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Bericht:
Neue Aspekte zur
Synthese von Ribonukleotiden unter präbiotischen
Bedingungen
Die Entdeckung eines grundlegend neuen Synthesewegs
Eine Grundvoraussetzung für die Entstehung des Lebens vor ca. 4 Milliarden
Jahren war die Existenz eines informationstragenden Biopolymers, das in der
Lage sein musste, sich selbst zu replizieren. Nach heutiger Erkenntnis handelte
es sich bei diesem Molekül wahrscheinlich um eine Ribonukleinsäure
(RNA). Diese Annahme wird durch die Tatsache gestützt, dass bestimmte
RNA-Moleküle enzymatische Aktivität entfalten und die verschiedensten
chemischen Reaktionen katalysieren, unter anderem auch sich selbst replizieren
und zurecht schneiden können ("splicing"). Dieser überraschende
Befund führte dazu, dass eine ganze "RNA-Welt" als primordial postuliert
wurde (Gilbert 1986).
Das "Rückgrat" der RNA besteht aus einer langen Kette über
Phosphodiester-Bindungen abwechselnd miteinander verbundener Moleküle
Phosphat sowie dem Zucker D-Ribose
[
-Phosphat-D-Ribose-Phosphat-D-Ribose
], wobei über eine
"glykosidische Bindung" an jeweils ein Ribose-Molekül eine der vier
Nukleinbasen Adenin, Uracil, Guanin und Cytosin geknüpft ist. Abb.
1 zeigt einen der vier Bausteine der RNA: das Nukleotid Uridinmonophosphat,
welches über das 3'- und 5'-Ende des Ribose-Rings mit anderen Nukleotiden
zur RNA kondensieren kann.
Als wesentliche Schwäche des Modells der "RNA-Welt" wurde lange Zeit
die Instabilität der Ribose in freier wässriger Lösung angesehen,
sowie die Schwierigkeit, die N-glykosidischen Bindungen im Nukleotid in der
"korrekten" Form (zwischen dem Ring-Stickstoff der Nukleinbase und dem C1'-Atom
des Zuckers) chemisch zu bewerkstelligen. Obwohl schon länger empirische
Befunde vorliegen, die demonstrieren, dass aktivierte Ribonukleotide zu RNA
polymerisieren können, blieb es rätselhaft, auf welchen Wegen die
Ribonukleotide aus ihren Bausteinen (Ribose, Nukleinbasen und Phosphat) chemisch
aufgebaut worden sein sollen. So verläuft die Kondensation der
Purine (Adenin und Guanin) mit der Ribose an der erforderlichen 1'-OH-Gruppe
des Ribose-Rings nur in sehr geringer Ausbeute und die der Pyrimidine (Cytosin
und Uracil) praktisch gar nicht. Aufgrund dieser Schwierigkeiten
wird vielfach vermutet, dass im Urmeer primär nicht RNA gebildet wurde,
sondern zunächst einfachere Vorläufermoleküle der RNA, die
noch ein anderes "Rückgrat" besessen haben (Rauchfuß 2005).
Abb. 1: Baustein der RNA: Das Ribonukleotid "Uridinmonophosphat".
Das Zuckermolekül Ribose ist über die N-glykosidische Bindung am
C1'-Atom mit der Nukleinbase Uracil verknüpft. (Die Kohlenstoffatome
am Ribose-Ring sind der Nomenklatur entsprechend durchnummeriert.) Die OH-Gruppe
am C5'-Atom ist mit Phosphorsäure verestert.
Ein weiteres Problem besteht darin, dass einfache Ausgangsstoffe, die
bei der Synthese von Zuckern und Nukleotidbasen eine Rolle spielen, häufig
unkontrolliert miteinander reagieren und dabei ein breites Spektrum an
Nebenprodukten hervorbringen. So entsteht z. B. aus alkalischen Lösungen
von Formaldehyd ein heterogenes Gemisch aus dutzenden verschiedener Zucker,
wobei die Ribose nur in sehr geringer Ausbeute entsteht und in freier
Lösung vergleichsweise rasch wieder zerfällt. Auch die aus
Blausäure und Ammoniak gebildeten Intermediate reagieren miteinander
zu einer Vielzahl an Produkten, wobei die gewünschten Ausgangsstoffe
zur Bildung von Nukleotiden nur einen geringen Prozentsatz ausmachen (Problem
der "kombinatorischen Explosion").
