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Neukamm, M.; Beyer, A. (2005):

Wolf-Ekkehard Lönnig und die Affäre Max Planck (*)

Über die fragwürdigen Diskursmethoden eines Evolutionsgegners

                                                   

6. Resümee

Wie wir gesehen haben, ist die Argumentation unseres Gegners in vielerlei Hinsicht wissenschaftlich fragwürdig, nichtig und verfehlt. Zahlreiche seiner Texte, die er auf seiner Homepage veröffentlicht, bestechen durch ein erstaunliches Maß an Unsachlichkeit; viele davon tragen die klassischen Kennzeichen pseudowissenschaftlicher Literatur: Erstens ist das methodologische Gebäude, das unser Kritiker zum Zwecke der Evolutionskritik bezieht, in sich nicht konsistent, denn es beruht auf einem unangemessenen Empirismus sowie auf der Verwechslung zweier logisch voneinander unabhängigen Fragestellungen. Mit dieser Methodologie könnte man - wenn man es darauf anlegen würde, jede beliebige wissenschaftliche Theorie umstürzen und durch eine Pseudolehre ersetzen. Zweitens besitzt die ID-Lehre, die unser Kritiker favorisiert, keinen wissenschaftlichen Wert; sie stellt keine differenzierten kausalen Aussagen bereit, besitzt keinen Erklärungswert und verfehlt das methodologische Kriterium der Prüfbarkeit. Wissenschaftliche Theorien können daher nur auf dem Boden des Naturalismus gedeihen - ein Umstand, den wir in zahlreichen Artikeln und Bücher erörtert haben. Lönnig ignoriert jedoch die Begründungen und behauptet, wir hätten gar keine! Zu seinen Ausführungen gesellen sich somit drittens zahlreiche Stilmittel, die er gegen die Evolutionsbiologie und ihre Fachvertreter (u.a. zur ad-hominem-Kritik) einsetzt. Die Beantwortung der Frage, ob die darin enthaltenen, o.g. Fehlschlüsse unbewußt aufgrund unzureichendem Argumentationsvermögen oder bewußt als obskurantes Stilmittel zum Kampf gegen die Evolutionstheorie eingesetzt werden, überlassen wir dem Leser. Jedenfalls disqualifiziert sich unseres Erachtens als Gesprächspartner, wer die Fachvertreter der Evolutionsbiologie (inbesondere beim VdBiol) unentwegt attackiert und als Dogmatiker, Verhinderer, Blockierer und Schlimmeres hinstellt. Nach unserer Auffassung zeugen solche Darstellungsformen von Radikalität im Denken und werfen ein Schlaglicht auf den weltanschaulichen Eifer derer, die auf sie zurückgreifen, zumal die verbale Derbheit oft in einem eigentümlichen Mißverhältnis zur Schlagkraft der Argumente steht.


Interessanterweise scheinen einige der deutschen Vertreter der ID-Theorie der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas anzugehören, die der Christ und langjährige Sektenbeauftragte Hemminger (2000), wie auch viele andere Kenner der weltanschaulichen Randszene, als "Extremgruppe" einstuft. Hemminger warnt sogar andere deutsche Kreationisten, die in der Sache weitaus elaborierter und verbal deutlich gemäßigter in Erscheinung treten, dezidiert vor einer "fragwürdigen Allianz" mit dieser Gruppierung.

                      

7. Schlußbetrachtungen: Der Appell an den Meinungspluralismus

Es war nötig, die Ungereimtheiten der Lönnigschen Argumentation in ihren groben Linien nachzuzeichnen, womit impliziert wird, daß wir nur eine kleine Auswahl der fragwürdigen Argumente unseres Gegners berücksichtigen konnten. Denn um die sachlichen und methodischen Irrtümer auf der "ausgedruckt mehr als 1000 Seiten" umfassenden Homepage Punkt für Punkt abzuhandeln, wäre sicher ein Essay vergleichbaren Umfangs nötig, womit allerdings der Aufwand der Kritik in einem krassen Mißverhältnis zur tatsächlichen Relevanz der "Internet Library" stünde, so daß wir es mit dieser Replik bewenden lassen wollen.

