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Weshalb
die Intelligent-Design-Theorie nicht wissenschaftlich überzeugen
kann
Dieser Text erschien in etwas gekürzter und leicht
modifizierter Form in der Zeitschrift
MIZ 33 (3),
14-19
Evolutionsgegner (Kreationisten im weitesten
Sinne) führen den Ursprung der Arten meist auf den Eingriff
übernatürlicher Wesen zurück und vertreten ihre
Schöpfungstheorien als wissenschaftliche Alternativen zur
naturalistischen Evolutionstheorie. Neben dem klassischen Kreationismus,
dessen Programm sich streng am Bibeltext orientiert, existiert auch eine
subtilere Form des Kreationismus, die sogenannte Intelligent
Design-Theorie (ID-Theorie). Ihre Botschaft lautet schlicht, daß
ein übernatürlicher Planer - ein "intelligenter Designer" - das
Leben auf der Erde erschaffen und in den Strukturen der Organismen seine
Spuren hinterlassen habe. Diese gelte es mithilfe geeigneter Kriterien zu
finden, um das Wirken des Designers evident zu machen. Wie wird nun die
ID-Theorie begründet, und weshalb ist sie in den Augen der Wissenschaft
kein brauchbares (sprich wissenschaftliches) Konzept? Da der Evolutionsgegner
Reinhard Junker hierzulande den bislang geschicktesten Versuch unternommen
hat, ID zu begründen, wollen wir zur Beantwortung dieser Fragen vornehmlich
auf seinen Text (Junker 2004) zurückgreifen. Eine umfassendere Analyse,
die u.a. auch kosmologische Design-Argumente einbezieht, findet sich in Neukamm
(2004 b).
Der Analogieschluß:
Wie wird ID begründet?
Hinter dem Design-Argument verbirgt sich ein vermeintlich an der Erfahrung
orientierter Analogieschluß, wonach im Hinblick auf Zweck und
Plan technischer Konstrukte (Artefakte) auf eine ebenso planmäßige
Konstruktion von Lebewesen geschlossen wird. Um die Analogie zu veranschaulichen,
werden anhand illustrativer Beispiele die vergleichbaren Eigenschaften von
Artefakten und Lebewesen herausgearbeitet und als Hinweise für eine
intelligente Planung interpretiert. Meist wird dabei auf die vernetzte
Komplexität und Zweckhaftigkeit (funktionale Ordnung) bezug
genommen. Um mit Junker zu sprechen: Als "Hinweise (Signale') für
ID gelten vor allem synorganisierte Strukturen mit verschachtelten
Wechselbeziehungen zwischen ihren Bestandteilen" (a.a.O., S. 2), deren
naturgesetzliche Entstehung man nicht oder noch nicht (detailliert)
erklären kann. Man denke z.B. an eine Maschine, deren Funktion es erfordert,
daß ihre Komponenten so paßgenau aufeinander abgestimmt sind,
wie die Zahnräder in einem Uhrwerk. Niemand könnte die
Entstehung einer solchen Maschine ohne Rückgriff auf intelligente Ursachen
erklären, und niemand würde auch nur einen Gedanken daran verschwenden,
es zu versuchen. Wenn also bereits "einfache Gebilde wie technische Geräte
einen Urheber erfordern", weshalb dann nicht "erst recht viel kompliziertere
Gebilde wie Lebewesen" (Junker a.a.O., S. 9)? Muß der Naturalismus
unter dieser Voraussetzung nicht förmlich zu einem dogmatischen
Naturalismus werden, der "auf einem Auge blind" und "de facto nicht
offen dafür" sei, "daß es in der Natur ID geben könnte" (Junker
a.a.O., S. 8)?
Der schiefe Vergleich:
außerweltliches und weltimmanentes Design
Wer sich einer solchen Argumentation bedient, übersieht zunächst
einmal, daß der Naturalismus der Wissenschaft keineswegs für
intelligentes, sondern nur für übernatürliches
Design "blind" ist. Niemand bestreitet, daß es Objekte gibt, die "gemacht"
wurden oder daß es Kriterien gibt, anhand deren wir Artefakte erkennen.
