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Schritte
zum Leben
Moderne Erkenntnisse über die Entstehung des Lebens
Vorwort
I. Entstehung des
Lebens
1. Frühere Ansichten über die
spontane Entstehung von Leben
2. Die chemische Entwicklung der
Erdatmosphäre
3. Die Entstehung organischer
Kleinmoleküle, Theorie der "Ursuppe"
4.
Das Problem der UV-Strahlung und der Urey-Effekt
5.
Die klassische Theorie in der Krise: Wächtershäuser und die Theorie
des Biofilms
6.
Keime des Lebens in der Tiefsee
7.
Von der Theorie des Biofilms zu Karl Stetters "Pyritorganismen"
8.
Erstes Leben, DNS und die Rolle der Enzyme
9. Quasispezies und
Hyperzyklen
10. Geschlossene Konzepte
zur Entstehung der ersten Urorganismen (Protobionten)
11.
Literaturhinweise
Vorwort
Kein Thema berührt,
mit Ausnahme der Kosmologie, das Selbstverständnis des Menschen so sehr,
wie das der Entstehung des Lebens auf der Erde. Heute, nach jahrtausendelanger
Vorherrschaft mystischer Schöpfungsvorstellungen, beginnt sich der Nebel
der Unwissenheit ganz allmählich zu lichten. Obwohl wir noch immer nicht
in der Lage sind (und es vermutlich auch niemals sein
werden), den Verlauf des Lebens in allen
Details zu rekonstruieren, das heißt die historisch einmaligen
Randbedingungen und komplexen chemischen Vorgänge, die sich in
grauer Vorzeit auf der Erde abspielten, vollständig zu entflechten,
sind wir dennoch in der Lage, die Notwendigkeiten, das heißt
die physico-chemischen Mechanismen im Labor zu erforschen. Anhand der
experimentellen Ergebnisse lassen sich dann Rückschlüsse ziehen,
unter welchen Bedingungen irdisches Lebens möglicherweise entstanden
ist, so daß wir die chemische Evolution naturwissenschaftlich erforschen
und wenigstens im Allgemeinen und Prinzipiellen verstehen und erklären
können. Dies unterscheidet naturalistische Entstehungstheorien von
supernaturalistischen Schöpfungsvorstellungen, denn die postulierten,
übernatürlichen Vorgänge lassen sich nicht
empirisch-wissenschaftlich erforschen, können letztlich immer nur geglaubt
werden und tragen nichts zum kausalen Verständnis der Vorgänge
in der Welt bei. Der Prozeß der Lebensentstehung, den es zu erklären
gilt, wird mit anderen Worten nur in ein unerforschliches Mysterium ausgelagert.
Eine erklärungsmächtige, wissenschaftliche, rational begründete
Schöpfungstheorie kann es daher nicht geben, so daß sie nicht
als ernstzunehmende Alternative zum naturalistischen Konzept infragekommt.
Nichtsdestotrotz erfreuen sich Schöpfungstheorien,
die die Entstehung und Entfaltung des Lebens auf den "unforschlichen
Ratschluß" des Schöpfers zurückführen und uns eine kosmische
Geborgenheit sowie einen festen Platz im Weltgefüge versprechen, nach
wie vor großer Beliebtheit. So ist heute bei einer steigenden Zahl
von Menschen die Evolutionstheorie wieder "out", die These der biblischen
Weltschöpfung dagegen "in". Der vorliegende,
populärwissenschaftlich geschriebene Essay soll dem Leser hingegen
eine konsequent naturwissenschaftliche Sichtweise der Lebensentstehung
vermitteln und zeigen, daß auch und gerade die
modernen, naturalistischen Naturwissenschaft faszinieren kann, weil nur
sie den Schlüssel zum kausalen Begreifen der Vorgänge in
der Natur in sich trägt. Denn wenn man die Evolution mitbedenkt, kommt
zum Staunen über die innige Verflechtung von Ursache und Wirkung der
chemischer Prozesse in der Natur das Staunen über die Selbstorganisation
der Materie, deren Prinzipien sie zu immer neuen Erscheinungsformen lenken
konnte.
