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Ib. Wissenschafts-
und erkenntnistheoretische Grundlagen
Die Evolutionstheorie in der
wissenschaftstheoretischen Kritik
Anhang: Hypothesen und
Theorien
Einige logisch-semantische und methodologische Aspekte
An dieser Stelle wollen wir eine kurze Klärung der Begriffe "Hypothese"
und "Theorie" herbeizuführen. Versucht man dies, stellt man schnell
fest, daß beide Ausdrücke mit höchst unterschiedlichen
Vorstellungen verbunden werden:
So steht etwa in der Alltagssprache die Bezeichnung "Theorie" oft für
eine bloße Vermutung, die, so wird häufig suggeriert, im Gegensatz
zu den vermeintlichen "Tatsachen" stünde. In diesem Kontext überrascht
es nicht, daß manche Biologen dem antievolutionistischen Einwand
"Evolution ist ja bloß eine Hypothese oder Theorie" dadurch
begegnen, daß sie behaupten, Evolution sei keine Theorie mehr sondern
bereits eine Tatsache (LORENZ und KREUZER, 1981, S. 25; v. DITFURTH,
1981, S. 34).
Auf der anderen Seite des Meinungsspektrums ist die Auffassung, daß
es sich bei einer Theorie um eine (experimentell) bestätigte Aussage,
also quasi um eine "bessere Hypothese" handele, ebenfalls weit verbreitet,
so daß einige Antievolutionisten glauben, die Evolutionstheorie zur
Hypothese degradieren zu können (LÖNNIG, 1998).
Schließlich hat sich - selbst in Wissenschaftskreisen - oft auch eine
Vermengung der Begriffe "Hypothese" und "Theorie" eingebürgert, die
dazu geführt hat, daß beide Begriffe als mehr oder minder austauschbar
angesehen werden:
"Oft wird zwischen 'Hypothese' und 'Theorie'
unterschieden. Einen grundsätzlichen Unterschied zwischen beidem gibt
es allerdings nicht. Gewöhnlich wird eine Hypothese, die sich mehrfach
bewährt hat, in den Rang einer Theorie erhoben."
(JUNKER und SCHERER, 1998, S. 14)
Richten wir unser Augenmerk auf die logische Vermengung des
Hypothese-/Theoriebegriffs, so tritt nach Rezeption der
wissenschaftstheoretischen Standarddefinitionen (BORZ und DÖRING,
1995; MAHNER und BUNGE, 2000) jedoch eine Diskrepanz zwischen der
populären und der wissenschaftlichen Terminologie zutage. Danach werden
Hypothesen von Theorien klar unterschieden und zwar normativ anhand ihrer
logischen Struktur und nicht, wie populärerweise
geglaubt wird, anhand des Grades ihrer Bestätigung. Dazu
bezieht MAHNER wie folgt Stellung:
"Eine Theorie ist nicht etwa eine einzelne Hypothese,
sondern ein System logisch miteinander in Beziehung stehender Aussagen
(Hypothesen), das einen bestimmten Gegenstandbereich beschreibt bzw.
erklärt. Ein solches Aussagensystem besteht aus einer Menge von
Grundaussagen und aus einer (prinzipiell unendlichen) Menge von Aussagen,
die logisch aus den Grundaussagen folgen. Diese Grundaussagen heißen
Axiome oder Postulate. Die logisch daraus abgeleiteten Aussagen sind die
Theoreme (deren Herleitung bewiesen werden muß) und die Korollarien
(die ohne Beweis unmittelbar daraus folgen). Jede Aussage in einer Theorie
ist also entweder ein Postulat oder eine Folgerung."
(MAHNER, 2000)
Hypothesen und Theorien behalten also ihren logischen Status bei, völlig
gleichgültig, als wie gut empirisch gesichert sie gelten mögen.
Hypothesen sind folglich keine "wilden Spekulationen", sondern
Einzelaussagen, die meist zu Theorien organisiert werden.
Daher irrte beispielsweise GOETHE, als er behauptete, Hypothesen seien
bloße "Gerüste, die man vor dem Gebäude aufführt
und die man abträgt, wenn das Gebäude fertig ist."
(GOETHE; Maximen und Reflexionen).
Die vermuteten, real existierenden Dinge und Prozesse, die wir Fakten
nennen (um GOETHES Metapher zu gebrauchen: die "Gebäude" an sich - wie
beispielsweise Evolution als historischer Prozeß), lassen sich auch
nicht gegen Hypothesen und Theorien (die "Gerüste", wie etwa die
Evolutionstheorie) ausspielen, die diese zum Gegenstand haben. Letztere liefern
nämlich immer "nur" Beschreibungen von Fakten, bleiben
unabhängig vom Grad ihrer Sicherheit auch immer Beschreibungen und
können als begriffliche Repräsentationen von realen Dingen selbst
keine Fakten darstellen (VOLLMER, 1985; MAHNER und BUNGE,
2000).
Dies gilt umso mehr, da die Wissenschaft niemals "absolut wahre Fakten"
(die "Gebäude" an sich) wird finden bzw. errichten können, sondern
ihre Aussagen immer nur mit mehr oder minder großer Fehlbarkeit vertreten
kann. Entsprechend können auch die "Gebäude" immer nur mehr oder
weniger unvollkommen und modellhaft rekonstruiert werden. Dazu bemerkt auch
VOLLMER:
"In Wahrheit sind ja Theorien in kognitiver Hinsicht
das beste, was wir in den empirischen Wissenschaften überhaupt haben
können."
(VOLLMER, 1985, S. 273)
Die problematische Vermengung des Hypothese-/Theoriebegriffs bzw. deren
Unterscheidung nach dem Grade der Bestätigung führt nun nicht nur
zu dem eben besprochenen Kategorienfehler, sondern auch dazu, daß komplexe
Aussagensysteme und Einzelaussagen zusammen in einen Topf geworfen werden
müssen. Dies hat die methodologische Einschätzung zur Folge, daß
komplexe wissenschaftliche Aussagensysteme (die wir als Theorien bezeichnen)
ebenso leicht zu widerlegen seien, wie das für simple Hypothesen gilt.
Der naive Falsifikationismus (über den wir in Kapitel Ib.1
gesprochen haben) erfährt dadurch also eine scheinbar logische,
aber eben irrige Begründung.
Zweite, völlig neu bearbeitete Fassung, (c) 15.01.2002
Last
update:
15.01.02
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(c) M. Neukamm, 30.08.2000