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Neukamm, M.; Beyer, A. (2005):

Wolf-Ekkehard Lönnig und die Affäre Max Planck (*)

Über die fragwürdigen Diskursmethoden eines Evolutionsgegners

                      

5. Über den Gebrauch rhetorischer Stilmittel und logischer Fehlschlüsse

5.1. Falschbehauptungen und der Fehlschluß des argumentum ad verecundiam

Die wissenschaftstheoretischen Probleme von Schöpfungstheorien, die wir soeben erörtert haben, wurden von uns in zahlreichen Artikeln und Büchern dargelegt (s. z.B. Mahner 1986; Hemminger 1988; Mahner 1989; Neukamm 2000; Kotthaus 2003; Mahner 2003; Kutschera 2004; Beyer 2004; Neukamm 2004a, 2004b usw.). Zahlreiche Argumente liegen seit Jahren und Jahrzehnten (einige sogar seit Jahrhunderten) auf dem Tisch. Um so mehr hat uns die Dreistigkeit überrascht, mit der in aller Öffentlichkeit das glatte Gegenteil verbreitet und behauptet wird, wir Kritiker hätten kein einziges wissenschaftliches Argument gegen seine evolutionskritischen Texte parat: "Also, was jetzt zum Beispiel diese Internetseite betrifft - das hatten Sie ja angesprochen: Es kam von den Protagonisten dieser Kampagne gegen meine Homepage nicht ein einziges naturwissenschaftliches Argument. Und das ist ja geradezu typisch [da-]für - Sie können das nachlesen auf meiner Homepage, auf meiner privaten Homepage jetzt, in allen Einzelheiten: alle Argumente hab' ich aufgeführt, sowohl von Herrn Kutschera als auch von Herrn Hölldobler: Es kamen keine naturwissenschaftlichen Argumente. Und es ist wohl..., es wird einmal in die Geschichte der Naturwissenschaft als ein erstaunliches Kapitel wohl eingehen, dass argumentationslos, dass diese Hunderte von Seiten naturwissenschaftlicher Argumente, ohne Argumente, Gegenargumente, abgeschaltet worden sind, vorübergehend zumindest." (49)

Das ist nun wirklich starker Tobak. Anstatt unsere Texte sorgfältig zu lesen und die dort erhobenen Argumente Punkt für Punkt zu widerlegen, wird einfach behauptet, es gäbe sie nicht! Selbst diejenigen Beiträge, die im Forum des VdBiol eingereicht und dort veröffentlicht wurden, hatte Lönnig wenn nicht vollständig, so doch zumindest in den relevanten Bereichen ignoriert - und das, obwohl er selbst mit einigen Artikeln zur Diskussion beitrug und daher sicher über unsere Kritik im Bilde war! Hier handelt es sich also um eine krude Falschbehauptung, die als rhetorisch-demagogisches Stilmittel verwendet wird: Lönnig tut so, als wären seine Argumente bislang unerwidert geblieben, um seine Gegner coram publico bloßzustellen.

Nun soll hier keineswegs der Eindruck entstehen, Lönnig habe sich grundsätzlich jeder Diskussion verweigert. Tatsächlich hat er sich an mehreren Stellen auf seiner Homepage an einer wissenschaftstheoretischen Diskussion versucht. Ein Text widmet sich beispielsweise der Falsifikationsfrage (50), in einem anderen Beitrag wird die Synthetische Evolutionstheorie mit der ID-Lehre methodologisch verglichen (51), an anderer Stelle versucht sich Lönnig wiederum an der Natur der "wissenschaftlichen Beweisführung", (52) und im Rahmen einer Diskussion versucht er, die Argumente eines unter dem Pseudonym "Prof. D." geführten Wissenschaftlers (der sich dankenswerterweise der Mühe unterzogen hat, zu erörtern, was aus wissenschaftlicher Sicht von Lönnigs Büchern zu halten ist) gegen die Wissenschaftlichkeit von Schöpfungstheorien zu entkräften. (53) Das Ergebnis ist jedoch ernüchternd: Wie erörtert, wurde Poppers Falsifikationismus z.T. erheblich verzerrt und die ID-Lehre mittels fehlerhafter Analogien begründet. Ferner sind die "Falsifikationskriterien" der ID-Lehre insofern keine, als eine These, die supernaturalistische Ursachen postuliert, grundsätzlich alles und daher gar nichts erklärt, und wie gezeigt wurde die Natur der "wissenschaftlichen Beweisführung" von Lönnig schlichtweg nicht durchdacht.