Nötig war die Erwiderung vor allem deshalb, um diverse Falschbehauptungen richtig zu stellen und die Lönnigschen Internet-Seiten wieder in ein rechtes Licht zu rücken. Sie geschah nicht etwa deshalb, um unseren Kritiker mit einer "ad-hominem-Kritik" zu überziehen (wie es einem mit Sicherheit wieder aus dieser Ecke entgegenschallen wird), denn wir haben uns bemüht, trotz aller Gegnerschaft die Sachlichkeit in den Vordergrund zu stellen, alle Kritikpunkte möglichst sauber anhand von Zitaten und einer (hoffentlich) folgerichtigen Argumentation zu belegen sowie auf verletzende Äußerungen bestmöglich zu verzichten, auch wenn dies uns Rezensenten angesichts der über weite Bereiche erstaunlich unsachlichen Ausführungen eine enorme Selbstbeherrschung abverlangte. Wenn man bedenkt, wie überheblich und bisweilen sogar menschenverachtend unser(e) Kritiker stellenweise mit den Evolutionsbiologen und den Vertretern eines naturalistisch-naturwissenschaftlichen Weltbildes ins Gericht gehen; wenn kein Argument zu platt, zu irrational, zu kenntnisarm, zu offensichtlich falsch oder abgegriffen genug zu sein scheint, um es dem Evolutionsbiologen mit Spott, ätzender Polemik und im Tone triumphierender Herablassung entgegenzuschleudern, sind nicht immer die schlechten Umfangsformen schuld, wenn es gelegentlich so zurückschallt, wie der Kreationist in den Wald hineinruft.

Erstaunlicherweise beklagt sich unser Gegner, daß seine Texte in der Fachwelt so gut wie nicht ernst genommen bzw. ignoriert werden und daß sich kaum ein renommierter Wissenschaftler findet, der coram publico mit ihm zu diskutieren bereit wäre. Was aber will und kann er angesichts seiner brüskierenden Diskussionsform, die "nach außen" - wie uns mehrere Menschen schon geschrieben haben - oft dogmatisch und unbelehrbar wirkt, eigentlich erwarten? Will er allen Ernstes erwarten, daß ein Biologie-Professor, wie Kutschera mit ihm diskutiert, nachdem er von ihm nach allen Regeln der Agitationskunst persönlich angegriffen und in mehreren Polemiken als Biologe regelrecht desavouiert worden ist? Unsere Gegner müssen, um es mit Hemmingers (1988) Worten auszudrücken, "wissen und müssen hören, daß das Verständnis die Kritiker etwas kostet, daß es angesichts der kreationistischen Diskussionsformen nicht selbstverständlich gefordert werden kann." Auch wenn die Wortwahl in unserem eigenen Lager nicht immer der Stärke des Arguments angemessen sein mag und manchmal nicht minder grimmig und arrogant wirkt, als diejenigen Passagen, die wir kritisieren, kann es sich unser Kritiker in seinem eigenen Interesse kaum leisten, dieses Verhalten zum System auszubauen und in der Toleranz nur eine Einbahnstraße zu sehen. Schließlich will doch er die Wissenschaft von der Relevanz seiner Lehre überzeugen - der Evolutionsbiologie ist dies bereits gelungen, so daß deren Vertreter nicht mehr auf solche Demonstrationen angewiesen sind! Doch wie soll ihm dies gelingen, wenn er den unvoreingenommenen Leser von vorne herein mit seinen aggressiven Formulierungen und Stilmitteln verprellt? Der Evolutionsbiologe ist hier in einer "bequemeren" Position; er kann es sich eher leisten, einen Text zu ignorieren, wenn es ihm zu dumm und niveaulos wird.