Der Vergleich einer "übernatürlichen Schöpfung" mit
einem "intelligenten Design", wie ihn die ID-Theorie
naturgemäß anstellt, ist insofern eine schiefe Angelegenheit,
als das letztgenannte Prinzip ein weltimmanentes und daher
prüfbares ist, ersteres dagegen nicht. Anders ausgedrückt:
Planvolles Handeln berührt den Naturalismus gar nicht, denn alle Dinge,
die wir kennen, unterliegen strikt den naturgesetzlichen Zwängen dieser
Welt. Die Erfahrung zeigt, daß auch intelligente Planer sterbliche,
beschränkte und unvollkommene Wesen sind. Sie können weder Naturgesetze
erschaffen, noch diese überwinden, sondern nur auf
materialistischer Grundlage wirken. Da sie sich an weltimmanente
Gesetze halten müssen, sind auch ihre Handlungsmuster nicht beliebig,
so daß wir anhand dieser Muster etwas über ihre Eigenschaften
und Wirkmechanismen in Erfahrung bringen können. Schließlich sind
alle Dinge, die Planer je hervorgebracht haben, tote Dinge, und die Erfahrung
zeigt, daß wir als Planer der Mutation und Selektion unterworfen sowie
durch Selbstorganisation (reproduktiv) anstatt durch Planung entstanden
sind. (Ansonsten müßte jeder "intelligente" Planer durch einen
"noch intelligenteren" Planer erschaffen worden sein - eine These, die in
einen unendlichen Regreß führt, der nur mithilfe der
Evolutionstheorie vermieden werden kann.) Selbst dann also, wenn Lebewesen
"Signale" enthielten, die auf eine intelligente Planung hindeuteten
(wie wir noch sehen werden, ist dies nicht der Fall), wären sie zur
Begründung einer außerweltlichen Wirkursache völlig
unbrauchbar. (1)
Da nun die Intelligent Design-Theorie Phänomene "erklären"
will, die man bislang noch (!) nicht vollständig
erklärt hat und dazu ein transnaturales Design-Prinzip annimmt,
muß sie folglich in einem enormen Kraftakt alle erwähnten Prinzipien
und ihre Evidenzen umstoßen, den unendlichen Regreß ohne konsistente
Erklärung bei einem bestimmten Planer abbrechen (Mahner 2003) und ihm
Qualitäten zuschreiben, die nicht nur aller Erfahrung gegen den Strich
gekämmt, sondern schlichtweg nicht überprüfbar sind: Es gibt
(mindestens) einen Planer, der weder erschaffen wurde, noch
evolvierte. Folglich war er schon immer da; er ist einzigartig,
unendlich und in nichts mit Dingen vergleichbar, die wir kennen. Da
er im Jenseits residiert, muß er sich auch nicht an weltimmanente Gesetze
halten, so daß er und seine Wirkmechanismen unerforschlich sind. Er
ist für unsere Begriffe auch allwissend und
allmächtig, denn er soll ja nicht nur die Naturgesetze, sondern
auch die komplexesten Systeme perfekt geplant und sie ex nihilo (nun
wieder unter Umgehung der Naturgesetze) konstruiert haben usw. Obwohl ID
über die Natur des Designers keine Aussagen macht, müssen solche
unprüfbaren Glaubensannahmen stillschweigend zu den Design-Analogien
hinzugezogen werden, damit sie überhaupt sinnvoll erscheinen. Damit
aber setzt es, wie Mahner (2003) betont, genau das voraus, was empirisch
begründet werden soll, so daß das Design-Argument in einem
scheinwissenschaftlichen Begründungszirkel endet.
Das Problem der
Design-Analogien
Wie gezeigt, ist es also "ein Widerspruch in sich",
außerweltliche Ursachen mithilfe von Beispielen zu begründen,
die weltimmanenten Gesetzen unterstehen. (Junker a.a.O., S. 2 hat
die richtige Antwort bereits vorformuliert, sie aber nicht konsequent zuende
gedacht.) Obwohl somit von dem Design-Argument in der üblichen (theologisch
motivierten) Form nichts übrig bleibt, könnte es sich aber immer
noch um ein brauchbares Konzept zum Nachweis "planmäßig" (wenn
auch "nur" innerweltlich, d.h. auf der Grundlage des Materialismus)
arrangierter Strukturen handeln. Sind mit anderen Worten wenigstens die
Design-Analogien zielführend? Bei näherer Betrachtung erweist
sich auch diese Hoffnung als Illusion. Zwar wird im Falle komplexer, technischer
Gegenstände jeder die Notwendigkeit einer vorherigen Planung einsehen.
