Ib. Wissenschafts- und erkenntnistheoretische Grundlagen - die Evolutionstheorie in der wissenschaftstheoretischen Kritik

                                                                                                   

3. Die Unabhängigkeit der Abstammungslehre vom Stand der historischen und Ursachenforschung

Über die Verwechslung derAbstammungsfrage mit den Ursachen- und Entwicklungsfragen der Evolution - warum offene Kausalfragen die Abstammungshypothese nicht scheitern lassen                                                                                              

Eine sattsam bekannte Strategie, um DARWINs Abstammungshypothese infragezustellen, besteht in der Überbetonung offener Probleme und Fragen hinsichtlich der Ursachen und Detailabläufe in der Evolution. Beispielsweise JUNKER und SCHERER zitieren zahlreiche Autoritäten auf dem Gebiet der Evolutionstheorie, um dem Leser die Unsicherheit dieser oder jener Erkenntnisse in der Mechanismusfrage vor Augen zu führen und stellen dann fest, daß "molekulare Mechanismen nennenswerter Höherentwicklung (Makroevolution) bis heute unbekannt sind." (JUNKER und SCHERER, 1998, S. 96). Anhand solcher und vergleichbarer Feststellungen wird dann der Schluß gezogen, daß

"Makroevolution als Leitvorstellung in Frage gestellt werden muß (...)" "Wenn (Makro-)Evolution stattgefunden hat, muß die Entstehung neuartiger biologischer Strukturen auch auf molekulargenetischer Ebene nachvollziehbar sein."

(JUNKER und SCHERER, S. 5 und 96)                         

             

Ähnliche Behauptungen und Beispiele zur Demonstration der Unvollständigkeit unseres Wissens im Bereich der Mechanismenforschung finden sich praktisch bei allen Antievolutionisten. So erklärt uns etwa NACHTWEY die Funktion und Struktur der raffiniert gebauten Saugfalle der fleischfressenden Pflanze Utricularia vulgaris und stellt fest, daß die selektionspositiven Umwandlungsschritte bislang völlig unbekannt, die Merkmalsevolution im Detail noch völlig unerklärt seien. Diese Feststellung geht einher mit der Behauptung, das kausale Erklärungsschema (Mutation und Selektion) sei völlig unzureichend zur Erklärung solch spezifischer Anpassungsschritte, gefolgt von meist mehr oder minder unverhohlenen Forderungen nach der Widerlegung der Abstammungshypothese (NACHTWEY, 1959, LÖNNIG, 1991; KAHLE, 1999).

Solche Implikationen sind jedoch wissenschaftslogisch falsch, denn was hier übersehen wird ist die schlichte Tatsache, daß die Evolutionstheorie aus zwei Bereichen besteht, zum einen eben aus der Abstammungs- oder Deszendenzhypothese (welche die Abstammung der Arten von einem oder wenigen gemeinsamen Vorfahren betont) sowie aus verschiedenen Kausaltheorien, die den Ursachen bzw. Mechanismen evolutiver Veränderung auf den Grund gehen. Beide Bereiche sind logisch unabhängig, so daß beispielsweise aus der Widerlegung aller Kausaltheorien (wie etwa der Selektionstheorie oder einer entwicklungsbiologischen Gesetzesaussage) nicht nicht folgte, daß auch die Deszendenzhypothese falsch wäre:

"Die Bejahung der Grundfrage [der Abstammung] ist Voraussetzung für alle anderen, aber die Unsicherheit in den [historischen oder Kausal-] Fragen kann keineswegs die Evolution an sich erschüttern. Dies ist heute von allen Biologen anerkannt. Die Beantwortung der Ablaufsfrage hängt von den Materialien ab, die uns jeweils zur Verfügung stehen (...) Handelt es sich um isolierte Gruppen, von denen kaum fossile Formen bekannt sind, so sind wir auf vage Hypothesen angewiesen (...) Selbst wenn wir über die Ursachen gar nichts wüßten, bliebe der Sachverhalt der Evolution unangetastet."

(REMANE, STORCH und WELSCH, 1973, S. 10 f.)  