Angesichts dessen erhebt sich die Frage, weshalb die ehemalige Institutshomepage des Evolutionsgegners seitens des VdBiol überhaupt derart ins Rampenlicht gerückt wurde, ist doch nach Meinung von P. Sitte (2005) im Vorfeld solcher Auseinandersetzungen immer sehr sorgfältig die Frage zu klären, "ob ein Streit mit unbelehrbaren Ideologen überhaupt sinnvoll sein kann; ob man ihnen nicht sogar einen Dienst erweist, indem man sie immer wieder in die Schlagzeilen bringt. Tatsächlich lehnen es die meisten Biologen ab, sich mit Kreationisten überhaupt auseinander zu setzen, solange keine ernst zu nehmenden Argumente vorgebracht werden." In der Tat ist dieser Einwand nicht unberechtigt - jede Diskussion und Reaktion auf kreationistische Thesen ist von vorne herein eine Gratwanderung. Wären die Evolutionsbiologen also nicht besser beraten gewesen, die Institutshomepage zu ignorieren oder mit einem schlichten Achselzucken zu reagieren?

Unser Kritiker behauptet, die Evolutionstheorie sei mittlerweile "fast das einzige umfassende Ideengebäude... das prinzipiell von niemandem wissenschaftlich oder sonstwie infrage gestellt werden darf." (75) Demnach hätte sie "tatsächlich eine absolute Sonderstellung unter allen naturwissenschaftlichen Theorien." Folglich dienten die "Verbotsversuche" nur dem Zweck, "eine totalitär materialistische Geisteshaltung, die grundsätzlich keine andere Deutung des Ursprungs der Welt und der Lebensformen gelten lassen will als die naturalistische" abzusichern. (ebd) In Wahrheit geht es aber nicht einmal vordergründig um die Diffamierung religiöser Meinungen, um "ontologische Wahrheiten", die mit dem Anspruch auf absolute Gewißheit vertreten werden, oder um die Durchsetzung irgendwelcher Meinungsmonopole. Selbstredend ist die Evolutionstheorie fehlbar und prinzipiell falsifizierbar (auch wenn die Methodologie unseres Kritikers kaum geeignet ist, um sie anzuzweifeln). Doch selbstverständlich hat unser Gegner das Recht auf freie Meinungsäußerung; er kann die Evolutionstheorie unseretwegen "sonstwie" infrage stellen, wobei wir auch schon viele der z.T. justiziablen Diffamierungen kritiklos über uns ergehen ließen und uns bislang kaum über die Larmoryanz beschwert haben, mit der man uns und andere hartnäckig ins Zentrum der schlimmsten Verriße stellt. Wie jeder Evolutionsgegner kann er in Zeitschriften, Foren, Homepages und sonstigen Internet-Portalen seine Ansicht kundtun und darin die biologischen Tatsachen schöpfungstheoretisch deuten.

Dies alles darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß dieses Recht dort an Grenzen stößt, wo im Namen Dritter bzw. im Umfeld von Interessengemeinschaften und Wissenschaftsinstitutionen gesprochen und gehandelt wird, die zur Ausübung ihrer Tätigkeit und zur Erreichung ihrer Ziele bestimmte Diskurs-Regeln, methodologische, ontologische und axiologische Standards einhalten müssen. Jeder Individualist hat seine eigenen Ansichten den Regeln (die nicht aufgrund irgend eines beliebigen "sozialen Konsenses", sondern eben aus handfesten methodologischen Erwägungen heraus entstanden sind!), unterzuordnen, denn eine Forschungseinrichtung, die nicht gewisse Rationalitätsstandards einhält, setzt nicht nur ihr Renommee aufs Spiel, sondern unterwandert von vorne herein den an sie gestellten öffentlichen und mit Steuergeldern finanzierten Auftrag, neue Erkenntnisse zu gewinnen und diese bestmöglich abzusichern. Aus diesem Grund müßte es eigentlich als selbstverständlich gelten, daß eine Person, die dezidiert in allen Hauptpunkten einer wissenschaftlich wohlbegründeten Theorie widerspricht, um sie gegen eine These einzutauschen, deren wissenschaftstheoretisches Fundament sich über die Jahrhunderte als heuristisch steril und explanativ wertlos erwiesen hat, nicht das Recht in Anspruch nehmen kann, seine abweichende Lehre ausgerechnet vom Server einer angesehenen Wissenschaftsorganisation aus zu verbreiten.