Diese Einsicht hat jedoch mit der Tatsache zu tun, daß eine
Selbstorganisation solcher Dinge von vorne herein (sprich aus
physicochemischen Gründen) unmöglich ist. Die Bausteine von Artefakten,
wie Computern, Uhren und dergleichen können weder unter
"Ursuppen-Bedingungen" entstehen, noch besitzen sie elementare katalytische
Eigenschaften, die es ihnen ermöglichen könnten, sich zu einem
evolutionsfähigen Autoreplikationssystem zu organisieren. Artefakte
können sich weder fortpflanzen noch infolge von Mutation und
natürlicher Auslese evolvieren, während Organismen und viele
Biomoleküle die genannten und für eine Evolution notwendigen
Eigenschaften besitzen. Da also die für den Vergleich relevanten
Eigenschaften von Lebewesen und Artefakten grundverschieden sind, sind auch
die Analogien wertlos.
Nun könnte man einwenden, daß eine zur Selbstreplikation fähige
Maschine erst Recht als planerischer Geniestreich betrachtet würde (Junker
a.a.O., S. 4). Hier wird nur übersehen, daß ein derartiges Konstrukt
niemals eine natürliche (Keimes-)Entwicklung durchlaufen würde
- man könnte die Maschine bestenfalls mit der Fähigkeit ausstatten,
eine neue Maschine zu konstruieren. Gerade die charakteristischen
Eigenschaften lebender Systeme, wie die Fähigkeit zur
zellulären Selbstorganisation, Mutabilität und Vererbung
in Kombination mit natürlicher Auslese usw. lassen sich nicht mit dem
Zusammensetzen einer Uhr oder eines Automobils vergleichen und unter den
geltenden Naturgesetzen mit nochsoviel Intelligenz keiner Maschine "einhauchen".
Wer eine Planung eben dieser Eigenschaften annehmen möchte, kann folglich
seine Überzeugung nicht mithilfe wissenschaftlicher Methoden absichern.
Er muß gegen das empirische Wissen argumentieren, daß im
anorganisch-technischen Bereich eine Planung derartiger Eigenschaften
prinzipiell unmöglich ist, während umgekehrt sowohl die
individuelle als auch die genealogische Entwicklung der Lebewesen auf
natürliche Weise und ohne erkennbaren planerischen Eingriff vonstatten
geht.
Dieses Wissen um die natürliche Entwicklung, Vererbung, Variation und
Selektion bildet nun, in Kombination mit einer Reihe weiterer - durch ID
nicht spezifisch erklärbarer - Phänomene (wie etwa dem
geordneten Wandel des Fossilienbestands, der abgestuften Formenähnlichkeit
der Arten etc.), einen mächtigen Indizienbestand, der das transspezifische
Evolutionsgeschehen als wohlbestätigtes Faktum ausweist. Wir haben es
salopp gesprochen nicht mit "Design-Signalen", sondern mit "Signalen der
Stammesgeschichte" zu tun. Unter dieser Voraussetzung käme kein
Wissenschaftler auf die Idee, in der Biologie auf eine Theorie
zurückzugreifen, welche die Komplexität eines Systems als
Evidenz für ID betrachtet, die es dann, wie Junker (a.a.O., S.5)
vorschlägt, durch "Elimination" möglichst vieler evolutionärer
Erklärungen zu erhärten gelte. Erstens wäre ein solches Vorgehen
heuristisch wertlos, denn der Verweis auf ein mysteriöses ID hat keinen
Erklärungswert (Neukamm 2004 b, S. 6f.). Zweitens ist der Versuch, eine
vermeintliche Evidenz für ID durch Betonung offener Fragen der Evolution
zu erhärten, schon im Ansatz verfehlt. Denn offene Fragen nach den Ursachen
und dem Verlauf der Evolution haben keinen Einfluß auf die Belege,
die dafür sprechen, daß sie tatsächlich stattgefunden
hat. Selbst dann, wenn wir über die "tieferen" Mechanismen der
Evolution gar nichts wüßten, bliebe der empirische Status der
Darwinschen Abstammungshypothese unangetastet (Remane et al. 1973, S. 10;
Kutschera 2001, S. 219 f.). Überhaupt lassen sich (selbst
wohlbestätigte) Thesen nicht durch Widerlegung konkurrierender Theorien
plausibler machen, so daß es ID-Anhängern im Rahmen der
Evolutionskritik weder möglich ist, die Grenzen des Naturalismus auszuloten,
noch ein Argument zugunsten ihrer Theorie vorzubringen (Neukamm 2004 b, S.