                                                                                                                                                  

Zur Verdeutlichung dieses Sachverhalts wollen wir uns vorstellen, wir fänden ein in Trümmern liegendes Gebäude. Ohne weitere Information können wir die Grundfrage bejahen, ob dem Phänomen ein zerstörerisches Ereignis vorgelagert gewesen sein muß. Damit ist aber die Faktorenfrage, die nach den Ursachen des Katastrophenereignisses sucht, noch überhaupt nicht beantwortet. Die Gründe könnten in natürlichen Ursachen zu finden sein, wie beispielsweise in einem Erdbeben, einem Blitzeinschlag oder in einem Orkan. Es könnte aber auch ein Abriß, eine Sprengung erfolgt oder ein Brand gelegt worden sein. Die Frage also, ob Ursache und Verlauf des Ereignisses bekannt sind oder nicht, ändert überhaupt nichts an der historischen Grundeinsicht, daß es tatsächlich stattgefunden hat (TSCHULOK, 1922).

In gleicher Weise bestimmt das logische Unabhängigkeitsprinzip natürlich auch das Verhältnis zwischen der Kausalerklärung historischer Evolutionsabläufe und der Feststellung, daß es eine transspezifische Evolution gibt und gegeben hat:

"Daher ist es auch müßig, sich, wie es gelegentlich immer noch geschieht, über irgendwelche Details zu streiten. Darüber, ob diese oder jene Behauptung schon als bewiesen gelten könne oder nicht, als wie sicher schon begründet oder in welchem Maße noch hypothetisch diese oder jene Einzelheit der Darwinschen Theorie anzusehen sei. Das sind Fragen, die den Spezialisten überlassen bleiben. Ihre Beantwortung wird nichts Grundsätzliches mehr ändern. Das Gespräch sollte sich besser der überfälligen Aufgabe zuwenden, den Sinn menschlicher Existenz in einer sich evoluierenden Welt neu zu beschreiben."

(v. DITFURTH, 1987 a, S. 218)

                                                                                 

Nun ist es natürlich völlig unstrittig, daß die Biologie in Schwierigkeiten gerät, sobald man für die Evolution spezifischer Merkmale, wie etwa der von NACHTWEY erwähnten Saugfalle von Utricularia, Kausalerklärungen zu liefern hat. Daher behauptet zum Beispiel MURRAY: "Biology has many inductive generalizations (...but...) no deductive theory." (MURRAY, 2001, S. 255 ff.)

Das Problem liegt aber nicht darin, daß die Kausaltheorien der Evolution prinzipiell keine (deduktiv-nomologischen) Detailerklärungen zu liefern imstande wären, es hat seinen Grund vielmehr in der Unvorhersagbarkeit der spezifischen Randbedingungen, unter welchen sich die Umwandlung der Merkmale eines Individuums in jedem Entwicklungsschritt vollzogen hat. Wollte man, wie Antievolutionisten fordern, in der Entwicklungs- und Ursachenfrage Detailerklärungen bereitstellen, müßte man über alle historischen Zufälle, ökologischen Wechselwirkungen, die (sich ändernden) Selektionsregimes und über die innerorganismischen Entwicklungszwänge in der Evolution der betreffenden Organismengruppen genau im Bilde sein. Außerdem müßte man wissen, wie jeder einzelne Umbauschritt - unter Wahrung von Funktionalität und Adaptivität des Systems - zur Entwicklung eines rezenten Organs oder Merkmalskomplexes geführt hat (MAHNER, 1986, S. 42). 

Um also auch spezifische Umwandlungen noch im Rahmen der Theorie erklärt zu bekommen, muß man die Kausaltheorien (etwa die Mutations- und Selektionstheorie) mit solchen Details der betreffenden Art oder Gruppe, mit den spezifischen Randbedingungen anreichern. Meist ist man dann auf unsichere Hypothesen und Modelle angewiesen, die man aus den Materialien gewinnt, die uns zur Verfügung stehen. In der Regel fehlen uns solche Informationen, weil die Randbedingungen nicht nur historisch einmalig, sondern auch für jedes Merkmal und jede Art verschieden und daher nicht a priori angebbar sind. Daher gestaltet sich die Erklärung spezifischer Evolutions- und Umbauschritte meist sehr schwierig.

Findet man dagegen ein reichhaltiges Datenmaterial vor (wie z. B. gut überlieferte Fossilienreihen oder abgestufte Formenähnlichkeiten bei den Organen rezenter Gruppen), liefert die Evolutionstheorie in bestimmten Bereichen auch Detailerklärungen. Das ist in der Tat bei einer Vielzahl von Beispielen, wie etwa im Falle der Evolution des Wirbeltierauges, tatsächlich auch demonstriert worden. Dazu hat man anhand der bekannten Augentypen die evolutionären Entwicklungsstufen rekonstruiert und (unter Einbeziehung von Doppel- und Mehrfachfunktionen) die adaptiven Umwandlungsschritte erklärt (diese und andere Beispiele finden sich beispielsweise bei VOLLMER, 1985, S. 23 ff. sowie in Kapitel III.2).