Anstatt nun solche Einwände auf der Basis einer schlüssigen Argumentation zu entkräften, beruft sich Lönnig oft auf Menschen, die seine Meinungen teilen - einen Fehlschluß, den man als "argumentum ad verecundiam" (oder als "Autoritätsbeweis") bezeichnet. Zwar ist es in der Wissenschaft üblich, Behauptungen durch Zitate und Querverweise abzusichern. Der Verweis auf Wissenschaftler, kann jedoch nicht als Ersatz für eine Begründung dienen oder um die Glaubwürdigkeit ungewöhnlicher Ansichten unter Verweis auf die Meriten bestimmter Personen zu erhöhen, die derselben Auffassung sind. Wenn sich Lönnig mit Blick auf die wissenschaftliche "Beweisführung" etwa darauf beruft, daß sich "in einer der jüngsten großen naturwissenschaftlichen Kontroversen (...) bei aller Erbitterung und Härte der Auseinandersetzungen alle beteiligten Naturforscher, Ärzte und Laien" darin einig gewesen seien, daß nur beobachtbare, wiederholbare Prozesse "wissenschaftlich" akzeptabel seien (54), besagt dies nicht viel, denn "die Folgerichtigkeit eines Arguments ist nicht von der oder den Personen abhängig, die es vertritt oder vertreten" (Mahner 1986, S. 80 f.).

Wie wir gezeigt haben, ist Lönnigs empiristische Wissenschaftsauffassung in der Tat keineswegs schlüssig (wobei auch niemand so recht weiß, von welcher "großen naturwissenschaftlichen Kontroverse" überhaupt die Rede ist). Obwohl Experimentalphysiker etwas andere Maßstäbe an die Wissenschaft anlegen, als Biologen, Astronomen oder Kosmologen, wurde in der Wissenschaftsphilosophie eingehend begründet, weshalb es auch von nicht direkt beobachtbaren und/oder nicht reproduzierbaren bzw. historischen Prozessen eine Naturwissenschaft geben kann (so z.B. Vollmer 1986; Mahner und Bunge 2000). Um das Argument zu entkräften, bedarf es einer wissenschaftslogischen Begründung und keiner Anbiederung an Autoritäten - selbst dann nicht, wenn sie zu den "größten Biologie-Theoretikern des 20. Jahrhunderts" (55) gehören mögen, zu den "größten Morphologen aller Zeiten" (56) oder zu einer "Reihe von ausgezeichneten Naturwissenschaftlern (...) die die hier vertretene Meinung in allen wesentlichen Punkten unterschreiben". Gerade "der üppige Verweis auf Titel und Meriten ist ein beliebtes Mittel in der pseudowissenschaftliche Literatur, sich Begründungen zu ersparen" (Mahner 1986, a.a.O.).


Die zuletzt genannte Aussage stammt aus einem älteren Text von Lönnig (1975: "Archaeopteryx - Paradigma evolutionistischer Fehlinterpretation", S. 110), wobei Mahner nachweist, daß sich unter den "ausgezeichneten Naturwissenschaftlern" [Lönnig meint damit die "mehr als 400 Naturwissenschaftler ... der Creation Research Society"] Biologen nur in verschwindend geringer Zahl befanden und daß kein einziger zum Thema "Archaeopteryx" und/oder Kreationismus jemals einen Artikel in einer anerkannten Fachzeitschrift veröffentlicht hatte. Da also niemand in der "ausgezeichneten" Gesellschaft etwas Originäres zum Thema beizutragen hatte, handelte es sich hier um ein klassisches "argumentum ad verecundiam" (Mahner 1986, a.a.O.)

