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Wie Kreationisten
Glaube und Wissenschaft vermengen
Reaktion auf den in "Biologen heute 6 2002" erschienenen
Leserbrief von W.-E. Lönnig
(*)
Antievolutionisten sind in aller Regel bestrebt, ihre Schöpfungstheorien
im Namen der Wissenschaft vorzutragen und gleichzeitig die naturalistische
Wissenschaftsphilosophie, welche die Welt ausschließlich naturgesetzlich
erklärt, als "religiöse Weltanschauung" zu kennzeichnen.
Dahinter verbirgt sich der Versuch, die Grenze zwischen Glaube und Wissenschaft
zu verwischen - eine Strategie, welcher sich jüngst auch der Biologe
und Evolutionsgegner W.-E. LÖNNIG in seinem Kommentar gegen den
Kreationismuskritiker U. KUTSCHERA in "Biologen heute" bedient hat
[1]. Es erscheint daher im Sinne der Wissenschaft angebracht, zu einigen
Aussagen LÖNNIGs bzw. des Kreationismus Stellung zu beziehen und die
sich dahinter verbergenden Irrtümer darzulegen.
Schöpfung
als wissenschaftliche
Erkenntnisstrategie
LÖNNIG versucht, seine ungewöhnliche Wissenschaftsauffassung, welcher
zufolge auf die biologische Ursprungs- und Entwicklungsfrage mit dem
Schöpfungsakt einer übernatürlichen Wesenheit zu antworten
ist, ad verecundiam, unter Berufung auf "angesehene Forscher und
Nobelpreisträger", wie z. B. EINSTEIN, zu rechtfertigen. Dann folgt
der Hinweis, daß "häufig aus zunächst vom herrschenden
Konsens divergierenden Auffassungen" wissenschaftlicher Fortschritt
resultiere, womit gemeint ist, daß allgemeine Schöpfungsvorstellungen
eine wissenschaftliche Alternative zur Evolutionslehre seien. Solche und
ähnliche Hinweise verfehlen jedoch aus verschiedenen Gründen ihr
Ziel:
Erstens verbirgt sich hinter der schöpfungstheoretisch motivierten Ablehnung
allgemeiner Evolutionsvorstellungen keine "fortschrittliche Auffassung",
ist sie doch so alt wie die Abstammungslehre selbst [vgl. beispielsweise
2]. Das bedeutet, daß nicht Evolutions- sondern Schöpfungstheorien
über die Jahrhunderte und Jahrtausende den "herrschenden Konsens"
repräsentierten. Erst im Darwinismus spiegelt sich die revolutionäre,
"vom Konsens divergierende Auffassung" wieder. Vor diesem Hintergrund
entpuppt sich der Antievolutionismus (Kreationismus im weiteren Sinne) als
wissenschaftshistorischer Anachronismus, der zum Ziel hat, "das Rad der
Erkenntnis zurückzudrehen" [3].
Desweiteren gibt es für die Auffassung, der "herrschende Konsens"
habe den Durchbruch revolutionärer Gedanken verhindert, keine
überzeugenden Beispiele. Geht man die Stadien in der Wissenschaftshistorie
durch, zeigt sich, daß sich geniale Ideen und neue Perspektiven letztlich
durchgesetzt haben und zwar erst dann, nachdem man sich nachgerade
von dem im Mittelalter vorherrschenden, "schöpfungstheoretischen Konsensus"
Zug um Zug abgewandt und alle "Wunder" auf Naturgesetze reduziert hatte,
die nichts von uns wissen [4] !
LÖNNIG verschweigt konsequent, daß der Vergleich von
Antievolutionisten mit religiösen Nobelpreisträgern in diesem Kontext
völlig untauglich ist: EINSTEIN und PLANCK haben sich niemals gegen
naturgesetzliche Erklärungen gestemmt und den Naturalismus als notwendige
ontologische Voraussetzung für wissenschaftliches Arbeiten akzeptiert.
EINSTEIN hat auch Darwins Erkenntnisse anerkannt und seine anfängliche
Opposition gegen ein dynamisch evolvierendes Universum als die
"größte Eselei" seines Lebens bezeichnet. Für EINSTEIN war
Schöpfung identisch mit der Welt und gleichsam wunderbar, weil sie eben
naturgesetzlich verstehbar ist ("deus sive natura"). Dagegen verliert
sich der Kreationismus im Obskuren, postuliert aufgrund dogmatischer
Überzeugung einen ontologischen Bruch zwischen der Selbstorganisation
unbelebter und lebendiger Systeme und glaubt, eine "theistische Evolution"
sei mit religiösen Glaubensfragen unvereinbar.