Demgegenüber wirken die "Erklärungen" und "Argumente" der Verfechter
einer Schöpfungslehre mühsam und unglaubwürdig. Das einzige,
was tatsächlich als Erklärung gelten kann, ist die Aussage, daß
der Schöpfer die Welt, die physico-chemischen Prinzipien und das Leben
auf mysteriöse Weise und aus irgend einem Grunde so erschaffen hat,
wie es ihm gefielt. Damit werden die methodologischen Prinzipien der
Naturwissenschaft verlassen und zerstören das intellektuelle Verlangen
nach kausalem Begreifen der Welt. Erst das
Verständnis der Kausalbeziehungen lehrt uns, daß
wir im Lichte naturalistischer Theorien keinesfalls aus der weltlichen
Geborgenheit herausgerissen werden, sondern daß wir uns erst recht
in einem rein naturgesetzlich verstehbaren Universum zuhause fühlen
dürfen. "Das unbegreifliche und faszinierende an der Welt ist,"
so hatte EINSTEIN sinngemäß einmal festgestellt, "daß
wir sie verstehen können."
I. Die Entstehung
des Lebens
1. Frühere
Ansichten über die spontane Bildung von Leben
Eines der Urgeheimnisse
dieser Erde, die Entstehung des Lebens, war jahrtausendelang ein unlösbares
Mysterium und wurde lange Zeit nur der Kraft einer geheimnisvollen
göttlichen Schöpfung zugeschrieben. Rund 300 vor Christus war
Aristoteles noch überzeugt, daß "Würmer, Motten und Kröten
spontan durch göttliche Schöpfung aus nasser Erde, Bienen aus
Exkrementen" entstünden. Die Beobachtung des Alchimisten
Helmont schien etwa im Jahre 1577 die Theorie der spontanen
Genese aller Kreaturen zu stützen. Er gab Getreidekörner und schmutzige
Wäsche zusammen und beobachtete, daß dem Gemenge nach einiger
Zeit Mäuse entsprangen. Seine Schlußfolgerung war einfach: Ein
Stoff in der verschmutzten Wäsche mußte unmittelbar zur Bildung
von Mäusen führen. Bald darauf schien die "Tatsache", daß
sich aus toten Tierkörpern Fliegen und Maden sowie aus Rinderkot Bienen
"entwickelten", zu zeigen, daß die Abiogenese offenbar das Vorhandensein
organischer Materie voraussetzte (siehe Abbildung 1). Die "spontane
Urzeugung" schrieb man einer geheimnisvollen Vitalkraft, der sogenannten
vis vitalis zu, derzufolge Leben nicht aus anorganischer, toter
Materie, sondern nur aus organischen Substanzen gebildet werden konnte.

Abbildung 1:
Im 16. Jahrhundert glaubte man, daß
Mäuse spontan aus Getreide und schmutziger Wäsche, Bienen aus Tierkot
und Fliegen aus Muskelfleisch entstünden. Später erkannten Alchimisten,
daß Fliegen und Bienen nur dann "entstehen", wenn Muskelfleisch und
Kot nicht von der Umwelt abgeschlossen sind.
Andere Wissenschaftler widersprachen derartigen Thesen
heftig und vertraten die Meinung, daß Lebewesen stets nur aus Lebewesen
ihrer Art hervorgehen könnten. Allerdings hatte noch Lamarck, der 1809
(im Geburtsjahr Darwins) erstmals eine Evolutionstheorie niedergeschrieben
hatte, noch die Idee spontaner Urzeugungen verfochten; ein Gedanke, der im
18. und beginnenden 19. Jahrhundert allgemein weit verbreitet war. Erst im
Jahre 1884 wurde der Disput entschieden, nachdem der französische Arzt
Louis Pasteur in einer Reihe von Versuchen zeigen konnte, daß
sich Mikroorganismen keinesfalls spontan bilden können: "Omne
vivum e vivo", alles Leben stammt von Leben ab.
