Nächstes Kapitel          Vorheriges Kapitel          Übergeordnetes Inhaltsverzeichnis          Homepage    

Neukamm, M.; Beyer, A. (2005):

Wolf-Ekkehard Lönnig und die Affäre Max Planck (*)

Über die fragwürdigen Diskursmethoden eines Evolutionsgegners

                                

4. Die fleischfressende Pflanze Utricularia und die Begründung der Lehre vom Intelligent Design

Weshalb wissenschaftliche Theorien nur naturalistisch sein können

Um dem Eindruck entgegenzuwirken, daß die im letzten Kapitel kritisierte Methodologie nur für die Lönnigsche Argumentation charakteristisch ist, sei gesagt, daß sich (in mehr oder minder starker Ausprägung) fast alle Evolutionsgegner ihrer bedienen. Nur hat sich zumindest im deutschen Sprachraum bislang noch niemand gefunden, der sie derart lautstark sowie mit unerbittlicher Konsequenz vertritt und bei all dem auch noch öffentlich behauptet, daß wir als seine Gegner "nicht ein einziges naturwissenschaftliches Argument" (43) dagegen vorzubringen in der Lage seien. Deshalb (und nur deshalb!) war es an der Zeit, noch einmal coram publico den Gegenbeweis anzutreten, obwohl unsere Homepage mit Texten nur so überhäuft ist, in denen wir ganz konkret zeigen, welches die wissenschaftstheoretischen Probleme der antievolutionistischen Argumentation sind. Doch Lönnig scheint sich nachhaltig zu weigern, die wichtigsten Argumente zur Kenntnis zu nehmen, geschweige denn verstehen zu wollen.

Nun hätten wir über den methodologischen Irrtum in der Lönnigschen Evolutionskritik kein einziges Wort zu verlieren brauchen, wenn sich unser Kritiker dazu entschlossen hätte, den Schwerpunkt der Argumentation von der Destruktion der unliebsamen Evolutionstheorie auf die Konstruktion eines eigenen theoretischen Ansatzes zu verlagern, so wie dies der naturwissenschaftlich sauberen Vorgehensweise entspricht und wie dies selbstredend seit Darwin alle Evolutionsbiologen tun. Der einzig korrekte Weg, um die Lehre vom "Intelligent Design" sauber als wissenschaftliche Alternative zur Evolutionstheorie zu begründen, kann mit anderen Worten nicht in der "Widerlegung des Neodarwinismus" bestehen. Denn wie wir sahen, gaben die offenen Fragen den Anstoß zur Konstruktion der umfassenderen Systemtheorie der Evolution, und es müßte unseren Gegnern endlich klarzumachen sein, daß eine (supernaturalistische) Theorie nicht infolge der Schwächung einer bzw. möglichst vieler (naturalistischer) Konkurrenten an Plausibilität gewinnt, wie die sattsam bekannte "Lückenbüßer-Theologie" sich das einbildet. Bereits Popper (1984, S. 434) hatte darauf hingewiesen, daß an die Stelle jeder widerlegten Hypothese (oder ausstehenden Erklärung) prinzipiell unendlich viele Alternativhypothesen treten können, so daß eine supernaturalistische Alternative um nichts wahrscheinlicher würde.

Es genügt also nicht, einfach nur die nachgewießenermaßen logisch fehlerhafte Design-Analogie mit offenen Fragen der Evolution zu kombinieren, um die ID-Lehre als ernsthafte, wissenschaftliche und empirisch wohlfundierte These ins Gespräch zu bringen (s. Neukamm 2004 b). Um dies zu bewerkstelligen, müßte vielmehr ihr Erklärungs(mehr)wert, ihre Konsistenz, heuristische Kraft und enge Beziehung mit anderen Wissenschaftsbereichen aufgezeigt werden. Und wenn man den Behauptungen unseres Kritikers glauben schenken mag, ist es auch ein leichtes, diese Anforderungen zu erfüllen und diejenigen Fragen, die in der Evolutionsforschung bislang erst bruchstückhaft beantwortet wurden, im Rahmen der Theorie vom Intelligent Design zu beantworten. Folglich müßte es möglich sein, die Evolutionsbiologen allein dadurch zum Verstummen zu bringen, indem man uns eine Kostprobe von der Überlegenheit der ID-Lehre zuteil werden läßt.

