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Kotthaus, J. (2003): Propheten des Aberglaubens. Der deutsche Kreationismus zwischen Mystizismus und Pseudowissenschaft

LIT-Verlag, Münster. 160 Seiten. Preis: EUR 15,90

J. Kotthaus: Propheten des Aberglaubens

                   

                         

                         

                               

                         

                                                           

Wie, so kann man fragen, läßt sich ein Fußballspiel minimalistisch charakterisieren? Nun, es bedarf zweier Mannschaften, die versuchen müssen, einen Ball mit den Füßen (und gegen den Widerstand ihrer Kontrahenten) hinter eine gegnerische Abgrenzungslinie zu befördern. Wer innerhalb der zuvor festgelegten Spieldauer die meisten "Tore" schießt, gewinnt. Unter methodischen Gesichtspunkten erscheint dies trivial: Jedem, der sich etwas unter dem Begriff "Fußball" vorstellen kann, leuchtet ein, daß ein Tennisspieler, der versuchen würde das Regelwerk zu ändern, der mit seinem Schläger, seinem gelben Filzball und einem quer über den Fußballplatz gespannten Netz auf dem Spielfeld aufwarten würde, reichlich deplaziert wirkte. Er spielte kurzerhand nicht mehr das Spiel "Fußball".

Der Diplom-Pädagoge Jochem Kotthaus, dessen Buch "Propheten des Aberglaubens" Ende 2003 auf dem Markt erschienen ist, gebraucht dieses Beispiel als Metapher, als bildlichen Vergleich, um dem Leser die Intention seines Buches zu verdeutlichen: Kotthaus nimmt eine kritische Bewertung des Kreationismus sowie seiner metatheoretischen Standpunkte vor und möchte zeigen, daß eine schöpfungstheoretisch motivierte Evolutionskritik mehr darstellt, als nur einen Angriff auf bestimmte Theorieinhalte: "Bildlich gesprochen läuft der Kreationismus mit Schläger und Filzbällen auf dem Fußballplatz auf und erklärt den dortigen Profis, dass ihr Spiel mit seinen Utensilien, seinen Regeln und einem Netz in der Mitte des Feldes eine großartige Verbesserung darstellen würde" (S. 12). Kotthausens Botschaft ist klar: Aus methodischen Gründen kann man unter Bezugnahme auf übernatürliche Dinge ebenso wenig Wissenschaft betreiben, wie man mit einem Tennisschläger Fußball spielen kann. Eloquenter kann man das Problem nicht umschreiben, ja es klingt fast tautologisch: Das Übernatürliche liegt (wie das Innere eines Schwarzen Lochs) jenseits innerweltlicher Prinzipien und ist somit keiner wissenschaftlichen Analyse zugänglich. Folglich ruiniere der Kreationismus mit seinem Anliegen, die Menschen davon zu überzeugen, daß es eine Schöpfungswissenschaft geben könne, daß sie oft sogar die "bessere" Alternative zur naturalistischen Wissenschaft sei, unerschrocken die philosophischen Grundlagen der Wissenschaft und könne deshalb "niemals den Schritt in die Wissenschaftlichkeit vollziehen" (S. 146).

Hier zunächst ein paar Worte zum Inhalt: Auf die illustrative Einführung folgt ein Kapitel "Grundlagen", in welchem der Autor feststellt, was er unter den Begriffen "Glaube", "Aberglaube", "Wissenschaft" und "Kreationismus" versteht und wie er sie zueinander in Relation setzt. Hierbei ist es wichtig zu erwähnen, daß der Autor nicht nur die Lehre von der biblischen Kurzzeitschöpfung unter den Begriff "Kreationismus" subsumiert, sondern auch andere Schöpfungslehren, wie die "Intelligent Design-Theorie" (S. 20 ff.). Diese Definition erscheint sinnvoll, wenn es die wissenschaftsphilosophischen Standpunkte zu erörtern gilt, auf welche die verschiedenen Strömungen des Kreationismus "interdisziplinär" zurückgreifen und an denen sich gerade die Unwissenschaftlichkeit ihrer Argumentation festmachen läßt. Im anschließenden Kapitel werden sieben Protagonisten des amerikanischen und deutschen Kreationismus, ihre Denkweisen und Argumentationsstrukturen vorgestellt und kritisch diskutiert. Welche Konsequenzen ihre Lehren in der Gesellschaft entfaltet haben und aktuell bewirken, wird im dritten Teil erörtert. Das abschließende Kapitel widmet sich schließlich ganz der Frage, auf welcher philosophischen Grundlage die Wissenschaftlichkeit der Evolutionstheorie infragegestellt wird.  