Diese Erkenntnis Pasteurs, welche die endgültige
Klärung dieser Frage erbrachte, hat bis heute Gültigkeit. Lebewesen
können unter den gegenwärtig herrschenden irdischen Bedingungen
nicht spontan aus unbelebter - sei es organische oder anorganische - Materie
entstehen. Allerdings sagt diese Feststellung nichts über die
Möglichkeit spontaner Urzeugungen unter ganz anderen Verhältnissen,
als sie heute auf der Erde herrschen, aus. Gab es möglicherweise in
einer früheren Epoche der Erdgeschichte Bedingungen, welche die spontane
Entstehung von Leben aus anorganischer Materie ermöglichten oder welche
Leben gar zwingend (im Sinne einer Konsequenz der Urchemie) hervorbringen
mußten? Gab es womöglich eine Urschöpfung weitab vom Terrain
religiös-mystischer Vorstellungen über eine göttliche
Intervention?
2. Die chemische Entwicklung der
Erdatmosphäre
Wie man diversen
Lehrbüchern über terrestrische Bedingungen entnehmen kann, besteht
die Luft zu rund 78% aus Stickstoff und zu 21% aus Sauerstoff. Man spricht
ob des hohen Gehalts an Sauerstoff von einer oxidierend
wirkenden Atmosphäre, die über kurz oder lang Stahlblech
zum Rosten bringt, organische Substanzen chemisch angreift und Lebewesen
altern läßt. Doch sie ist auch stets eine lebensspendende
Atmosphäre, ohne die gegenwärtig kein Leben möglich wäre.
Die Wissenschaft ist heute in Lage anhand von Gaseinschlüssen in uralten
Gesteinsschichten schlüssig zu belegen, daß die Zusammensetzung
unserer Atmosphäre bereits vor rund 350 Millionen Jahren, in der
erdgeschichtlichen Epoche des Perm also, im wesentlichen dieselbe war wie
heute. Der aggressive Sauerstoff (insbesondere in Form atomarer Radikale,
die chemisch nicht abgesättigten Valenzen enthalten) verhindert aber
jede spontane Entstehung von Leben, zerstört zahlreiche organische
Verbindungen rasch und wirkt fast ebenso stark oxidierend wie elementares
Chlor. Selbst niedrige Chlorkonzentrationen in der Atemluft führen zu
schweren Lungen- und Hautverätzungen und nach kurzer Zeit zum Tode.
Nur einem ausgeklügelten Enzymsystem im Stoffwechsel eines jeden Lebewesens
ist es zu verdanken, daß wir nicht binnen kurzer Zeit durch Luftsauerstoff
getötet werden.
Abbildung 2:
Im Laufe der Jahrmillionen wurde das Kohlendioxid
aus der Atmosphäre herausgefiltert und im Meer gelöst. Dort entstanden
im Laufe der Zeit gewaltige Kalk-Sedimente, die sich, durch tektonische
Kräfte im Erdinnern zu Gebirgen auffalteten. Unsere heutige Atmosphäre
unterscheidet sich daher von der Uratmosphäre und der sog. "ersten
Atmosphäre" fundamental.
Gehen wir allerdings in der Erdgeschichte an den Anfang
zurück, stellen wir fest, daß sich der chemische Aufbau der
Atmosphäre wesentlich vom heutigen unterschieden und sich während
Jahrmilliarden mehrmals geändert haben muß. Erst vor gut 350 Millionen
Jahren war ein chemisches Gleichgewicht erreicht, das bis heute - von
geringfügigen säkularen Schwankungen abgesehen - recht stabil geblieben
ist. Unser naturwissenschaftlicher Kenntnisstand versetzt uns in die Lage,
die Entwicklung der Erdatmosphäre während der langen Zeiträume
der Erdgeschichte chronologisch nachzuvollziehen. Daraus ergibt sich in etwa
folgendes Bild:
Als vor 4,6 Milliarden Jahren die Erde
durch die Zusammenballung kosmischer Materie entstand, mußte die
Oberflächentemperatur der Erde weit über 1000 Grad Celsius betragen
haben, aufgrund radioaktiver Zerfallsprozesse, Meteoriteneinschläge
und der adiabatischen Kontraktionswärme glutflüssig gewesen sein.