Tatsächlich heißt es auf Lönnigs Homepage ganz unbescheiden: "zahlreiche Phänomene, die von der Synthetischen Evolutionstheorie nur unzureichend oder überhaupt nicht erklärt werden können, werden mit der Intelligent-Design-Theorie jetzt erst intellektuell zureichend und sogar völlig befriedigend erklärt". (44) Nehmen wir diese Behauptung ernst und prüfen, was von ihr zu halten ist: Mit Blick auf die Entstehung der Blütenstrukturen der Orchideengattungen Coryanthes und Catasetum wird uns auf der Homepage unseres Gegners eine Kette von Fragen gestellt, denn (man hält es kaum für möglich) "grundsätzlich" will sich auch unser Gegner "von der Richtigkeit der Evolutionstheorie überzeugen lassen". (45) Einige der dort erhobenen Fragen lauten wie folgt:


1.) Wie viele und welche morphologisch-anatomischen und physiologischen Schritte waren für die Bildung der jeweils neuen Strukturen und Anordnungen zur Entwicklung von Coryanthes und Catasetum erforderlich? 2.) Durch welche genetischen Ursachen wurden die angenommenen vielen kleinen (oder wenigen großen?) Schritte bewirkt? Können die uns bekannten Zufallsmutationen tatsächlich eine wissenschaftlich ausreichende Erklärung für die Entstehung dieser synorganisierten Strukturen bieten? ... 3.) Welche Selektionsvorteile hatten die einzelnen Schritte sowohl auf morphologisch-anatomischer als auch auf genetischer Ebene im Vergleich zu den jeweiligen Ausgangsformen bzw. den ursprünglichen Wildtypgenen ("Vorstufen")? 4.) Wie sehen die experimentellen Beweise für die Richtigkeit der neodarwinistischen Behauptungen aus?

       

Nun wollen wir hier milde darüber hinwegsehen, daß sich unser Gegner keineswegs mit allgemeinen Erklärungen zufrieden gibt, wie sie die Synthetische Evolutionstheorie - und vor allem die Systemtheorie der Evolution - ja schon verschiedentlich geliefert hat. (Erwähnenswert ist beispielsweise die ausgezeichnete Übersicht von Riedl und Krall (1994), in der stichwortartig für alle wichtigen Hauptfragen und Phänomene, wie z.B. die Mosaikevolution, die Synorganisation, die Stetigkeit von Arten etc. im Rahmen der Systemtheorie allgemeine Erklärungen angeboten werden.) Vielmehr möchte er ausschließlich Spezifika erklärt haben, und um sich grundsätzlich "von der Richtigkeit der Evolutionstheorie überzeugen [zu] lassen", sucht er sich natürlich solche Beispiele heraus, bei denen die historischen Randbedingungen (!) im gegenwärtigen Stadium der Forschung noch nicht hinreichend erhellt werden konnten. Doch auch wir möchten uns "grundsätzlich von der Richtigkeit der ID-Lehre überzeugen lassen", denn gemessen an den vollmundigen Versprechungen muß es jetzt mithilfe der ID-Lehre endlich möglich sein, die Entstehung der Blattstrukturen von Coryanthes und Catasetum oder (um ein anderes Lieblings-Beispiel unseres Kritikers zu wählen) "die Bildung des Wasserschlauchbläschens" der fleischfressenden Pflanze Utricularia jetzt erst "intellektuell zureichend und sogar völlig befriedigend" zu erklären und dabei folgende Fragen zu beantworten:


(1)Wie viele und welche Design-Schritte waren im Einzelnen für die Erschaffung des Wasserschlauchbläschens von Utricularia oder der Blütenstrukturen bei Coryanthes und Catasetum notwendig? (2) Durch welche übernatürlichen Ursachen hat der Designer diese filigranen Einzelheiten hervorgebracht bzw. wie hat der ‚Wissenstransfer' vom Designer zur DNA stattgefunden? (3) Wieviele und welche Designer waren an der Erschaffung des Wasserschlauchbläschens beteiligt? (4) Woher hatte der Designer sein Wissen? (5) Welcher Designer schuf den intelligenten Designer und welcher noch intelligentere Designer hat wiederum diesen Designer hervorgebracht? (6) Welches Argument berechtigt den dogmatischen Abbruch des unendlichen Regresses? (7) Welchen nachprüfbaren (außerweltlichen oder weltimmanenten) Gesetzen unterlag der Designer? (8) Wie läßt sich die Existenz des Designers bzw. dessen Schaffensvorgang (a) empirisch ausmessen, (b) experimentell reproduzieren, (c) prinzipiell falsifizieren?

       

Wer nun die Seiten des Kritikers durchblättert und das Internet nach den Antworten auf die Fragen durchforstet, wird diese zu unserer aller Verstörung jedoch vergebens suchen. Zwar werden auf allen möglichen Seiten die offenen Fragen über die Entwicklung spezieller Arten und Organe in eine "Widerlegung" der Evolutionstheorie und zugleich in eine Stütze der "Intelligent Design-Theorie" umgemünzt. Doch keine einzige Frage wird im Rahmen des Schöpfungsparadigmas halbwegs beantwortet; ja schlimmer noch: Schon die weitaus grundsätzlichere Frage, wie nämlich all diese Fragestellungen (wenn sie schon derzeit nicht beantwortbar sind) wenigstens prinzipiell wissenschaftlich erforschbar bzw. empirisch nachweisbar sein sollen, wie eine Wissenschaft vom Übernatürlichen funktionieren, wie sie andere Wissenschaftsbereiche heuristisch befruchten und wie man die postulierten Eingriffe des Designers in ähnlicher Weise ergründen soll, wie wir dies mit den Mechanismen der Evolution unablässig tun, bleibt das Geheimnis des Protagonisten des Intelligent Design. Man muß sich wirklich einmal klarmachen, was hier geschieht:


Von den Mechanismen der Artbildung, deren wissenschaftliche Klärung man noch so eindringlich von der Evolutionsbiologie eingefordert hatte, von denen man regelrecht das "Wohl und Wehe" sowie den wissenschaftlichen Status der Evolutionstheorie abhängig machte und die es eigentlich zu erklären galt - von diesen Mechanismen ist mit einem Mal überhaupt nicht mehr die Rede!

         

Alles, was wir erfahren, ist, daß es irgendein Designer auf irgendeine Weise und aus irgendeinem Grund schon so gerichtet haben wird, wie es ihm gefiel! "Alles, was zählt, ist, dass Er (oder Sie oder Es) das machte. ‚ID funktioniert auf wundersame Weise'. Was für eine bemerkenswert unwissenschaftliche Haltung. Was für ein erstaunlicher Mangel an Neugier über die Welt", schreibt Shermer (2000) und trifft damit den Nagel auf den Kopf. Ein solches "Modell" hat keinerlei Erklärungswert und ist daher kaum "wissenschaftlich" zu nennen - es wird getragen von einem Meer aus Worthülsen, die das intellektuelle Verlangen nach kausalem Begreifen der Entstehungsvorgänge nicht befriedigen, sondern alle offenen Fragen nach den Mechanismen der Artentstehung, die von den Protagonisten der ID-Lehre in ihren Texten zusammengetragen werden, kollektiv in das Mysterium auslagern. Bestenfalls reimt man sich einige "Paleyan Stories" zusammen, die "erklären" sollen, weshalb der Schöpfer bestimmte Strukturen so und nicht anders erschaffen hat, die in Bezug auf ihren Erklärungswert jedoch weit armseliger sind, als die "Darwinian Stories", über die sich unsere Gegner echauffieren, weil letztere bei Kenntnis der notwendigen Randbedingungen durch "echte", mechanismische Erklärungen substituiert werden können und auch vielfach substituiert wurden (s. Mahner und Bunge 2000, S. 344).

