutionskinematisch zu erklären, wodurch eine interessante Diskussion über den Modus der Artbildung eingeleitet wurde.

                       


Exkurs über die Theorie des Punktualismus:

Nach der Vorstellung der Punktualisten sind gutangepaßte und große Populationen in ihrer Entwicklung "träge", sie befinden sich im Gleichgewicht und verändern sich nur langsam oder aber gar nicht. Die Selektion wirkt auf der Grundlage innerer Entwicklungsprinzipien stabilisierend, denn sie verhindert "die Erzeugung zu vieler unharmonischer, unverträglicher Genkombinationen" (MAYR, 1988, S. 255). Bildet sich jedoch infolge von Isolation eine von der Stammpopulation abgetrennte, kleine Teilpopulation heraus, so unterscheiden sich dort die "genetischen Startbedingungen" etwas vom Durchschnitt. Vorteilhafte Genausprägungen können dort während einer kurzen Periode der Inzucht schnell homozygot (auf beiden Chromosomen eines homologen Paares) auftreten und sich damit auch im Erscheinungsbild (Phänotyp) bemerkbar machen (JUNKER und HOSSFELD, 2001). Ein solches "unterbrochenes Gleichgewicht" könnte zu einem "schnellen" evolutiven Wandel führen, weil sich unter dem Regime neuer "innerer" Entwicklungszwänge sowie unter dem Druck veränderter Milieubedingungen neue Gleichgewichte einstellen müssen. Dementsprechend sind lange Zeiten der Entwicklungsgeschichte durch Stagnation gekennzeichnet, die punktuell durch rapide Phasen der Entwicklung unterbrochen werden.

Die fossilen Säugetiere aus der Grube Messel, speziell die Fledermäuse, können als Beispiel für Punktualismus angesehen werden: In relativ kurzer Zeit waren die verschiedenen Säugetiergruppen entstanden ("adaptive Radiation"), die sich zum Teil bis heute, über einen Zeitraum von fast 50 Millionen Jahren, kaum verändert haben. Wenn die "Gründerpopulationen", die einen solch raschen Wandel erfahren, von der ursprünglichen Fortpflanzungsgemeinschaft geographisch isoliert sind, entsteht im Mannigfaltigkeitszentrum eine "fossile Lücke". Doch auch im Gründerareal ist der Wandel aufgrund der Individuenarmut und geographischen Kleinheit des Isolats sowie wegen der Geschwindigkeit des Prozesses kaum fossil dokumentiert (ELDREDGE und GOULD, 1972, S. 96).


                      

STANLEY und MAYR bringen den Erklärungsansatz des Punktualismus wie folgt auf den Punkt:

"Die Evolution vollzog sich jeweils nur während kurzer Abschnitte des Gesamtgeschehens. Meist erfolgte der Wandel so schnell in geographisch so eng umgrenzten Gebieten, daß er durch unsere lückenhaften Fossilfunde nicht belegt ist. Die daraus abgeleitete Abstammungstheorie (...) läßt sich mit unseren heutigen Erkenntnissen über die neuzeitlichen Lebensformen durchaus in Einklang bringen (...)"

(STANLEY, 1983, S. 15)           

"Unter den Fossilienfunden aufzutreten ist nur für weitverbreitete, äußerst individuenreiche Arten wahrscheinlich. Überreste von den individuenarmen, eng lokalisierten Gründer-Populationen werden wohl nie als Fossilien gefunden werden."

(MAYR, 1984 b)

                         

Die Diskussion darüber, ob neue Arten hauptsächlich infolge der langsamen, transformativen (anagenetischen) Veränderung großer Populationen entstehen oder ob sie sich in kleinen Isolaten, weit weg vom Mannigfaltigkeitszentrum großer Populationen und damit "rasch" infolge von Artspaltung (kladogenetisch) bilden, ist nichtsdestotrotz heute noch im Gange. Angesichts dessen hat es im Kreationismus nicht an Versuchen gefehlt, beide Modelle gegeneinander auszuspielen. Es deutet sich aber heute an, daß beide Positionen jeweils eine Seite der Medaille im Evolutionsgeschehen beleuchten könnten und einander nicht ausschließen müssen (FLÜGEL und HÜSSNER, 1987, S. 283; MAYR, 1984 b).