Die hohe Temperatur bewirkte, daß sich die damals bereits vorhandene
sogenannte Uratmosphäre ("Primordialatmosphäre")
weitestgehend in den Weltraum verflüchtigte und dabei der Anteil an
Wasserstoff, Stickstoff, Kohlenoxiden und Edelgasen um mindestens den Faktor
1000 abnahm. Es gingen überwiegend Wasserstoff, Helium, Argon, Wasser,
Ammoniak, Methan, und Kohlendioxid verloren. Spekralanalysen der
erdferneren Planeten Jupiter und Saturn legen folgende Zusammensetzung der
Atmosphären nahe: Neben Wasserstoff und Helium bilden Methan und Ammoniak
die Hauptbestandteile. Auf der Erde verflüchtigten sich jedoch Wasserstoff
und Helium, so daß Methan und Ammoniak in der
Primordialatmosphäre verblieben sein dürften.
Vor etwa 4,2 Milliarden Jahren hatte
sich die Erde soweit abgekühlt, daß sich flüssiges Wasser
auf ihr halten konnte, das beständig aus dem Erdinnern ausgaste. Wie
man heute weiß, waren die Gase dieser nachfolgenden ersten Atmosphäre
allesamt vulkanischen Ursprungs. Nach der Abkühlung der Erdoberfläche
setzte zudem eine Fragmentierung ein, die zu dem typischen Aufbau des Erdinnern
führte. Zeitgleich bildeten sich das Weltmeer und die Atmosphäre
aus.
Diese sogenannte erste Atmosphäre
ging aus einem einen gewaltigen Hochofenprozeß hervor, der zu
einer Reduktion von Eisen- und Nickeloxiden führte. Die reduzierten
Metalle sanken in die Tiefe ab und bildeten den Erdkern. Dabei erhöhte
sich der oxidative Charakter der Atmosphäre; Methan und Ammoniak wurden
oxidiert. Daher ist nach den neuesten Erkenntnissen anzunehmen, daß
die erste Atmosphäre nicht, wie zunächst angenommen, aus
Methan und Ammoniak, sondern - nebst Spuren von Methan und
Ammoniak - im wesentlichen aus Wasser, Kohlendioxid, Stickstoff und Kohlenmonoxid
bestand. Heute geht man von dem Gedanken aus, daß die erste
Atmosphäre etwa dieselbe Zusammensetzung gehabt hatte, wie die heute
noch von Vulkanen ausgestoßenen Gase, so daß ungefähr folgende
Zusammensetzung als wahrscheinlich gilt:
80% Wasser und Stickstoff, 10% Kohlendioxid, 7 %
Schwefelwasserstoff, 0,5% Kohlenmonoxid, 0,5% Wasserstoff, Spuren an Methan
und Ammoniak.
Durch die Kondensation des Wassers setzte ein etwa 40000 Jahre andauernder
Regen ein, der zu einer relativen Anreicherung der übrigen Gase
führte. Die Atmosphäre war schwach reduzierend und bestand jetzt
hauptsächlich aus Kohlenoxiden, Stickstoff und Wasserstoff. Bemerkenswert
ist auch, daß man Vulkane und Geysire kennt, deren Exhalationsprodukte
relativ reich an Methan und Ammoniak sind, so daß man annehmen muß,
daß reduzierende Gase in Nischenbereichen der Urerde stellenweise
höhere Konzentrationen erreicht haben dürften.