Nun verstehen wir auch, weshalb Lönnig darauf angewiesen ist, "95% der mehr als tausend Seiten, ausgedruckt, ... mit naturwissenschaftlichen Argumenten gegen die herrschende Evolutionstheorie" (46) zu vergeuden, anstatt (was für ihn doch weitaus lohnender wäre!) 95% seiner "naturwissenschaftlichen Argumentation" der Erklärungsleistung seiner Schöpfungsthese zu widmen. Damit ist es offensichtlich: die gesamte Evolutionskritik, die "zahlreiche(n) Argumente und Tatsachen" (47), die vorgebliche Bereitschaft zur sachlichen Auseinandersetzung und die Verbalinjurien sind nur ein rhetorisches Stilmittel. Es handelt sich um eine Replik, die offensichtlich der Ohnmacht entspringt, auch nur hoffen zu können, jemals ein prüfbares, kausales, erklärungsmächtiges Schöpfungskonzept oder zumindest eine tragfähige wissenschaftsphilosophische Basis in Händen zu halten, um zu zeigen, wie eine Theorie vom Übernatürlichen die Fragen der Wissenschaft beantworten könnte.

Diese Feststellung ist keineswegs als ein "Tu quoque"-Argument (Retourkutsche) zu verstehen; sie dient nicht dazu, von den offenen Fragen der Evolutionsbiologie abzulenken. Selbstverständlich ist es Lönnig gelungen, zu zeigen, daß zahlreiche Fragen über den Hergang und über die "tieferen" (epigenetischen) Mechanismen der Evolution gegenwärtig noch unbeantwortet bleiben. (Am intensivsten tun das jedoch die Evolutionswissenschaftler, die er zitiert und die ständig um Verbesserung und Vertiefung der Erkenntnisse bemüht sind!) Und natürlich wollen die Biowissenschaftler keineswegs behaupten, dass unser Wissen über die Evolution auch nur annähernd vollständig sei.


Uns geht es nur darum, den Leser vor dem Trugschluß zu warnen, daß die ID-Lehre jemals auch nur ein Jota zur Erhellung wissenschaftlicher bzw. kausaler Fragestellungen beisteuern könnte!

             

Lönnig ist letztlich ebenso darauf angewiesen wie wir, naturalistisch zu arbeiten, wenn er z.B. wissen möchte, wieviele Gene der Mensch besitzt, welche Gene wie miteinander verschaltet sind und welche Regulationsprozesse bei der ontogenetischen Formbildung ablaufen usw. Mit der ID-Lehre hat Lönnig gegenüber den Evolutionsbiologen keinerlei Wissensvorsprung, zumal sie keinen erdenklichen Sachverhalt ausschließt und daher auch keine Erwartungen an die Daten stellt. Der Eingriff eines übernatürlichen Designers kann prinzipiell nie ausgeschlossen (das heißt als ontologisches Prinzip falsifiziert) werden! Daher ist noch einmal in aller Deutlichkeit folgendes festzustellen:

Offene Fragen lassen sich grundsätzlich nur im Rahmen naturalistischer Theorien beantworten, oder gar nicht. Wie wir oben angedeutet haben, ist der Naturalismus natürlich prinzipiell falsifizierbar und daher keinesfalls dogmatisch, doch selbst wenn dessen Unbrauchbarkeit erwiesen wäre, wäre eine supernaturalistische Ontologie um keinen Deut wissenschaftlicher. Dies ist nicht einfach so dahingesagt. Weder ist diese Feststellung Ausdruck eines "materialistischen Denkverbots" noch einer "terroristischen Wissenschaftsauffassung", wie es einem beim Lesen der Lönnigschen Homepage in unsäglich polemischer Art in den Ohren dröhnt. Vielmehr gewährleistet der Naturalismus, daß man überhaupt erst naturwissenschaftlich arbeiten kann! Denn:


Nur aus naturgesetzlich formulierten Aussagen lassen sich ganz spezifische Folgerungen ableiten, die man an der Beobachtung prüfen kann. In einer Schöpfungstheorie werden jedoch Gesetzesaussagen zum Teil durch den freien Willen einer übernatürlichen Wesenheit ersetzt, über den sich beliebig spekulieren läßt, da sich für dessen Wirken keine notwendige gesetzesmäßige Grenze angeben läßt! Überhaupt jeder nur denkbare empirische Effekt könnte der freien Entschlußkraft eines Schöpfers entsprungen sein, und es ist nicht mehr logisch entscheidbar, welche Beobachtungen die Schöpfungsthese bestätigen oder deren Revision notwendig machten.