Die ontologische Trennung zwischen einer Einflußsphäre Gottes
und einem natürlich erschließbaren Bereich ist nicht nur für
die Wissenschaft ruinös, sondern auch für die Theologie, weil sie
im Laufe der Jahrhunderte (in der Astronomie, Geologie, Chemie usw.) sukzessive
widerlegt und der propagierte "god of gaps" in Nischenbereiche abgedrängt
wurde. Die Konsequenz ist, daß eine solche, im Antievolutionismus
vertretene Theologie heute kaum jemand mehr ernst nimmt, weshalb sich auch
die Kirchen überwiegend von antievolutionistischen Thesenpapieren
distanzieren.
Der Naturalismus
als "religiöse Position"
Warum, so könnte man fragen, verbannt Wissenschaft alle
übernatürlichen Agentien aus der Erklärung? LÖNNIG spricht
von "weltanschaulicher Motivation" und koppelt sie strikt von der
"naturwissenschaftlichen Ebene" ab, womit wieder zum Ausdruck gebracht
wird, daß der religiös motivierte "Supernaturalismus" gleichberechtigt
neben dem Naturalismus stünde bzw. daß eine Theorie der
"Makroevolution" ebenso Glaube sei, wie eine Schöpfungstheorie.
Diese These ist nicht rational diskursfähig, denn hier wird verschwiegen,
daß es sich beim Naturalismus gar nicht um eine unverrückbare
Feststellung über die Nichtexistenz eines Schöpfers, sondern um
den Ausdruck einer methodischen Beschränkung handelt. Der Naturalismus
gewährleistet, daß man überhaupt erst auf der
"naturwissenschaftlichen Ebene" arbeiten kann [5]. Konkreter:
Wissenschaft kann sich nur mit hypothetisierten Fakten befassen, deren
Existenz deduktiv überprüfbar ist, und dies setzt wiederum
voraus, daß Theorien Gesetzesaussagen beinhalten. Nur
aus naturgesetzlich formulierten Aussagen lassen sich logisch ganz spezifische
Folgerungen ableiten (deduzieren), die man an der Beobachtung prüfen
kann [4]. Wer diese Prämisse mißachtet wird, so hat es v. DITFURTH
einmal ausgedrückt, "unweigerlich zum Pfuscher" [3].
In einer Schöpfungstheorie werden jedoch Gesetzesaussagen zum Teil durch
den freien Willen einer übernatürlichen Wesenheit ersetzt, über
den sich beliebig spekulieren läßt. Überhaupt jeder nur denkbare
empirische Effekt könnte der freien Entschlußkraft eines
Schöpfers entsprungen sein, und es ist nicht mehr logisch entscheidbar,
welche Beobachtungen die Schöpfungsthese bestätigen oder deren
Revision notwendig machten [6]. Hierin wird deutlich, daß sich alle
"Erklärungen" auf den unergründbaren Ratschluß des
Schöpfers stützen, der die Welt eben so eingerichtet habe, wie
wir sie beobachten. Damit läßt sich jede nur denkbare Fragestellung
erschlagen, aber kein Phänomen erklären, denn anstelle einer
Erklärung wird einfach der unerklärte Wille einer
übernatürlichen Wesenheit gesetzt.
Ganz anders verhält es sich mit Darwins Abstammungshypothese. Es gibt
Szenarien, welche die Revision der Abstammungshypothese logisch erzwingen
würden [7]. Auch in der Mechanismusfrage ist der Darwinismus über
sein ursprüngliches Niveau hinausgewachsen, weil "logische Falsifikationen"
dessen Weiterentwicklung erzwungen haben. Es ist daher unsinnig, wenn
LÖNNIG von der "Unterschlagung von Falsifikationsversuchen" redet.
Die
Lückenbüßer-Theologie
Während nun aber der Naturwissenschaftler seine von einer Falsifikation
betroffenen, wohlbestätigten Theorie nicht für völlig falsch,
sondern nur für unvollkommen hält und sie im Sinne der Definition
eines Forschungsprogramms gehaltsvermehrend überarbeitet [3,8], halten
dies Kreationisten immer dann für einen "unerlaubten Immunisierungsversuch",
wenn es sich in der Diskussion um die Evolutionstheorie dreht. Auch historische
Wissenslücken sowie das Ausstehen kausaler Detailerklärungen werden
irrigerweise für ein Scheitern naturalistischer (Ursprungs-) Theorien
gehalten und als Indizien für Schöpfung interpretiert [vgl.
beispielsweise 9].