Mittlerweile ist, um nun auf die von P. Sitte erhobene Frage zurückzukommen, bis in weite Kreise der Bevölkerung die Kunde gedrungen, daß ein Wissenschaftler der Max-Planck-Gesellschaft die Evolutionstheorie ablehnt. Jeder denkt sich: "Ein promovierter Biologe lehnt die Evolutionstheorie ab, also muß er ernste Sachverhalte gegen sie einzuwenden haben." Das Laien-Publikum ist praktisch nicht imstande zu erkennen, daß hier keine sachlichen, sondern durchweg rhetorisch-methodische Einwände gegen die Evolutionstheorie erhoben werden, die mit dem wissenschaftsorientierten Weltbild nicht auf einen Nenner zu bringen sind und sich daher von den Einschätzungen der Fachwelt grundlegend unterscheiden. Da man also den wenigstens Lesern abverlangen kann, von sich aus den Unterschied zwischen methodologischer und sachlicher Gegnerschaft durchzudenken, ist es nicht überraschend, daß (nach einer jüngsten Umfrage) immerhin rund 20% aller Deutschen, Schweizer und Österreicher (mit leicht fallender Tendenz) die Evolutionslehre ablehnen und sich statt dessen an irgendwelchen Schöpfungsmythen orientieren. Denn, so fragte schon der Evolutionsbiologe Tschulok vor über 80 Jahren, "wie soll man weiteren Kreisen so viel methodologische Einsicht beibringen, wie wir sie bei dem Professor [Fleischmann] selbst vermissen?" (Tschulok 1922, S. 273; Einschub v. M.N.). Dies ist, wie wir glauben, ein wichtiger Grund, um sich - entgegen zurecht geäußerter Bedenken - mit der kreationistischen Kritik auseinanderzusetzen. Dies war auch für U. Kutschera ein wichtiger Grund, um gegen Lönnigs Institutshomepage beim MPIZ vorstellig zu werden.


Hier muß jedoch betont werden, daß man sich durchaus gütlich hätte einigen können; etwa auf der Basis eines Kompromisses, wonach durchlaufend auf allen MPI-Seiten ein gut sichtbarer "Disclaimer" hätte erscheinen können, aus dem hervorgeht, daß sich Lönnigs Auffassung in der Frage der Artentstehung sowie dessen Methodologie von den international geachteten Grundsätzen der Naturwissenschaften bzw. des MPIs unterscheidet. Wer das Gespräch blockierte, war nicht etwa Kutschera, sondern offenbar ein Institutsdirektor des MPIZ (s. den Artikel von M. Koch), der nach einer kurzen Korrespondenz mit Kutschera nicht mehr reagierte.

       

Jeder kann sich die Folgen eines falschverstandenen Liberalismus und Meinungspluralismus leicht ausmalen: Wer in der genannten Weise zugunsten einer Schöpfungslehre Präzedenzfälle schafft oder einfordert, muß anderen Parawissenschaftlern dieselben Rechte zubilligen. Wir müßten es tolerieren (und sogar befürworten!) daß Astrologen, Geozentriker, "Anti-Atomisten", Hohlwelttheoretiker und Wissenschaftsrelativisten jedweder Couleur unter dem Banner der Max-Planck-Gesellschaft ihre Lehren verbreiten. Wir müßten es zulassen, daß Alchimisten in wissenschaftlichen Journalen wie Nature oder Science publizieren, den Einfluß von Göttern und sonstigen "Designern" auf das Reaktionsgeschehen der Chemie diskutieren, im Namen des Verbands Deutscher Chemiker auftreten und ihre Lehren an Schulen öffentlich machen. Niemandem muß man verdeutlichen, worauf das hinausläuft: Die Erkenntnisse der Naturwissenschaften würden im Störfeuer widerstreitender Meinungen bis zur Unkenntlichkeit im Mystizismus zerfasern. Wir könnten den Wissenschaftsbetrieb einstellen und die Naturwissenschaften abschreiben, und niemand wäre mehr in der Lage zu beurteilen, welche Erkenntnisse jeweils zum aktuellen Stand der Forschung zählen. Kein rational denkender Mensch kann das wollen!