16).
Im übrigen ist ein hoher Grad an Synorganisation sowie ein steter Energie-
und Materiefluß, wie er in Lebewesen herrscht, gerade für Systeme
typisch, die durch Selbstorganisation entstanden sind, so daß
hier die Komplexität schlicht die falsche Analogie ist. Natürlich
ist, so lautet die beständige Replik, die Entstehung des Lebens trotz
intensiver Forschung im Detail erst andeutungsweise verstanden. Doch was
für Lebewesen gilt, trifft auch auf andere selbstorganisatorische
(naturgemäß stark nichtlineare) Systeme zu, so daß
die Spekulation, es handele sich ausgerechnet in der Biologie um
"Design-Signale", um nichts plausibler wird. Der Eindruck der Finalität
und Planung entsteht eben nur dann, wenn man alle charakteristischen
Eigenschaften solcher Systeme ausblendet und sie mit technischen Dingen
vergleicht, denen sie fehlen. Somit besitzen die Design-Analogien der
Evolutionskritiker keinerlei Relevanz.
Irreduzible
Komplexität
Ein Begriff, der sich eng an die Design-Analogien anlehnt und hilfsweise
zur Begründung von ID herangezogen wird, ist die sogenannte
"irreduzible Komplexität". Nach Behe (1996, S. 39) sind Systeme
irreduzibel komplex, wenn sie aus "mehreren miteinander interagierenden
Komponenten bestehen, die gemeinsam eine Funktion herstellen, so daß
die Wegnahme einer Komponente zum Versagen dieser Funktion führt" (Behe
ebd., übersetzt von M.N.). Eine Mausefalle, der eine wichtige Komponente
fehlt, funktioniert ebenso wenig wie ein Organismus, der ein Biomolekül
in der Reaktionskaskade eines wichtigen Stoffwechselvorgangs nicht produzieren
kann. Daher sei es kaum denkbar, daß synorganisierte Systeme
über positiv selektierbare Vorstufen entstünden, weil sie
"definitionsgemäß funktionslos" seien (Behe ebd.), so daß
sich wieder der Gedanke an eine ganzheitliche Planung aufdrängen
könnte. Nun ist der Begriff "irreduzibel komplex" insofern
eindimensional, als er nur die derzeitige "Endfunktion" eines Systems
berücksichtigt, die von einem "halbfertigen" Apparat natürlich
nicht erfüllt wird. Niemand behauptet jedoch, daß ausgerechnet
ein nichtlinearer Prozeß wie Evolution linear (also auf
direktem Weg) zu einem solchen "Endzustand" führen müsse. Ein Zustand
A kann auch infolge der schrittweisen positiven Bewertung anderer
Funktionszustände B, C etc. zur Funktionsreife gelangen. Tatsächlich
übernehmen biologische Merkmale in mannigfacher Abwandlung viele
verschiedene Funktionen sowie Brücken- bzw. Doppelfunktionen, so daß
auch ein (hinsichtlich der "Endfunktion") "halbfertiger" Apparat hinsichtlicher
anderer Funktionen positiv selektiert werden kann (Beispiele nennt
Vollmer 1986, S. 21 ff.). Da man auch Teilreaktionen (als potentielle Vorstufen)
komplexer Stoffwechselprozesse kennt, die nicht funktionslos sind
und Stoffwechselprozesse teilweise sogar "überlappende" Funktionen haben,
sind Behes Voraussetzungen hinfällig (Pigliucci 2001).
Ferner weist Orr darauf hin, daß die irreduzible Komplexität
biologischer Merkmale nur aus der Retrospektive zu existieren scheint.
Wenn, so Orr, die Funktion eines Merkmals A durch ein neues Merkmal B
unterstützt wird, können beide Merkmale gemeinsam optimiert
werden, so daß erst zu einem späteren Zeitpunkt Merkmal B
unentbehrlich für die Funktion wird (Orr 1996). Diese Hypothese wird
just in der "kulturellen Evolution" auf das Schönste bestätigt.