Diese sattsam unter der Bezeichnung "Lückenbüßer-Theologie"
geläufige "Erkenntnisstrategie" ist für die Wissenschaft fatal,
denn sie verunmöglicht jede Forschung am Detailproblem, ja es hätte
seit Anbeginn der Zeiten nichts mehr zu erforschen gegeben! Die Existenz
unvollständig beschriebener bzw. erklärter Sachverhalte ist
schließlich der Normalfall in empirischen Theorien [10], womit sich
letztlich alle wissenschaftlichen Theorien infragestellen und gegen einen
"god of gaps" eintauschen ließen!
Resümee
Dieser Artikel hatte darzulegen zum Ziel, warum Schöpfung keine
wissenschaftliche Erklärung sein kann und daß im Antievolutionismus
weniger sachliche Argumente als vielmehr die Kritik an der wissenschaftlichen
Methodenlehre im Vordergrund stehen. Die weit über die Evolutionstheorie
hinausreichenden Konsequenzen werden aber geflissentlich übergangen
oder durch das inkonsistente "Zurechtbiegen" der methodologischen Argumente
überspielt (Wer sich für die Argumentation, methodologischen und
sachlichen Irrtümer der Kreationisten im Detail interessiert, sei auf
folgende Arbeiten hingewiesen [11,12,13]).
Charakteristisch für den Kreationismus ist immer der
wissenschaftsrevisionistische Anspruch, also der Versuch, die Erkenntnisse
einiger revolutionärer Theorien zurückzudrehen und die empirisch
nicht entscheidbare Faktizität eines Schöpfers unverrückbar
in die Wissenschaft einzubauen. Es ist daher nicht nachvollziehbar, wenn
LÖNNIG seine "Intelligent-Desin-Theorie" streng vom Bibelkreationismus
abgrenzt und sie für wissenschaftlich besser legitimiert hält,
ist doch die methodologische Orientierung in beiden Fällen dieselbe.
Schief ist in jedem Falle der Vergleich mit Nobelpreisträgern, die
bestenfalls einen Pantheismus vertreten haben.
Literatur
[1] Evolutionsbiologie gegen Kreationismus. Eine kleine Darstellung einiger
Merkwürdigkeiten der Auseinandersetzung unter Wissenschaftlern.
VdBiol/Biologen heute, Vol: 6_2002, S. 12-15
[2] Fleischmann A (1901) Deszendenztheorie - Vorlesungen über den Auf-
und Niedergang einer naturwissenschaftlichen Hypothese. Leipzig, Georgi
[3] Ditfurth H v. (1987) Wir sind nicht nur von dieser Welt. Naturwissenschaft,
Religion und die Zukunft des Menschen. dtv-Sachbuch, Hoffman und Campe Verlag,
Hamburg
[4] Mahner M (1989) Warum eine Schöpfungstheorie nicht wissenschaftlich
sein kann. Praxis der Naturwissenschaften - Biologie 38(8), S. 33-36
[5] Kanitscheider B (2000) Wissen und Religion. Spektrum der Wissenschaften,
1, S. 8 f.
[6] Sober E (1993) Philosophy of Biology. Westview Press. Boulder
[7] Dongen PAM v, Vossen, JMH (1984) Can the theory of evolution be falsified?
Acta Biotheoretica 33, S.33-50
[8] Lakatos I (1974) Falsifikation und die Methodologie wissenschaftlicher
Forschungsprogramme. In: Lakatos Imre & Musgrave Alan: Kritik und
Erkenntnisfortschritt. Vieweg, Braunschweig, S. 89-189
[9] ReMine WJ (1993) The Biotic Message. Evolution Versus Message Theory.
St. Paul Science. Saint Paul, Minnesota
[10] Riedl R, Krall P (1994) Die Evolutionstheorie im wissenschaftstheoretischen
Wandel. In: Wieser W (Hrsg.) Die Evolution der Evolutionstheorie. Von Darwin
zur DNA. Heidelberg, Berlin, Oxford, S. 234-266
[11] Kutschera U (2001) Evolutionsbiologie. Eine allgemeine Einführung.
Parey-Verlag, Berlin
[12] Mahner M (1986) Kreationismus - Inhalt und Struktur antievolutionistischer
Argumentation. Berlin
[13] Neukamm M (2000) Die Evolutionstheorie und der moderne Antievolutionismus:
Evolution und Schöpfung im Lichte der Wissenschaft. URL:
http://www.martin-neukamm.de/junker.html
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