Die Argumentation ist insofern stringent und ein bemerkenswertes Novum in der Kreationismuskritik, als Kotthaus die Ebene der Biologie, die traditionellerweise in der Auseinandersetzung aufgesucht wird, hinter sich läßt und lediglich auf wissenschaftstheoretische Aspekte zurückgreift. Der Autor erweist seinen Gegnern nicht den Gefallen, sich auf (didaktisch nicht wertlose, jedoch eher nebensächliche) Randgeplänkel über offene Fragen der Evolutionsbiologie einzulassen; etwa darüber, inwieweit dieser oder jener Mechanismus der Evolution schon als "gesichert" bzw. inwieweit noch "unbewiesen" diese oder jene Hypothese über die realhistorische Stammesentwicklung zu gelten hat. Kotthaus hat treffend erkannt, daß sich die Kritiker angesichts noch sovieler Evidenzen nicht von der Faktizität der Makroevolution überzeugen lassen, kann doch "ein transzendenter Gott als Begründer des Seins... nichts und alles beweisen und verweist im Rückschluss eher auf religiöse Gefühle denn auf einen wissenschaftstheoretischen Standpunkt" (S. 131). Diese Einsicht macht deutlich, wie wichtig es ist, die Auseinandersetzung (auch) auf dem Terrain der Methodologie zu führen bzw. zu zeigen, weshalb ein Schöpfergott wissenschaftstheoretisch keine Relevanz haben kann - selbst dann nicht, wenn die Evolutionstheorie falsch wäre! Somit sind "alle... Auseinandersetzungen um Richtigkeit und Falschheit der Evolutionstheorie, um Thermodynamik, um Mondstaub [...usw.] Scheingefechte" (S. 146).

Letztlich steckt hinter dem Ansinnen der Evolutionskritik, dem Publikum zu demonstrieren, was man heute in der Evolutionsbiologie noch alles nicht weiß, nur wieder der altbekannte Fehlschluß, "nämlich die vorgebliche Stärkung einer Idee durch die Schwächung der anderen" (S. 60 f.). Exemplarisch wird dies am Beispiel der Methodologie Wilder-Smiths verdeutlicht - es wird gezeigt, wie der "Vorläufer des heute aktuellen Intelligent Design" (ebd.) auf die altbekannte Lückenbüßer-Theologie zusteuert, welcher sich auch "ID" aktuell bedient: "Anstatt eine Erklärung für das zu suchen, was noch unbekannt ist, muss eine außerweltliche Kraft als Begründung genügen... Dadurch... hat er zur Lösung des Problems nichts mehr beizusteuern" (S. 58 f.). Man fragt sich mit dem Autor zurecht, wie die Problemverschiebung in ein unerforschliches Mysterium hinein heuristisch überhaupt gerechtfertigt werden soll. ("Wie hat der Wissenstransfer von Gott zur DNA stattgefunden, mit welchen Mitteln, wann, zu welchem Zweck, woher hatte Gott sein Wissen?" [S. 59] usw.) Den Einwand, die Vorgabe des Naturalismus sei weltanschaulich begründet, weil die Evolutionsbiologie die Möglichkeit einer Schöpfung grundsätzlich ausschlösse, entlarvt Kotthaus somit als Strohmann-Argument, als "Replik auf den Vorwurf der etablierten Wissenschaften, dass der Kreationismus keine akademisch-rationale Betätigung, sondern Religion sei" (S. 131). Der Naturalismus sei nichts weiter als "eine methodische Herangehensweise", die keineswegs "die Nichtexistenz Gottes"  impliziere (S. 144). Und in der Tat: Die Erklärungen stehen religiösen Deutungen grundsätzlich offen, so z.B. der Deutung, Gott habe durch Evolution geschaffen oder sie beeinflußt. Kotthaus stellt treffend fest, daß der Eindruck, wonach die Evolutionsbiologie "weltanschaulich atheistisch" sei, nur dann entsteht, wenn man Makroevolution als Antithese zur Schöpfung begreift (S. 133 f.). Es verhält sich so, als unterstellte man dem Chemiker das Betreiben einer "weltanschaulich-atheistischen Chemie", weil er in seinen Erklärungen den Schöpfer als möglichen Reaktionsmechanismus ausschließt. Es gilt eben im Grundsatz die Prämisse: "In der Wissenschaft dürfen transzendente Kräfte keine Rolle spielen, selbst, wenn es sie gäbe" (S. 144).