Dem Kritiker selbst ist keinerlei Schaden geblieben, so daß von einer Verletzung der Meinungsfreiheit nicht die Rede sein kann. Die Inhalte stehen nach wie vor im Internet, ja selbst auf der Instituts-Homepage wurde der Link auf Lönnigs private Homepage inzwischen wieder hergestellt.(76) Im übrigen gilt die neue Bestimmung nicht nur für Lönnig, sondern für alle Mitarbeiter des MPIZ und in ähnlicher Form auch an anderen Forschungseinrichtungen, wie z.B. an der TU München. (Ich selbst [M.N.] mußte meine Internetseiten vom Server der TU München nehmen und auf meine private Homepage stellen. Und obwohl diesem Akt die "Beschwerde" eines Kreationisten vorausging, würde ich nie auf die Idee kommen, die Geschichte weltanschaulich derart in Szene zu setzen, wie Lönnig, der sogar nach zwei Jahren noch eine zweite Homepage (77) besitzt, die nur den Zweck erfüllt, demonstrativ auf die nicht mehr existenten Institutsseiten hinzuweisen, um den Leser beim Anwählen der Links dann doch wieder nur auf die korrekte Hauptseite umzuleiten!) Welches Argument, so ist zu fragen, kann dem Kritiker überhaupt noch als Rechtfertigung dienen, um die Emotionen weiter derart anzuheizen? Eine plausible Antwort lautet, daß sich Lönnig vermutlich als Märtyrer profilieren möchte, denn dies ist bequemer, als zum sachlichen Diskurs zurückzukehren und endlich einmal durch eine widerspruchsfreie Methodologie, durch wissenschaftstheoretische Argumente und ein System prüfbarer, mechanismischer Aussagen über den Schaffensvorgang des "Designers" zu überzeugen.

Lönnig moniert, daß die "Kampagne" im Grunde genommen "bis heute" andauere (78). Das ist zweifelsohne richtig - weil unser Gegner nun einen willkommenen Anlaß gefunden hat, um gegen die Evolutionsbiologen (des VdBiol) den moralischen Zeigefinger zu erheben. Findet also die Debatte um die "Affäre Max Planck" jemals ihr Ende? Da unser Gegner aufgrund seiner Weltanschauung eine tiefe Abneigung gegen das allgemein anerkannte naturalistische (sprich: "totalitäre") Weltbild der modernen Naturwissenschaften hegt, seine Auffassung aber offenbar nicht durch überzeugende wissenschaftstheoretische Argumente stützen kann, läßt sich vorhersagen, daß die Geschichte auch weiterhin als Munition in weltanschaulichen Debatten gegen den VdBiol und dessen Fachvertreter Verwendung finden wird.

         

Nachtrag:

Damit beim Lesen dieser Arbeit kein falscher Eindruck entsteht, sei erwähnt, daß man sich durchaus auf den Standpunkt stellen kann, daß Lönnig das Recht hat, beliebige Inhalte vom Server des MPIZ aus zu verbreiten, solange die Entscheidungsträger am MPIZ die daraus resultierenden Folgen selbst zu tragen haben. Falls einige Direktoren die Auffassung vertreten sollten, daß Lönnigs "wissenschaftliche" Institutsseiten das Risiko eines Imageschadens wert waren, müssen sie dies in der Tat mit sich selbst ausmachen. Man muß sich allerdings darüber im Klaren sein, daß der Imageschaden für die Wissenschaft ganz beträchlich sein kann. Wie uns mitgeteilt worden ist, kursierten in der Türkei Presse-Artikel, in denen Lönnigs Evolutionskritik als offizielle Position des Max-Plank-Instituts dargestellt worden sei (s. die News vom 15.04.05), und niemand kann die Dunkelziffer derer wirklich abschätzen, die als unbedarfte Leser ebenfalls zu diesem Schluß gelangten. Eben deshalb vertreten wir den Standpunkt, daß Lönnigs Vorgehensweise, seine Texte vom MPIZ hosten zu lassen, in der Sache nicht gerechtfertigt war und mit Blick auf das Renommee der MPG äußerst kritisch zu bewerten ist. An dieser Einsicht führt kein Weg herum, und die Art und Weise, in der bestimmte Kreise gegen die AG Evolutionsbiologie polemisieren, zeigt, daß sie sich selbst alle moralischen Argumente aus der Hand schlagen.