Der Antievolutionist geht natürlich angesichts der Materialfülle immer den bequemen Weg und fordert solange eine Detailerklärung nach der anderen ein, bis man zu einem Merkmal gelangt, dessen Evolution noch nicht detailliert erklärt werden kann. So fragt etwa NACHTWEY im Falle der Entwicklung des Wirbeltierauges nach dem stereotypen, sich niemals leerlaufenden Argumentationsmuster der Evolutionsgegner sofort weiter:

"'Wie entstand die durchsichtige und gekrümmte Hornhaut des Auges?' (...) 'Wie entstand die Linse mit ihren Einrichtungen, ihrem Anpassungsvermögen an Nähe und Ferne?' (...) 'Wie entstand die Netzhaut, die auf einem einzigen Quadratmillimeter 100 000 bis 180 000 lichtempfindliche Stäbchen oder Zapfen trägt?' (...)"

(NACHTWEY, zitiert nach LÖNNIG, 1989)

                       


Um hier nicht mißverstanden zu werden: Der Hinweis auf noch unerklärte Details in der Merkmalsevolution ist als solcher selbstverständlich in keiner Weise anstößig. Daraus läßt sich aber keine Kritik am Abstammungsgedanken ableiten, denn man kann eben aus logischen Gründen kausale und historisch bedingte Wissenslücken nicht für eine Widerlegung der Evolutionstheorie halten.

(vgl. TSCHULOK, 1922; GÜNTHER, 1967; REMANE et al., 1973; MAHNER, 1986)


Andernfalls wäre das ungefähr so, als wollte man die Theorie der Planetenentstehung infragestellen, weil man die spezifischen Abstände der Planeten zum Zentralgestirn, deren Massen und Zahl der Monde, sowie die Neigungswinkel deren Rotationsachsen gegen die Bahnebenen nicht aus dem Modell schlußfolgern kann. Ähnliche Probleme ergeben sich auch in der Meteorologie, Soziologie, der Populationsdynamik und Entwicklungsbiologie. Immer dann, wenn sich die Wissenschaft mit komplizierten, energiebetriebenen Systemen konfrontiert sieht, die sich unberechenbar verhalten und den "Regeln der Selbstorganisation und Chaostheorie" unterliegen, steht sie vor dem Problem, daß sie bestenfalls eingeschränkte Prognosen und Erklärungen über die Zustandsänderungen liefern kann. Doch während niemand auf die Idee kommt, beispielsweise die ungeklärte Ursache des Orkantiefs "Lothar" für eine Widerlegung der meteorologischen Modelle zu halten, werden Antievolutionisten nicht müde, Evolutionsbiologen mit derartigen Einwänden zu konfrontieren.

                                           

Grundsätzlich ist festzustellen, daß evolutionäre Kausaltheorien stets einen mehr oder minder allgemeinen Erklärungscharakter besitzen (die Evolutionsbiologen sind daher im Recht, wenn sie feststellen, daß man mithilfe der Mechanismen Mutation und Selektion - eventuell unter Einbeziehung weiterer Faktoren - Evolution im Allgemeinen erklären kann). Deshalb können Kausaltheorien auch keine spezifischen, nur für eine kleine Objektklasse geltenden Detailaussagen enthalten, denn sie sollten ja auf eine möglichst große Referenzklasse anwendbar sein (auf der anderen Seite dürfen Theorien aber auch nicht hyperallgemein sein, wenn sie noch etwas Interessantes für die Biologie aussagen sollen). Diese Voraussetzung verdeutlicht WINKLER am Beispiel der Theorien zur evolutionären Verhaltensforschung:

"Die Modelle greifen meist ganz wenige Aspekte des zu erklärenden [Sachverhalts] heraus, denn sonst wären sie schwer zu analysieren und verlören ihren generellen Erklärungswert (...) Die Einschränkung auf eine bescheidene Menge von Annahmen und Randbedingungen ist jedoch von großem heuristischen Wert."