Allerdings scheint die sogenannte "traditionelle Systematik", auf die sich praktisch alle Antievolutionisten berufen, dem Punktualismus einige Schwierigkeiten zu bereiten, so daß auch hier Argumente zur "Widerlegung" schnell zur Hand sind. Wir müssen daher im folgenden etwas weiter ausholen, um die Argumentation nachzuzeichnen:                


Nach der LINNEischen Taxonomie werden Arten in sogenannte "hierarchische Kategorien" (wie Gattungen, Familien, Ordnungen, Klassen usw.) eingeordnet, die aber nicht unbedingt natürliche Organismenklassen darstellen müssen, weil sie in der Klassifikation evolutive Neuheiten nicht konsequent berücksichtigt und es daher nicht erlaubt, die Evolution der Organismen in der Klassifikation nachzuzeichnen. In abgeschwächter Form gilt dies auch für die sogenannte "Evolutionäre Systematik", die noch heute von einigen Biologen (insbesondere im Bereich der Museumssystematik) befürwortet wird, obgleich sie immerhin schon eine "Übergangsstellung zwischen der Linneischen Taxonomie und der [modernen] Kladistik" einnimmt (MAHNER und BUNGE, 2000, S. 248).

Es leuchtet nun ein, daß sich vor dem Hintergrund der traditionellen Systematik die Vorstellung festgefahren hat, daß die Transformation von Arten zunächst zu "Gattungs-, Familienunterschieden und so weiter" führen müsse, bevor ein "neuer Bauplan von dem systematischen Range etwa einer Klasse oder Ordnung" erscheint (SCHINDEWOLF, 1960, S. 656). Wie SCHINDEWOLF weiter feststellt, tauchen die meisten Baupläne von "hohem systematischen Rang (...) völlig unvermittelt auf der Bildfläche, ohne lange Reihen von Bindegliedern" auf, das heißt man konstatiert "das plötzliche Auftreten der systematischen Hauptgruppen" (THOMPSON, 1963, S. xviii), wie etwa "(...) alle Ordnungen und Klassen der Tiere" (übersetzt nach SIMPSON, 1944, S. 107).


               

Kein Wunder also, daß sich die Evolutionsgegner gerne auf diese Autoren berufen, die Existenz "systematischer Lücken" feststellen (vgl. LÖNNIG, 1991, S. 14-16; KAHLE, 1999, S. 140) und darin ein Problem für evolutionäre Erklärungen (insbesondere für den Punktualismus) sehen:

"Nun kann mit der punktualistischen Theorie zwar verständlich gemacht werden, warum zwischen einzelnen Arten und Gattungen keine Übergänge gefunden werden (...) Doch erklärt diese Theorie nicht, wie es zur Entstehung der großen Typen im Organismenreich (Säuger, Vögel, Vierfüßer aber auch Ordnungen und Familien ...) kam."

(JUNKER und SCHERER, 1998, S. 243)

"(...) es muss in diesem Falle ja zur Überbrückung der Unterschiede und Klüfte auch entsprechend viele Gründerpopulationen (...) gegeben haben, um so schrittweise von einer Ordnung und Klasse zur nächsten zu gelangen. Vor dem Auftreten einer neuen Klasse müsste sich dieser Prozess Hunderte und Tausende von Malen wiederholen und entsprechend müssten (...) viele [Fossilien-] Funde gemacht werden (...) Das trifft jedoch nicht zu."

(LÖNNIG, 1986)

                              

MAHNER betont nun im Hinblick auf die unentwegte Forderung nach Übergängen zwischen den "hierarchischen Kategorien" und "Typen", daß Antievolutionisten die heute vorherrschende phylogenetische Systematik (Kladistik) nicht verstanden haben (MAHNER, 1999, S. 183). Denn wie wir schon angeführt haben, kann die Kladistik Verwandtschaftshypothesen ja nur deshalb ordentlich erstellen, weil sie eben die starren Schubladen der hierarchischen Kategorien aus ihrem Sprachschatz verbannt und unter konsequenter Berücksichtigung evolutiver Neuheiten durch natürliche Organismenklassen und "Schwestergruppen" ersetzt (SUDHAUS und REHFELD, 1992; WÄGELE, 2001).