Wenn wir also das Übernatürliche als Erklärung zuließen, könnten wir die Naturwissenschaften, deren Ziel darin besteht, für alles bislang Unverstandene differenzierte, rational begreifbare, kausale Erklärungen zu finden, abschreiben. Um dies noch einmal in Mahners Worten auszudrücken: "Der Naturalismus ist keine beliebige Setzung, sondern er wird gleichsam von deren methodologischen Prinzipien erzwungen. Wissenschaftliche Hypothesen und Theorien sollen z.B. überprüfbar sein. Überprüfbar ist aber nur das, mit dem wir wenigstens indirekt interagieren können, und das, was sich gesetzmäßig verhält. Übernatürliche Wesenheiten entziehen sich hingegen per definitionem unserem Zugriff und sind auch nicht an (zumindest weltliche) Gesetzmäßigkeiten gebunden. Wissenschaftliche Theorien sollen ferner Erklärungskraft besitzen, d.h., sie sollen nicht alles erklären können, sondern nur genau, das, was erklärt werden soll. Mit anderen Worten: Nur das, was differenziert erklärt, hat Erklärungskraft. Übernatürliche Wesenheiten (...) kann man jedoch im Prinzip zur Erklärung von allem und jedem heranziehen." (Mahner 2002 b, S. 138).

In diesem Sinne ist der ontologische Naturalismus und Materialismus also ein methodologisch erzwungenes "Sparprinzip" und keine Ideologie, denn er läßt im wahrsten Sinne des Wortes nur empirisch naheliegende (weltimmanente) Prinzipien gelten und behauptet nicht mehr, als für das Verständnis der Welt und des Gesetzesnetzes der Natur unbedingt erforderlich sind (Kanitscheider 2000). Wer dies anders beurteilt und den Naturalismus oder Materialismus mit rationalen Argumenten infragestellen möchte, sollte erst eine erklärungsmächtigere Ontologie konzipieren, anstatt die ontologische Basis der Naturwissenschaften unablässig zur "Zufallsreligion" (48) und dgl. herabzustufen. Der Rückgriff auf solche Polemiken ist nur ein Beleg für das Fehlen sachlicher Argumente.

Fassen wir das Gesagte abschließend wie folgt zusammen: Die (naturalistische) Erforschung eines transnaturalen Wirkprinzips ist ein widersprüchliches Unterfangen. Beobachtungen können nur im Lichte einer naturalistischen Theorie Evidenz erlangen, und auch offene Fragen lassen sich (wenn überhaupt) nur im Rahmen naturalistischer Theorien verfolgen. Die für eine Erklärung fehlenden Randbedingungen lassen sich grundsätzlich erforschen, der Ratschluß eines außerweltlichen "Designers" nicht. Während die Evolutionsbiologie sowohl über Evidenzen für die Abstammungstheorie als auch über einen allgemeinen (wenn auch unvollständigen) mechanismischen Erklärungsrahmen verfügt, wird die ID-Lehre nie etwas Vergleichbares haben. Sie steht mit dem Rücken zur Wand und muß versuchen, wertlose weil fehlerhafte Analogien (s. Neukamm 2004a) als "Evidenzen" auszugeben, gleichzeitig aber die Belege der Evolutionsbiologie sowie die Wissensprogression, die seit Darwin in der Mechanismenfrage stattgefunden hat, zu ignorieren. Unter Ausnutzung bestehender Wissenslücken wird dann der falsche Eindruck vermittelt, als blieben der Evolutionsbiologie nur offene Fragen. Nichts wäre einfacher, als die Umkehrung dieser Argumentation. Die ID-Lehre löst keines der Probleme, die sie zu lösen vorgibt, da sie weder differenzierte Erklärungen liefert, noch einen kausalen Rahmen umspannt, um die Natur und den Schaffensvorgang ihres Designers zu beschreiben. Sie ist wissenschaftlich wertlos und alles andere als ein Aufbruch zu neuen Ufern der Erkenntnis (Neukamm 2004a).