Durch den Einfluß der Sonne, die immer stärker
zu strahlen begann, wurden die reduzierenden Gase der ersten Atmosphäre
aber auf den sonnennahen Planeten (Venus und der Erde) in zunehmendem Maße
wieder chemisch gespalten. Die verbliebenen Elemente verbanden sich, chemischen
Regeln folgend, zu Kohlendioxid und Stickstoff. Das Kohlendioxid löste
sich teils im Meer unter Bildung gewaltiger Carbonatsedimente und
wurde teils infolge veränderter vulkanischer Aktivitäten durch
ausgasenden Stickstoff und Wasserdampf verdrängt. Es bildete sich daher
eine Lufthülle, die im wesentlichen aus Stickstoff mit Beimengungen
von Wasser, Kohlendioxid und Argon bestand. Vor etwa 3,4 Milliarden Jahren
hatte sich diese sogenannte zweite Atmosphäre
vollständig ausgebildet, die nun weder reduzierend, noch oxidierend
war. Durch den Löseprozeß des Kohlendioxids im Meer verringerte
sich überdies auch der Treibhauseffekt, so daß sich die noch immer
recht warme Erdatmosphäre weiter abkühlen konnte (siehe Abbildung
2).
Durch die Entstehung des Lebens wandelte sich die
Atmosphäre schließlich ein drittes Mal. Aufgrund der Entwicklung
der ersten primitiven Autotrophen (wie Cyanobakterien bzw. blaugrüne
Algen) vor etwa 3,5 Milliarden Jahren, wurde nach und nach das Kohlendioxid
bis auf einen kleinen Rest beseitigt, denn sie "veratmeten" das Kohlendioxid
unter Bildung von Sauerstoff. Dieser Sauerstoff reicherte sich zunächst
im Meerwasser an. Vor etwa 2,5 Milliarden Jahren entstanden somit riesige
Eisenoxidablagerungen auf dem Meeresboden. Vor etwa 2 Milliarden Jahren war
fast das gesamte Eisen im Meer als Oxid ausgefällt und der Sauerstoff
begann in die Atmosphäre auszugasen. Im Laufe der Evolution paßten
sich die Lebewesen nach und nach an die immer mehr oxidierend wirkende
Atmosphäre (welches jetzt das "Stoffwechselgift"
Sauerstoff enthielt) an, und aerobe Einzeller begannen gar,
den Sauerstoff zur effizienten "Nahrungsveratmung" zu nutzen.
Mit zunehmender Konzentration des Sauerstoffs in der
Atmosphäre wurde dieser vermehrt durch die nach wie vor hohe UV-Einstrahlung
der Sonne in atomaren Sauerstoff gespalten. Dieser "aktive" Sauerstoff verband
sich mit molekularem, "normalem" Luftsauerstoff zu dreiatomigem
Ozon. In rund 15-30 km Höhe bildete sich die
stratosphärische Ozonschicht aus, welche für die Evolution des
Lebens von entscheidender Bedeutung war. Das stratosphärische Ozon filtert
heute rund 70% der UV-Strahlung heraus und ermöglichte vor rund 350
Millionen Jahren die Entstehung der ersten Landlebewesen.
Vor rund 400 Millionen Jahren hatte sich die Ozonschicht
vollständig ausgebildet, so daß das Leben unter dem Schutz dieses
UV-Filters eine explosionsartige Entwicklung erfuhr, die schließlich
auch zur Entstehung des Menschen führte. Seit 350 Millionen Jahren
ändert sich praktisch nur noch die Zusammensetzung der Spurengase.
Zusammenfassend läßt sich also sagen, daß kurz nach der
Entstehung der Erde ganz andere Verhältnisse auf der Erde existierten
als heute. Doch wie war es möglich, daß die Entstehung des
Lebens in dieser scheinbar so lebensfeindlichen ersten Atmosphäre
überhaupt entstehen konnte?