(WINKLER, 1994, S. 200)

                              


Daraus folgt natürlich, daß jede detaillierte Erklärung von Entwicklungsabläufen mit den allgemeinen Erklärungsschemata (z. B. mit der Mutations- und Selektionstheorie) in Einklang stehen muß. Letztere sind daher nicht durch Schwierigkeiten in der Detailerklärung zu widerlegen, weil das Erklärungsproblem ja auf der Unkenntnis der Randbedingungen und nicht auf der Falschheit der kausalen Gesetzesaussagen beruht.

                                            

Anders stellt sich die Situation dar, wenn die Kausalerklärung nicht nur im Falle spezifischer Entstehungsschritte, sondern auch im Falle allgemeiner Entwicklungsphänomene, wie man sie bei nahezu allen Organismen beobachten kann, aussteht.

So kann beispielsweise die Synthetische Evolutionstheorie eine Reihe allgemeiner Phänomene, wie Bildung und kooperativen Umbau verwickelter Merkmalssysteme, "geordnete Entwicklungsabläufe" (wie Parallelevolution und Entwicklungstrends), die Stetigkeit von Merkmalen und Bauplänen oder das Auftreten "alter Muster" (wie Atavismen) und dergleichen nicht oder aber nur unvollkommen kausal erklären (RIEDL und KRALL, 1994, S. 250 ff.).

Ein weiteres Problem der Kausalerklärung gründet also in der Unvollständigkeit der Synthetischen Evolutionstheorie, die alle evolutionären Entwicklungen auf die Akkumulation adaptiver Gensubstitutionen in Populationen zurückführt, wichtige entwicklungsbiologische und systemtheoretische Kausalzusammenhänge aber unberücksichtigt läßt (GOULD, 1987). Daher nimmt es nicht wunder, daß auch Antievolutionisten die Imperfektion der Evolutionstheorie kritisieren, sie jedoch implizit oder ausdrücklich für eine Widerlegung des gesamten Erklärungsansatzes halten:

"Man muß die Darwinsche Formel einmal auf verwickelt gebaute Organe, wie etwa das menschliche Auge und auf den Sehvorgang anwenden, um die ganze Leere und Hohlheit einer solchen Anschauung zu begreifen (...) Ja wirklich, man sollte es nicht für möglich halten, aber der Darwinismus hat für alle Fragen nach der Organbildung und ebenso für alle tiefsten genetischen Probleme der Biologie und Psychologie nur eine einzige schematische, formelhafte Antwort [Mutation und Selektion], die jedes tiefere Nachdenken erspart."

(NACHTWEY, zitiert nach LÖNNIG, 1989) (*)

                 

Abgesehen davon, daß dieser Einwand antiquiert wirkt, weil die Evolutionsforschung natürlich längst nicht bei dem pragmatisch-reduktionistischen Erklärungsschema der Synthetischen Evolutionstheorie stehengeblieben ist, demonstrieren Antievolutionisten mit derartigen Kommentaren nur, daß sie den erkenntnistheoretischen Status von Theorien nicht verstanden haben. Denn Theorien haben verschiedene "Tiefe", und alle Theorien - so auch die Kausaltheorien der Synthetischen Evolutionstheorie - haben (je nach Tiefe) von vorn herein Anwendungs- und Erklärungsgrenzen!

Niemand könnte beispielsweise behaupten, das BOHRsche Atommodell und die NEWTONsche Mechanik müßten in toto falsch sein, weil sie "verwickelte quantenmechanische Systeme" nicht beschreiben und erklären können, so wie dies NACHTWEY im Hinblick auf das Mutations-Selektions-Erklärungsschema der Synthetischen Evolutionstheorie in analoger Form behauptet.


Wir sehen, daß man aus der Unvollständigkeit einer Theorie nicht schließen darf, daß sie generell falsch ist, sondern eben nur, daß sie im Rahmen eines Forschungsprogramms perfektioniert (oder eventuell revolutioniert) werden muß. Dies räumen auch diejenigen Biologen ein, welche die Synthetische Evolutionstheorie am vehementesten kritisieren und daher von Antievolutionisten am häufigsten zitiert werden (wie etwa GUTMANN und BONIK, 1981; SCHMIDT, 1985; GOULD, 1987; RIEDL und KRALL, 1994). Obschon die ersten drei der sechs genannten Biologen die Synthetische Evolutionstheorie vollkommen ablehnen, stellen sie ihr immerhin ein alternatives Evolutionskonzept entgegen. Kurioserweise hält das Antievolutionisten nicht davon ab, deren Argumente für ihre obskuranten Zwecke einzusetzen (ein Paradebeispiel verkörpern LÖNNIGs Schriften; siehe Literaturverzeichnis).  