Soweit darf man also festhalten daß es Kotthaus vortrefflich gelungen ist, die wichtigsten metatheoretischen Aspekte, die gegen die Wissenschaftlichkeit von Schöpfungstheorien sprechen, zur Diskussion zu stellen. Das Buch ist didaktisch gut aufbereitet, provokativ und vermittelt dem Leser Einblicke in die Inkonsistenz und Irrationalität (z.B. auf S. 71) evolutionskritischer Argumentation sowie wichtige Hintergrundinformationen über die im Buch vorgestellten Evolutionskritiker (die natürlich "durch die Brille" des Autors gesehen werden). Als weiteres "Plus" ist anzumerken, daß Kotthaus - wiewohl er die Folgen einer kreationistischen "Wissenschaft" recht drastisch beschreibt - das altbekannte Klischee, wonach hinter Kreationismuskritik nur ein sinistrer Atheismus, jedoch keine christliche Glaubensposition stehen könne, gründlich widerlegt. Der Autor ist offenbar, auch wenn dies nur zwischen den Zeilen anklingt, religiös.

Leider hat das Buch auch einige Schwächen, welche die Kritiker zurecht monieren - und so den Blick von den gelungenen Aspekten des Buchs abwenden können. Zunächst fällt auf, daß die wissenschaftstheoretischen Einschätzungen (wiewohl sie richtig sind!) manchmal nur unzureichend oder etwas fragwürdig begründet werden. So wird z.B. auf den S. 115-123 das Prinzip der Operationalisierung von Theorien erwähnt, welches im Kreationismus nicht verstanden wird, weil es ihr positivistisches Wissenschaftsverständnis (wonach nur das jederzeit Feststellbare Gegenstand naturwissenschaftlicher Untersuchungen sein kann) ad absurdum führt. Doch anstatt dies näher auszuführen und zu begründen, welche Konsequenzen der Positivismus für die Wissenschaft hätte, welche Methode an dessen Stelle trat und weshalb die Evolutionstheorie aufgrund ihrer historischen Bezüge keine "Sonderstellung" im Wissenschaftsgefüge einnimmt, ist die Begründung zu allgemein gehalten und rekurriert streckenweise nur auf einen Autor (Pennock), der meines Wissens aber nichts Originäres zur Positivismuskritik beigetragen hat. Überhaupt wird über weite Strecken "frei" argumentiert und dabei zu selten auf (Primär-)Literatur zurückgegriffen. Auf S. 131 wird festgestellt, daß ein "transzendenter Gott... nichts und alles beweisen" (genauer: erklären) könne. Das stimmt! Doch es fehlt die wissenschaftstheoretische Begründung, zumindest ein Literaturverweis, so daß diejenigen Leser, die nicht über Vorkenntnisse verfügen, wohl das Argument nicht verstehen und den Eindruck gewinnen, als gäbe der Autor hier eine widersprüchliche Einzelmeinung wieder. 