Tatsächlich ist etwa drei Wochen vor Vollendung dieser Arbeit eine weitere ad-hominem-Kritik im Internet erschienen - diesmal seitens des Antievolutionisten und Lönnig-Mitarbeiters W.J. Gieffers, der eine 75-seitige Rezension zum Buch "Streitpunkt Evolution" geschrieben hat. Die Kritik (dessen Autor den Unbegriff "terroristische Wissenschaftsauffassung" prägte), fällt ebenfalls durch ein hohes Maß an Unsachlichkeit auf. Darüber hinaus ist die Kritik das Resultat der methodologischen Verirrung, die wir zum Gegenstand der vorliegenden Analyse gemacht haben, und Gieffers bestreitet ebenso, daß der Naturalismus bzw. Materialismus in der Wissenschaft zwingend sei. Gieffers schreibt: "Er [Kutschera] spricht von international akzeptierten Grundsätzen der Biologie. So etwas gibt es aber nicht." Also könnten wir wieder ins Mittelalter zurückkehren, Götter, Geister, Dämonen und sonstige "Designer" für das Weltgeschehen verantwortlich machen und alle wissenschaftsphilosophischen Prinzipien über Bord werfen, die mit Beginn der Neuzeit in die Wissenschaft verankert wurden. Denn "so etwas" gibt es ja nicht! Folglich wäre jeder Hokuspokus gleich wissenschaftlich!

Um die Absurdität dieser Behauptung an einem Beispiel zu illustrieren, denke man sich wieder einen Chemiker, der aus bislang unerfindlichen Gründen in seinen Kunstsynthesen ein Produkt erhielte, das er nicht erwartet hatte. Als Wissenschaftler muß er davon ausgehen, daß er entweder in seinem Experiment einen Fehler begangen oder aber seine Vorstellungen über den Reaktionsmechanismus zu revidieren hat. Er findet die Lösung aber nicht! Also muß er weiterforschen und immer neue "naturalistisch-materialistische" Hypothesen über die Mechanistik erstellen, um das Phänomen auf kausal nachvollziehbare Weise zu erklären. Wenn er zur "Lösung" seiner nach wie vor offenen Fragen behauptete, ein "außerweltlicher Designer" würde in seine Experimente eingreifen, sieht jeder ein, daß dieser Schluß nicht diskursfähig ist, weil er nicht widerlegt werden kann und nichts erklärt. Kein vernünftiger Mensch (Gieffers eventuell ausgenommen) käme auf die Idee, derartiges in Fachjournalen zu publizieren oder die Zurückweisung solcher Manuskripte als einen Akt "terroristischer Wissenschaftsauffassung" zu kennzeichnen. Jeder ist sich darüber im Klaren, daß dies dem akademischen Offenbarungseid gleichkäme. Ein Wissenschaftler, der sich im Rahmen der Chemie oder sonst einer Wissenschaft auf Übersinnliches als Erklärungsgrund beriefe, würde unweigerlich Schiffbruch erleiden und seine Reputation in der Fachwelt aufs Spiel setzen.

Wenn Gieffers behauptet, daß Kutscheras naturalistisches Wissenschaftsverständnis auf blanker "Mehrheitsmeinung" beruhe, die jedoch "in westlichen Demokratien" bzw. "weltweit" nicht als international akzeptierer Grundsatz der Biologie bzw. Wissenschaft in Erscheinung trete, zeigt er demnach nur, daß er weder den Sinn noch die Prinzipien der Wissenschaft verstanden hat oder aber bewußt die Grenze zwischen Religion und Wissenschaft verwischt, um auch noch den Obskurantismus in Form der ID-Lehre als Wissenschaft zu klassifizieren. Unter Zugrundelegung eines solchen Wissenschaftsbilds wäre jedoch jede "omniexplanatorische", prinzipiell nichtwiderlegbare These schon Wissenschaft, so daß sich die Frage nach dem Sinn wissenschaftlichen Arbeitens gar nicht mehr stellen würde. Es ist daher fast peinlich, daß sich im Lager unseres Gegners niemand fand, der ihn als Wissenschaftler vor diesem folgenschweren Bekenntnis bewahrte.