Ein solches Schwestergruppenverhältnis bekleiden, wie in Kapitel II.1 begründet würde, etwa die Vögel und Krokodile.  Das heißt es gibt keine natürliche Kategorie der "Reptilien", sondern nur verschachtelte Schwestergruppen innerhalb der Gruppe der Sauropsiden (vgl. dazu das Beispielkladogramm im vorigen Abschnitt).

             

Die traditionelle Systematik reißt jetzt nach Belieben solche ordentlich begründeten Schwestergruppenverhältnisse auseinander, steckt die Vögel und Krokodile in verwandtschaftlich voneinander abgekoppelte, "grundlegend getrennte Kategorien und Typen" (Vögel und "Reptilien"), die jetzt durch Übergangsformen überbrückt werden müssen und die man auch nicht findet (diese und weitere Kritikpunkte in MAHNER und BUNGE, 2000, S. 247 f.; WILEY, 1981).       

Daß solch "systematische Lücken" mit anderen Worten nichts anderes als Trugbilder sind, die ihre Wurzel in den fiktiven Schubladen der hierarchischen Kategorien haben, darauf hat bereits HEBERER den Paläontologen SCHINDEWOLF hingewiesen (ähnlich GROSS, 1943):

"Wenn man sich Kunstgebilde herstellt, wie es die Typen des Systemes sind, wenn man das tierische System in die 'Zwangsjacke der Typenlehren' (Groß) steckt, dann kann man sich schließlich nicht wundern, 'daß die Lückenhaftigkeit der Überlieferung ausgerechnet immer nur diese Generationenfolgen zwischen den Bauplänen' betrifft (...) Archäopteryx ist - nach Meinung der meisten Paläontologen - ein Vogel. Sie ist vom Reptil nach dem Urteil der Typengläubigen durch einen 'grundlegenden Wesensunterschied' getrennt. Man muß aber nicht kleingläubig werden - und das nicht nur in diesem Falle ! - wenn man (...) sich überlegt, was für eine Stellung im System die Gattung Archäopteryx einnähme, wenn sie nicht die jüngeren Vögel als Nachfolger hätten? Dann 'würde man sie als die differenzierteste Reptilordnung auffassen'!"

(HEBERER, 1943, S. 251)     -     Hervorhebungen im Schriftbild von mir

                                

Nur weil die herkömmliche Systematik natürliche Schwestergruppen auseinanderreißt, erscheint es so, als sei zwischen den "Kunstgebilden der Typen" eine Makroevolution abgelaufen, in der die entsprechenden Übergangsformen fehlen.

"Würde man jedoch konsequent die phylogenetische Systematik anwenden, erscheinen die ursprünglich großen Unterschiede nur noch in Form abgestufter Ähnlichkeiten, zwischen denen die Fossilien [in Gestalt von Abzweigen im Kladogramm] intermittieren."

(GASSNER in einer persönlichen Mitteilung)

               

Da es in der Kladistik nur Verzweigungsschemata gibt, kann man beispielsweise das phylogenetisch älteste "säugetierähnliche Reptil" (welches ein charakteristisches Merkmal der Säugetiere erworben hatte) "übergangslos" als Begründer der Säugetiergruppe ansehen, obwohl es noch nicht über die anderen Charakteristika der heute lebenden Säugetiere verfügt. Denn die betreffende Art kann ja (aufgrund ihrer evolutiven Neuheit) im Kladogramm immer nur in Gestalt eines "Abzweiges" auf dem Säugetierast stehen! Der Erwerb des Merkmals fand in einer "elterlichen" Population statt, so daß es keine "makroevolutionären" Veränderungen und "Übergangsserien" oberhalb des Artniveaus zu dieser frühesten Säugetiergruppe hin geben kann. Nach und nach entstanden weitere Schlüsselmerkmale der Säugetiere, das heißt man findet (rangniedere) Schwestergruppen in Gestalt weiterer Verästelungen auf dem Säugerast (siehe Abbildung in Abschnitt 2.2). Der Kladist bezeichnet jetzt die Vertreter der ranghöheren Säugetiergruppen (etwa die "säugerähnlichen Reptilien" und Kloakentiere) als "Übergangsformen" auf dem Weg zu den rangniederen Säugergruppen (etwa den Beuteltieren und Plazentaliern). Diese haben aber mit den Übergangsformen aus der traditionellen Systematik nichts mehr gemein, weil das hierarchische Verzweigungssystem eben keine großen, wesensmäßig streng voneinander abgetrennten Kategorien und Typen mehr kennt.