Ferner ist der Gebrauch wissenschaftstheoretischer Begriffe wie "Faktum", "Theorem" oder "Phänomen" (etwa auf den S. 112, 120, 127) etwas verwirrend oder im populären Sinne mißverstanden. So heißt es z.B.: "Phänomene anhand ihrer Auswirkungen zu klassifizieren... ist in der Wissenschaft keine unübliche Methode" (S. 120) - sind nicht umgekehrt Phänomene sichtbare Auswirkungen unbeobachtbarer Fakten? "Das Wirken der Evolution kann als Beweis ihrer Existenz angenommen werden" (ebd.). Diese Aussage klingt fatal zirkelschlüssig. Und (ebd.): Selbst "Kreationisten werden die (positiven) Auswirkungen der Schwerkraft... zu schätzen wissen". Das Argument geht insofern am Problem vorbei, als ja nicht die Phänomene (Erdanziehung, Ähnlichkeit und Variation der Arten etc.) bestritten werden, sondern bestenfalls die Theorien (Relativitäts-, Evolutionstheorie), die sie erklären sollen bzw. die unbeobachtbaren Fakten (Raumkrümmung, gemeinsame Abstammung der Arten), die sie postulieren. Hier hätte man Poppers Methode des hypothetischen Schlußfolgerns (den "Hypothetico-Deduktivismus") verdeutlichen können, anstatt doch wieder nur an Beispielen innerartlicher Variation zeigen zu wollen, daß "die Evolutionstheorie diesen [Ansprüchen des Positivismus...] sehr wohl genügt" (S.122). Der Versuch kann nur zu einer schiefen Angelegenheit werden.

Schließlich sei noch erwähnt, daß sich das Buch weniger mit dem deutschen Kreationismus beschäftigt, als dies der Titel vorgibt. Die Kritik konzentriert sich häufig auf die Lehren US-amerikanischer Vorbilder wie Gish oder Morris, während die Protagonisten des "Intelligent Design" (wie Behe, Kahle oder Lönnig) in der Aufstellung des zweiten Kapitels leider übersehen werden. Dies ist deshalb kritikwürdig, weil sich viele der "platten" Argumente des US-Kreationismus, die Kotthaus zurecht beanstandet, nicht originär im deutschen Kreationismus wiederfinden und heute in Teilbereichen subtiler argumentiert wird. Insbesondere die Anhänger des "Intelligent Design" teilen viele theologischen Positionen des "Bibelkreationismus" nicht, so daß z. B. die Feststellung, man träfe eine "Vorherrschaft der Bibel über die Wissenschaft... bei praktisch jedem kreationistischen Autor" (S. 83) - zumindest in der "Faktendiskussion" - nicht pauschal zutrifft.

Insgesamt gesehen ist es Kotthaus jedoch gelungen, das metatheoretische Fundament des Kreationismus ins Mark zu erschüttern. Vor diesem Hintergrund kann man die jüngsten Reaktionen der Evolutionskritiker kaum als angemessen bezeichen, weil sie die Kritik überbetonen, viele Argumente und Begründungen oft nicht sehen, mißverstehen oder aus dem Zusammenhang herausnehmen und sich mit den "unbequemen" Argumenten kaum auseinandersetzen. Zwar ist die Aufregung insofern nachvollziehbar, als sich der Autor eines provokativen, manchmal auch pejorativen Vokabulars bedient, auf welches im Dienste der Sachlichkeit besser verzichtet worden wäre (persönlich herabsetzende Kommentare, wie etwa die Bezeichnung Gitts als "Kettenhund des deutschen Kreationismus" (S. 35) sollten nicht sein und liefern nur unnötige Angriffsflächen). Der Argumentationsstil deutscher Kreationisten wird jedoch überwiegend fair beurteilt und vom eher "platten" US-Kreationismus dezidiert abgegrenzt (S. 73 ff.). Lediglich Gitt wird von der Beurteilung ausgenommen, und es sollte die Frage erlaubt sein, ob sein nachgewießenermaßen oft polarisierender und elitärer Diskussionsstil, der stellenweise stark an amerikanische "Schwarz-weiß-Rhetorik" erinnert, dem Anliegen des Kreationismus nicht mehr schadet als nützt. Das Buch enthält jedenfalls mehr kritische Argumente, als dem Kreationismus recht sein kann. Angesichts der Tatsache, daß in den letzten Jahren nur etwa eine handvoll kreationismuskritischer Monographien auf dem deutschen Buchmarkt erschienen ist (während die Zahl evolutionskritischer Publikationen heute kaum mehr überschaubar ist), kann man diesen Umstand nicht genügend würdigen.

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Last update: 06.02.04                                  

              

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