Stellen wir uns vor, die Erdölförderung würde weltweit aus
irgendeinem Grund dauerhaft aussetzen. Man kann sich leicht ausmalen, daß
die meisten Betriebe nicht mehr produzieren könnten, weil sie fast alle
(direkt oder indirekt) vom Erdöl abhängen. Unsere Gesellschaft
würde kurzerhand zu einem Stillstand kommen, weil ihre Bereiche derart
eng miteinander vorwoben sind, daß man sie für irreduzibel
komplex halten könnte. Dennoch sieht jeder ein, wie absurd es wäre
zu folgern, daß sich Gesellschaftssysteme nicht schrittweise
aus "Vorläufergesellschaften" entwickeln können, die in jedem Stadium
der Geschichte funktionierten.
Riedl (1990, S. 229) liefert empirische Hinweise, die diese These auch in
der Biologie stützen. Er verweist z.B. darauf, daß es keine
Vertebraten gibt, deren Herzen weder Vorkammern noch Ventrikel besitzen.
Ihre Herzen erscheinen demnach irreduzibel komplex; ein derartiger
Merkmalsverlust wäre tödlich. Dennoch gibt es urtümliche
Chordatiere, deren Herzen die Merkmale nicht besitzen (einige kommen sogar
ohne Herz zurecht). Das Vertebraten-Herz mußte also nicht als Ganzes
entstehen, denn viele seiner Merkmale waren zunächst entbehrlich,
verbesserten aber die Leistungsfähigkeit des Herz-Kreislaufsystems und
wurden erst unverzichtbar, nachdem weitere Merkmale das Herz-Kreislaufsystem
"bebürdeten". Funktionelle Bürden scheinen also nicht "von Haus
aus" zu existieren, sondern sukzessive zu entstehen und mit der "hierarchischen
Position" der Merkmale zu wachsen. Damit wäre auch eine irreduzibel
erscheinende Komplexität kein "Design-Signal", sondern ironischerweise
die unmittelbare Konsequenz der Phylogenese (Riedl 1990, S. 233).
Doch anstatt solche Argumente ernstzunehmen und den von ihnen ausgehenden
Forschungsimpulsen nachzugehen, benützt die ID-Theorie irrelevante Analogien
(wie etwa das oben erwähnte Beispiel mit der Mausefalle), um die voreilige
These zu rechtfertigen, daß ein evolutiver Übergang zwischen zwei
"Basisfunktionszuständen" nicht in selektionspositive Zwischenstufen
unterteilbar sei. Obwohl Junker (a.a.O., S. 10) behauptet, daß
"Design-Signale" erst nach "eingehender Forschung" (was immer das heißen
mag) gefunden und nur auf der Basis des jeweiligen Wissensstandes begründet
würden, ist es doch unübersehbar, daß ID-Theoretiker weder
selbst "eingehend" am Problem forschen (mechanismische Ansätze verfolgen
sie nicht), noch die Ergebnisse der Forschung abwarten. Denn begreiflicherweise
sind die System- und Randbedingungen, die im Falle einer
Detailerklärung zu berücksichtigen wären, angesichts
der Existenz tausender, kompliziert interagierender Gene und Millionen von
Spezies, deren Rückkopplungen bis zur ökologischen Ebene reichen,
nicht einmal annähernd erforscht. Mit "Wissen" hat also die
Begründung von ID nichts zu tun, sondern umgekehrt mit den
Wissenslücken, die durch voreilige Annahmen überbrückt
werden, um dann z.B. durch ungedeckte Wahrscheinlichkeitsrechnungen ID evident
zu machen (Beispiele bespricht Neukamm 2004 a). Auf diese Weise läßt
sich das "gewünschte" Ergebnis natürlich bequem vorfabrizieren.
Dies entspricht (entgegen Junker a.a.O., S. 8) genau der sattsam bekannten
Lückenbüßer-Strategie, wonach die ID-Theorie nur eine
Platzhalterfunktion übernimmt und Zug um Zug überflüssiger
wird, je besser die Probleme im Rahmen der Forschung durchdacht worden sind.