         

Kurz: Wer aufgrund von Erklärungsproblemen die vollkommene Falschheit einer wohlbestätigten Theorie behauptet, der ist sich nicht über den approximativen Charakter wissenschaftlicher Erkenntnisse und die wissenschaftslogische Rolle von Forschungsprogrammen im Klaren (KANITSCHEIDER, 1981).                                    

Darüber hinaus verschweigen Antievolutionisten geflissentlich, daß es den evolutionären Kausalforschern (insbesondere im Rahmen der Entwicklungsbiologie und Systemtheorie der Evolution) mittlerweile gelungen ist, auch für das Zustandekommen komplexer Merkmalsgruppierungen eine Reihe allgemeiner (aber keineswegs vollständiger) Erklärungen anzubieten (WIESER, 1994). Darüber wird in Kapitel III. noch ausführlich zu sprechen sein.                           

Nichtsdestotrotz gelingt es Antievolutionisten immer wieder, durch eine ausgefeilte Detailargumentation solch methodologische Grundfragen aus dem Blickfeld zu rücken. Der Inhalt der Argumentation im Antievolutionismus soll daher an einigen konkreten Beispielen Gegenstand der Diskussion in den nächsten Kapiteln sein.

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Fußnote (*):

Ich habe mir angesichts des abwertenden Charakters solcher Passagen die Entscheidung in der Frage nicht leicht gemacht, ob sie in einer sachlichen Auseinandersetzung einen Raum beanspruchen und deshalb in dieser Arbeit überhaupt erwähnt werden sollen. Schließlich habe ich NACHTWEYs Invektive aus zweierlei Gründen doch zitiert:

Zum einen werfen Formulierungen, wie diejenige von der "Hohlheit einer solchen (evolutionären) Anschauung" ein Schlaglicht auf die Argumentationsstruktur vieler Antievolutionisten, welche die sachliche - und naturgemäß immer diffizile - Auseinandersetzung, des "schnellen" Erfolges wegen, in einer wahren Flut stilistischer Propagandamittel zu ertränken suchen. Man mag ja die Kausalerklärung der Synthetischen Evolutionstheorie für so unmöglich, "schematisch, hohl und formelhaft" halten wie man will; die geistreichen Wortkreationen verhelfen damit nur einem emotiv-subjektiven Vorurteil zum Ausdruck, enthalten aber kein Argument gegen die Richtigkeit der Theorie. Niemand hielte mit der persönlichen Einschätzung, daß er etwa die Anwendbarkeit der NEWTONschen Gesetze auf eine große Klasse von Systemen für "formelhaft" und deshalb für "hohl" hält, ein Argument gegen sie in der Hand. Es ist nunmal in aller Regel typisch für Gesetzesaussagen, daß sie eine mehr oder minder große Klasse von Objekten "formelhaft" beschreiben. Um wieviel mehr wäre unter diesem Gesichtspunkt die Kritik an der Schöpfungsvorstellung gerechtfertigt, die ja nicht nur die Entstehung der Arten, sondern überhaupt alles, was es in der Welt zu beobachten und nicht zu beobachten gibt, "formelhaft erklärt"?  

Zum anderen lehren solche Kommentare beispielhaft, wie der Kreationismus die Evolution (ontologisch!) auf die von der Synthetischen Evolutionstheorie beschriebenen Faktoren Mutation und Selektion reduziert, um dann vernichtende Kritiken abzuleiten. Daß die Forschung aber weder bei dem Erklärungsschema der Synthetischen Theorie haltgemacht hat, noch den Anspruch erhebt, Mutation und Milieuselektion böte eine vollständige Erklärung für Evolution; daß die Imperfektion einer Theorie weder für ihre generelle Falschheit spricht noch ein Hinweis für die Richtigkeit einer prinzipiell nichtwiderlegbaren Schöpfungsthese sein kann, das wird in solchen Darstellungen rhetorisch geschickt unter den Teppich gekehrt.                             

 

Copyright by Martin Neukamm, 30.08.2000             Alle Rechte vorbehalten.                                 GOWEBCounter by INLINE

Zweite, völlig neu bearbeitete Fassung, (c) 13.01.2002