Im Namen des Vorstands der AG Evolutionsbiologie:

Dipl.-Ing. (FH) M. Neukamm Dr. A. Beyer

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(*) Nachtrag, 05.12.10

Seit einigen Monaten kursiert im Internet eine Propangandaschrift des religiösen Eiferers W.-E. Lönnig mit dem Titel "Die Affäre Max Planck, die es nie gegeben hat" (2 Teile), die man kaum als etwas anderes als ein Verlegenheitsmanöver interpretieren kann. Denn beschämenderweise geht Lönnig darin auf die kardinalen Anklagepunkte gar nicht ein - seine Diskussion endet präzise an dem Punkt, an dem seine Methodologie ins Fadenkreuz wissenschaftlicher Analyse gerät. Das heißt, alles was ab Kapitel 3 ("Die Lönnigsche Methodologie") bzw. zwischen den Seiten 236 und 271 im Buch "Kreationismus in Deutschland" (U. Kutschera, 2007, Hg.) besprochen und analysiert wird (vgl. http://ag-evolutionsbiologie.de/app/download/3828704602/Max-Planck(Buchfassung).pdf), kehrt Lönnig nonchalant, und in der Hoffnung, es möge keiner seiner Leser bemerken, unter den Teppich. Selbst der 2. Teil der Erwiderung, der Monate zuvor als "Fortsetzung der Diskussion" angekündigt wurde, widmet sich allem möglichen, nur nicht der methodologische Analysen des Beitrags "Wolff-Ekkehard Lönnig und die Affäre Max Planck", um die es doch eigentlich ursprünglich ging. Wenn das kein krudes Ablenkungsmanöver ist, was dann?

Davon abgesehen reibt man sich über die Wahl des Titels ("Die Affäre Max Planck, die es nie gegeben hat") verwundert die Augen. Was lesen wir bei Wikipedia (Eintrag vom 05.12.10) über die Bedeutung des Begriffs Affäre? "Der Begriff Affäre bezeichnet eine unangenehme, dunkle, peinliche oder skandalöse Angelegenheit..., einen Skandal in Politik und Wirtschaft..., oder aber ein sexuelles 'Liebesabenteuer', das oftmals zeitgleich zu einer bestehenden Partnerschaft stattfindet" (http://de.wikipedia.org/wiki/Aff%C3%A4re). Ungeachtet der platonischen Liebesabenteuer, die sich zwischen Lönnig und Jehova auf fiktiver Ebene abspielen mögen (oder auch nicht), war die Angelegenheit für Lönnigs Arbeitgeber so abgrundtief unangenehm und peinlich, dass das Direktorium des Kölner MPIZ die Instituts-Website des religiösen Fanatikers nach 3-stündiger Krisensitzung "massiv entrümpelte", und zwar kurz nachdem die Vorkommnisse dank der renommierten Wissenschaftszeitschrift Nature der Weltöffentlichkeit bekannt wurden (vgl. hierzu die erhellende Reportage von Urs Willmann: http://www.zeit.de/2003/19/Kreationisten). Die Angelegenheit war den Direktoren des Max-Planck-Instituts sogar so peinlich, dass sie sich noch Jahre später in der Zeitschrift Laborjournal (6/2006) zu der Feststellung genötigt sahen, man distanziere sich in aller Klarheit von Lönnigs Weltanschauung namens "Intelligent Design". Wenn das keine Affäre in der ureigensten Bedeutung dieses Wortes ist, was dann? Einmal ganz zu schweigen davon, dass die übrige "scientific community" die Versuche, Intelligent Design mithilfe des Renommees eines Max-Planck-Instituts wissenschaftlich abzusichern, tatsächlich als einen Skandal, als einen dreisten Indokrinationsversuch betrachtete, sonst hätte es die Affäre nicht bis in die Wissenschaftszeitschrift Nature geschafft.

     

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Stand: 15.04.05


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