Vor etwa einer Woche erschien nun in der Wissenschaftszeitschrift "Nature"
eine Arbeit von drei ChemikerInnen, in der die Bildung von
Pyrimidin-Ribonukleotiden auf verblüffend einfache Weise beschrieben
wird (Powner et al. 2009; Szostak 2009). Um die Probleme
konventioneller Synthesen zu umgehen, wurden nicht etwa die Bausteine der
Nukleoside (hier: der Pyrimidin-Heterozyklus und die Ribose) separat
hergestellt und anschließend miteinander kondensiert, sondern durch
Reaktion chemisch einfach gebauter Vorstufen beide simultan in einem
Molekül aufgebaut. Der Syntheseweg führt also nicht über
die freie Ribose, sondern über die Verbindung 2-Aminooxazol,
so dass die schwierige Kondensation mit Pyrimidinen umgangen wird
(Abb. 2).
Abb. 2: Modelle zur präbiotischen Entstehung von
Pyrimidin-Ribonukleotiden. (a) Nach der traditionellen Ansicht entstanden
die freie Ribose sowie die Nukleinbasen separat, bevor sie miteinander
zum Ribonukleosid kondensierten. (b) Dem Modell von Powner und Kollegen zufolge
ist das intermediär auftretende 2-Aminooxazol, welches sowohl zur Ribose
als auch zum Pyrimidin-Ring Atome beisteuert, die gemeinsame Vorstufe beider
Komponenten des Ribonukleosids. Folglich mussten diese nicht separat entstehen.
Aus Szostak (2009, 171). (Eine ausführlichere Darstellung der
Reaktionswege findet sich bei Powner 2009, 239).
Als Ausgangsstoffe dienten präbiotisch plausible Verbindungen wie Cyanamid,
Cyanoacetylen, Glykolaldehyd, Glycerinaldehyd sowie anorganisches Phosphat.
Dabei reagieren Glykolaldehyd und Cyanamid zunächst zum 2-Aminooxazol,
welches sich mit Glycerinaldehyd und Cyanoacetylen in zwei Schritten zum
Anhydroarabinonucleosid umsetzt. Dieses wird im letzten Schritt zum
Pyrimidin-Ribonukleotid phosphoryliert.
Interessanterweise ist Phosphat bei dieser Reaktion nicht nur als Edukt bei
der Veresterung des Nukleosids zum Nukleotid von Bedeutung. Vielmehr scheint
die Anwesenheit von Phosphat selektiv gleich mehrere Teilschritte
der Reaktion zu steuern, indem es z. B. als pH-Puffer und Katalysator mit
nukleophilen Eigenschaften fungiert. Dadurch wird die kombinatorische
Vielfalt unterdrückt, so dass kaum unerwünschte Nebenprodukte
auftreten.
Diese Reaktion verdeutlicht die eminente Bedeutung von Mehrkomponenten-Systemen
in der chemischen Evolution. Die bisherigen Ergebnisse deuten darauf hin,
dass nicht notwendigerweise mehrstufige Reaktionen ablaufen müssen,
um komplizierte Biomoleküle aufzubauen. Komplexe Gemische müssen
auch nicht zwangsläufig zu einem breiten Produktspektrum mit geringen
Ausbeuten führen, sofern einzelne Komponenten kooperativ verschiedene
Teilschritte der Reaktion kinetisch oder thermodynamisch kontrollieren. Dass
dies unter präbiotisch plausiblen Bedingungen möglich ist, belegen
die empirischen Befunde auf eindrucksvolle Weise. Dadurch gewinnt auch das
Modell der "RNA-Welt" ("RNA-first hypothesis") erheblich an
Plausibilität.
Literatur
Gilbert, W. (1986) The RNA world. Nature 319, 618.
Powner, M.W./Gerland, B./Sutherland, J.D. (2009) Synthesis of activated
pyrimidine ribonucleotides in prebiotically plausible conditions. Nature
459, 239-242.
Rauchfuß, H. (2005) Chemische Evolution und der Ursprung des Lebens.
Springer-Verlag, Berlin.
Szostak, J.W. (2009) Systems chemistry on early earth. Nature 459, 171-172.
M.
Neukamm
© Martin Neukamm
02.06.09