3. Die Entstehung
organischer Kleinmoleküle, Theorie der
"Ursuppe"
Bereits Charles
Darwin stellte sich vor über 100 Jahren die Frage, wie aus
anorganischen Kleinmolekülen Leben hatte entstehen können. Er dehnte
den Evolutionsgedanken auch auf die unbelebte Natur aus; später wurde
von der "kosmischen und chemischen Evolution" gesprochen. Fast alle
Naturwissenschaftler griffen die Theorie auf, nach welcher auf chemischer
Ebene aus den Spurengasen der ersten Atmosphäre, wie Methan, Ammoniak
und Kohlenmonoxid, kompliziertere Substanzen hervorgehen sollten,
aus denen sich immer komplexere Systeme bildeten, die schließlich zur
Bildung der ersten Einzeller führten.
In den 20er Jahren formulierten der russische Biochemiker
Oparin und der Brite Haldane diese allgemeine Vermutung in ihrer bekannten
"Theorie der Ursuppe". Danach sollten biotisch relevante, organische Verbindungen
durch chemische Prozesse in der Atmosphäre entstehen, sich in den Weltmeeren
anreichern und eine Art "Ursuppe" bilden, der im Laufe der
Zeit komplexe Biosysteme entstiegen. Ein großes Problem war jedoch,
daß diese Hypothese lange Zeit empirisch nicht zu stützen
war. Zahlreiche Kritiker zogen gegen den Gedanken zufelde und bemerkten,
daß die Entstehung von Biomolekülen unter physico-chemischen und
präbiotischen Bedingungen ganz und gar unwahrscheinlich war. Vor allem
waren es die Kreationisten, welche die offene Frage wieder einmal durch ihre
"Lückenbüßer-Theologie" ausfüllen wollten.
Doch im Jahre 1953 hat der Chemiker
Stanley Miller in seinem berühmt
gewordenen Experiment einen historisch entscheidenden Schritt zur Klärung
der Frage getan, der das ganze Koordinatensystem verschoben und dazu
geführt hat, daß die "Lückenbüßer-Theologie" -
wie so oft in der Wissenschaftsgeschichte - wieder einmal einen Schritt
zurückweichen mußte. Miller konnte nämlich zeigen, daß
die Entstehung von Biomolekülen (ja sogar eines ganzen Repertoirs
komplizierter Verbindungen) unter physico-chemischen und gewissen
präbiotischen Bedingungen eben doch möglich ist.
Insofern ist es nicht sehr effektvoll, wenn heute wieder geglaubt
wird, man bräuchte dieselbe Argumentationsstrategie einfach nur
auf die nächsthöhere Ebene auszulagern, dazu weitere offene Fragen
und Kontroversen zur Diskussion stellen und meinen, damit die Bedeutung des
Miller-Experiments erschüttert zu haben. Völlig ungeachtet des
Umstandes, daß Miller noch zahlreiche Fragen unbeantwortet ließ
(die auch bis heute offen geblieben sind), ist doch klar, daß er ein
beweiskräftiges Mosaiksteinchen zum Gesamtbild beitrug, das Bestand
hat. Somit kann die Strategie, das Zurückweichen des "god of gaps" einfach
durch das Stellen neuer Fragen zu überspielen, wissenschaftsmethodisch
nicht überzeugen.
Miller simulierte dazu im Mikromaßstab die
hypothetischen atmosphärischen Bedingungen, die auf der Urerde vor rund
4 Milliarden Jahren geherrscht haben könnten: In einem Kölbchen
brachte er Wasser zum sieden. Der Wasserdampf gelangte über ein Glasrohr
in einen Rundkolben seiner Apparatur, der zuvor mit einem Gemisch aus Methan,
Ammoniak und Wasserstoff befüllt worden war (siehe Abbildung
3). Über zwei Wolframelektroden wurde eine hochenergetische
Funkenentladung erzeugt, die in der "Reaktionszone" eine Temperatur von bis
zu 600 Grad Celsius erzeugte. Die Funkenstrecke simulierte die ungeheuren
elektrischen Entladungen, die in der Frühzeit der Erde geherrscht haben
mußten, als die noch heiße Atmosphäre mit Wasserdampf
gesättigt war und gewaltige Unwetter herrschten.