                                

Solche Zusammenhänge berücksichtigen Antievolutionisten jedoch nicht. Und präsentiert man ihnen eine gut dokumentierte Fossilienreihe (wie etwa die Reihe der Pferdevorfahren), so wollen sie zwischen jeder Zwischenform und der entsprechenden Ahnenform weitere Zwischenformen (MAHNER, 1986), ja es wird dem Paläontologen regelrecht ein "lückenloses Kontinuum" abverlangt (vgl. etwa JUNKER und SCHERER, 1998, S. 234)

Doch wie, so darf man fragen, soll angesichts der Tatsache, daß jede Spezies immer nur ein diskreter Repräsentant der Realhistorie verkörpert, nach kreationistischer Lesart ein "lückenloses Kontinuum" überhaupt aussehen, damit sie endlich die Abstammungshypothese anzuerkennen gewillt wären? Selbst beliebig viele Zwischenformen ließen in einem fiktiven "Formenkontinuum" immer Lücken zurück, "lückenlose Formenkontinua" sind also geologisch gar nicht denkbar.

Wie also kann man die Schöpfungshypothese durch die Beobachtung von Fossilienreihen logisch widerlegen? Das geht gar nicht, weil eben

"(...) jedes neue Fossil nur der Beleg für eine weitere diskret geschaffene Art sein kann. Wenn also der Kontrahent ohne theoretische Begründung den Funden Beweiskraft [zugunsten von Schöpfung] zuspricht, ist dies eine Aussage, die prinzipiell nicht widerlegbar ist. Wir haben es also mit einer unwissenschaftlichen Aussage zu tun."

(Prof. PETERS in einer persönlichen Mitteilung)

                 

Im Falle der Deszendenzhypothese ist das, wie oben betont wurde, grundlegend anders:

Wenn es keine hierarchisch abgestuften Übergänge zwischen den Arten gäbe sondern nur unsystematisch aufeinanderfolgende Formen, dann wäre die Grundidee der Abstammung, aus der ja das Szenario der gradweise abgestuften Formenähnlichkeiten logisch folgt, nicht haltbar. Das genaue Gegenteil ist der Fall; die Evolutionsbiologen haben daher genügend Daten, um mit hohem Grade der Gewißheit eine transspezifische Evolution für wahr zu halten:

"Verfolgen wir die Flora und Fauna aus den geologischen Zeiten, so ergibt sich kein chaotischer Wechsel der Formen, sondern eine strenge Gesetzmäßigkeit. Je älter Flora und Fauna sind, desto mehr weichen sie von den heutigen Verhältnissen ab; von den ältesten Fossilschichten aus betrachtet nähern sich die Lebewesen in stufenweiser Abänderung den heutigen Formen."

(REMANE et al., 1973, S. 23)

  

Zweite, völlig neu bearbeitete Fassung, (c) 20.07.2002                                                               

Last update: 20.07.02                              

               

AG Evolutionsbiologie im Verband deutscher Biologen Gesellschaft für kritische Philosophie Nürnberg Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften Homepage von M. Schmidt-Salomon

National Center for Science Education Giordano-Bruno-Stiftung Materialien und Informationen zur Zeit Morphisto - Institut für Evolutionswissenschaften


 Voriges  Kapitel     Nächstes Kapitel     Inhaltsverzeichnis     (c) M. Neukamm, 30.08.2000 

GOWEBCounter by INLINE