___________________________________________

     

(*) Nachtrag, 05.12.10

Seit einigen Monaten kursiert im Internet eine Propangandaschrift des religiösen Eiferers W.-E. Lönnig mit dem Titel "Die Affäre Max Planck, die es nie gegeben hat" (2 Teile), die man kaum als etwas anderes als ein Verlegenheitsmanöver interpretieren kann. Denn beschämenderweise geht Lönnig darin auf die kardinalen Anklagepunkte gar nicht ein - seine Diskussion endet präzise an dem Punkt, an dem seine Methodologie ins Fadenkreuz wissenschaftlicher Analyse gerät. Das heißt, alles was ab Kapitel 3 ("Die Lönnigsche Methodologie") bzw. zwischen den Seiten 236 und 271 im Buch "Kreationismus in Deutschland" (U. Kutschera, 2007, Hg.) besprochen und analysiert wird (vgl. http://ag-evolutionsbiologie.de/app/download/3828704602/Max-Planck(Buchfassung).pdf), kehrt Lönnig nonchalant, und in der Hoffnung, es möge keiner seiner Leser bemerken, unter den Teppich. Selbst der 2. Teil der Erwiderung, der Monate zuvor als "Fortsetzung der Diskussion" angekündigt wurde, widmet sich allem möglichen, nur nicht der methodologische Analysen des Beitrags "Wolff-Ekkehard Lönnig und die Affäre Max Planck", um die es doch eigentlich ursprünglich ging. Wenn das kein krudes Ablenkungsmanöver ist, was dann?

Davon abgesehen reibt man sich über die Wahl des Titels ("Die Affäre Max Planck, die es nie gegeben hat") verwundert die Augen. Was lesen wir bei Wikipedia (Eintrag vom 05.12.10) über die Bedeutung des Begriffs Affäre? "Der Begriff Affäre bezeichnet eine unangenehme, dunkle, peinliche oder skandalöse Angelegenheit..., einen Skandal in Politik und Wirtschaft..., oder aber ein sexuelles 'Liebesabenteuer', das oftmals zeitgleich zu einer bestehenden Partnerschaft stattfindet" (http://de.wikipedia.org/wiki/Aff%C3%A4re). Ungeachtet der platonischen Liebesabenteuer, die sich zwischen Lönnig und Jehova auf fiktiver Ebene abspielen mögen (oder auch nicht), war die Angelegenheit für Lönnigs Arbeitgeber so abgrundtief unangenehm und peinlich, dass das Direktorium des Kölner MPIZ die Instituts-Website des religiösen Fanatikers nach 3-stündiger Krisensitzung "massiv entrümpelte", und zwar kurz nachdem die Vorkommnisse dank der renommierten Wissenschaftszeitschrift Nature der Weltöffentlichkeit bekannt wurden (vgl. hierzu die erhellende Reportage von Urs Willmann: http://www.zeit.de/2003/19/Kreationisten). Die Angelegenheit war den Direktoren des Max-Planck-Instituts sogar so peinlich, dass sie sich noch Jahre später in der Zeitschrift Laborjournal (6/2006) zu der Feststellung genötigt sahen, man distanziere sich in aller Klarheit von Lönnigs Weltanschauung namens "Intelligent Design". Wenn das keine Affäre in der ureigensten Bedeutung dieses Wortes ist, was dann? Einmal ganz zu schweigen davon, dass die übrige "scientific community" die Versuche, Intelligent Design mithilfe des Renommees eines Max-Planck-Instituts wissenschaftlich abzusichern, tatsächlich als einen Skandal, als einen dreisten Indokrinationsversuch betrachtete, sonst hätte es die Affäre nicht bis in die Wissenschaftszeitschrift Nature geschafft.

     

    GOWEBCounter by INLINE                                        


Nächstes Kapitel          Vorheriges Kapitel          Übergeordnetes Inhaltsverzeichnis          Homepage