Fazit
Wie wir gesehen haben, ist die ("natürliche") Erforschung eines
übernatürlichen Design-Prinzips ein widersprüchliches
Unterfangen. Daher können Beobachtungen nur im Lichte einer
naturalistischen Theorie Beweiskraft erlangen, und auch offene Fragen
lassen sich (wenn überhaupt) nur im Rahmen naturalistischer Theorien
verfolgen. Während die Evolutionsbiologie sowohl über Evidenzen
für die Abstammungshypothese als auch über einen allgemeinen (wenn
auch unvollständigen) mechanismischen Erklärungsrahmen
verfügt, wird die ID-Theorie nie etwas Vergleichbares haben. Sie steht
gewissermaßen mit dem Rücken zur Wand und muß versuchen,
wertlose Analogien als "Evidenzen" für ID auszugeben, gleichzeitig aber
die Belege der Evolutionsbiologie sowie die Wissensprogression, die seit
Darwin in der Mechanismenfrage stattgefunden hat, zu ignorieren. Unter Ausnutzung
bestehender Wissenslücken wird dann der schiefe Eindruck vermittelt,
als blieben der Evolutionsbiologie nur offene Fragen, die wiederum in ein
Argument für ID umgemünzt werden. Nichts wäre einfacher, als
die Umkehrung dieser Argumentation. Die ID-Theorie löst keines der Probleme,
die sie zu lösen vorgibt, da sie weder spezifische Erklärungen
liefert, noch einen mechanismischen Rahmen umspannt, um die Natur und den
Schaffensvorgang ihres Designers zu beschreiben (Neukamm 2004 b, S. 5).
Während solche Fragestellungen in weltimmanenten Bereichen (z.B. in
der Archäologie) verfolgt werden und die Evolutionsforschung in aller
Ruhe ein Mosaiksteinchen nach dem anderen zu einem Bild zusammensetzt, kann
dies die ID-Theorie aufgrund ihres transnaturalen Bezuges nicht. Sie
ist wissenschaftlich wertlos und alles andere als ein Aufbruch zu neuen Ufern
der Erkenntnis.
Literatur
Behe, M.J. (1996): Darwin's Black Box: The Biochemical Challenge to Evolution.
The Free Press, New York.
Junker, R. (2004): Intelligent Design.
http://www.genesisnet.info/pdfs/Intelligent_Design.pdf,
Zugr. a. 16.04.2004.
Kutschera, U. (2001): Evolutionsbiologie. Eine allgemeine Einführung.
Parey, Berlin.
Mahner, M. (2003): Hume, Paley und das Design-Argument. Skeptiker 16 (4),
131.
Neukamm, M. (2004 a): Evolution: kein Zufall! Über die Argumentation
mit der Wahrscheinlichkeit.
http://www.martin-neukamm.de/zufall.html
(16.01.2004).
Neukamm, M. (2004 b): Kreationismus und Intelligent Design: Über die
wissenschaftstheoretischen Probleme von Schöpfungstheorien.
http://www.martin-neukamm.de/kreation.pdf
(01.07.2004).
Orr, H.A. (1996): Darwin v. Intelligent Design (Again). Boston Review 21
(6), 28-31.
Pigliucci, M. (2001): Design Yes, Intelligent No: A Critique of Intelligent
Design Theory and Neocreationism. Sceptical Inquirer 25 (5), 34-39.
Remane, A. et al. (1973): Evolution. Tatsachen und Probleme der Abstammungslehre.
dtv, München.
Riedl, R. (1990): Die Ordnung des Lebendigen. Systembedingungen der Evolution.
Parey, Berlin.
Vollmer, G. (1986): Die Unvollständigkeit der Evolutionstheorie. In:
Vollmer, G.: Was können wir wissen? Bd. 2: die Erkenntnis der Natur.
Hirzel, Stuttgart, 1-37.
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(1) Wenn es uns also gelänge zu zeigen,
daß gewisse Strukturen als Indiz für "intelligentes Handeln" in
Betracht kämen, wäre nur der Schluß gerechtfertigt, daß
überall, wo sie in Erscheinung treten, eine Planung auf der Basis
weltimmanenter Gesetze stattgefunden haben könnte. Daher ist
Naturalismus die "sparsamste" Ontologie, die es gibt, weil er im wahrsten
Sinne des Wortes nur empirisch naheliegende (weltimmanente) Prinzipien
gelten läßt, die "zum Verstehen des Gesetzesnetzes der Natur"
unbedingt erforderlich sind. Die Beweislast liegt also auf Seiten derer,
die über den Naturalismus hinausgehende ontologische Behauptungen
aufstellen.
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© by Martin Neukamm 2004