Überdies konnte die harte UV-Strahlung der noch
jungen Sonne die Erde ungehindert erreichen, da eine schützende Ozonschicht
aufgrund fehlenden Sauerstoffs noch sehr unvollkommen ausgebildet war; diese
Strahlung ermöglichte ebenfalls komplexe Reaktionen. Die thermodynamisch
sehr instabilen Verbindungen Methan und Ammoniak reagierten unter diesen
Bedingungen mit Wasserdampf und Wasserstoff der Atmosphäre und brachten,
wie Miller überzeugend zeigen konnte, eine Fülle organischer,
biologisch wichtiger Verbindungen hervor.
Abbildung3:
Mit einfachsten Mitteln zeigte Stanley Miller, wie
sich aus den Komponenten der ersten Atmosphäre die Bausteine des Lebens
auf der frühen Erde bilden konnten. Dazu füllte er in einen
gläsernen Rundkolben Methan, Ammoniak und Wasserstoff ein und setzte
das Gasgemisch elektrischen Funkenentladungen aus. Wasserdampf gelangte
über ein Rohr ebenfalls in die Apparatur. Nach einigen Tagen ließen
sich praktisch alle biotisch bedeutsamen organischen Verbindungen in der
Vorlage nachweisen.
Im Laufe mehrerer Tage sammelten sich in der Vorlage
(Abbildung 3, rechts unten), nebst eines teerartigen Kondensats, bedeutsame
Mengen organischer Moleküle. Recht zahlreich waren die Bemühungen
derer, die Miller's Versuch in der ganzen Welt - und unter vielfach abgewandelten
Reaktionsbedingungen - wiederholten. Manche Experimentatoren bedienten
sich anstelle des Methans Kohlenmonoxids, andere setzten Kohlendioxid und
elementaren Stickstoff, wieder andere Blausäure und Formaldehyd (die
intermediären Folgeprodukte der photochemischen Umsetzung von Methan
und Ammoniak) oder Dicyan und Kohlendioxid ein. Wieder andere legten die
heute angenommene Zusammensetzung der ersten Atmosphäre ihren Experimenten
zugrunde, experimentierten also mit Kohlendioxid, Wasser und Kohlenmonoxid
neben Spuren von Wasserstoff.
Interessanterweise meldeten fast alle Experimentatoren Erfolge, kaum einer
zog eine Niete. In zahlreichen Fällen ließen
sich Intermediate (wie z. B. Cyanide, Aldehyde, Carbamate, Carbodiimide und
Amine) nachweisen, wobei im Laufe mehrerer Tage in den Apparaturen
zahlreiche Aminosäuren, niedere Carbon- und Fettsäuren
als Folgeprodukte entstanden. Im Laufe der Zeit füllte die Zahl
nachgewiesener Biomoleküle schließlich ganze Bücher. Bis
heute sind praktisch alle relevanten
Aminosäuren, Lipide, Purine (Nucleotidbasen) und Zucker
in den Ursuppenexperimenten der "2. Generation" erzeugt worden, ja
selbst die Bildung solch komplexer - unter gleichsam
unspezifischen Bedingungen erzeugter - Verbindungen wie
Porphyrine und Isoprene wurde
vermeldet. Hoimar v. Ditfurth schrieb dazu:
"Es schien vollkommen gleich zu sein, auf welche
Ausgangsstoffe man zurückgriff. Hauptsache war, daß das
Gemisch Kohlenstoff, Wasserstoff und Stickstoff enthielt, jene Atome,
die den Hauptteil aller lebenden Materie bilden (...) Mit welchen Mitteln
auch immer man die Bedingungen der Ur-Erde zu kopieren versuchte, in praktisch
jedem Fall entstanden die komplizierten Moleküle, deren 'abiotische
Genese' deren Entstehung ohne die Anwesenheit von Lebewesen nicht nur so
vielen vorangegangenen Forschergenerationen, sondern auch den Männern,
die diese Versuche jetzt durchführten, bis dahin so geheimnisvoll erschienen
war."
Last
update:
07.05.05
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Abschnitt © M.
Neukamm, 22.06.99