         

Einer ähnlichen Strategie bedient sich Lönnig gegen "Prof. D.", der in seiner Buchrezension in bemerkenswerter Klarheit erörtert, weshalb Theorien, die übernatürliche Wirkursachen postulieren, nicht wissenschaftlich sein können. "Prof. D." schreibt: "Wäre das [Übernatürliche] nämlich eine wiss. legitime Frage, würde sich die Sinnhaftigkeit der Wissenschaft dadurch von selbst aufheben, denn es gäbe dann keine Grenze zwischen Willkür, Phantasterei, Scharlatanerie, subjektiver Spekulation und Einbildung auf der einen und rationaler, intersubjektiver Wissenschaft auf der anderen Seite. Wenn ich als Lösung von Problemen grundsätzlich einen deus ex machina als mögliche Erklärung akzeptiere, kann ich nicht mehr vernünftig Wissenschaft betreiben. Es gäbe dann ja keine wissenschaftlichen Probleme mehr, wenn ich überall das Eingreifen des Irrationalen zulassen könnte. Wenn die Zuhilfenahme einer in die Welt eingreifenden ‚Intelligenz', einer "intelligente Quelle", eines intelligenten Konstrukteurs u. dgl. erlaubt wäre, fiele die ganze Wissenschaft in sich zusammen. (Eine philosophisch mögliche Position, der der Autor [Lönnig] aber nicht zustimmen kann, weil er damit konsequenterweise seine Eigenschaft als Wissenschaftler, also seinen Beruf aufgeben müsste.)" (ebd.)

Um diese schlüssige Begründung zu "widerlegen", verweist Lönnig nicht etwa auf erkenntnistheoretische oder logisch- wissenschaftstheoretische Aspekte, sondern schlicht auf die "Tatsache, dass fast ‚alle Begründer der modernen Biologie, wie Linné, Cuvier, von Baer, Pasteur, Johannes Müller, Agassiz, und viele andere" Wissenschaftler "mit der Erkenntnis des Geistigen als Ursache für den Ursprung der Organismenwelt bzw. mit einem intelligenten Konstrukteur gerechnet haben." (ebd). Doch auch hier besagt der Umstand, daß zahlreiche Wissenschaftler (darunter auch viele Evolutionsbiologen!) an einen Schöpfer glaubten und glauben, nichts, wenn es darum geht, das Argument zu widerlegen, daß die Einführung des Übernatürlichen zur Erklärung bestimmter Phänomene die "Sinnhaftigkeit der Wissenschaft" aufheben würde. Andernfalls könnten wir zum mystischen Weltbild des Mittelalters zurückkehren, alles bislang in den Naturwissenschaften Erreichte durch die "Allerklärung" vom "göttlichen Ratschluß" ersetzen und wären bequem und mit einen Schlag alle wissenschaftlichen Probleme los. (Allerdings auch das rationale Begreifen der Welt).

Der Fall liegt etwa so wie der von Wissenschaftlern, die an die Macht abergläubischer Rituale, an die Astrologie oder an die Homöopathie glauben. Die Tatsache, daß diverse Naturwissenschaftler von "paranormalen" Einflüssen überzeugt sind oder waren und diesen Glauben als "heuristische Arbeitsgrundlage" betrachteten, macht das Okkulte nicht schon wissenschaftlich relevant! Denn würde solch ein Wissenschaftler den Glauben an das Paranormale mit der Wissenschaft vermischen - genauer: sich auf das Übersinnliche als Gegenstand wissenschaftlicher Theorien berufen, verfiele er, um mit v. Ditfurth (1987, S. 199) zu sprechen, "ideologischem Denken" und würde zur Erklärung nichts mehr beitragen.

      

5.2. Der Einsatz aggressiver Vereinnahmungsstrategien

5.2.1. Nobelpreisträger pro Intelligent Design und der genetische Fehlschluß

Interessanterweise hat Lönnig, ganz dem Autoritätsbeweis zugeneigt, kürzlich einen Text nachgeschoben, in dem er "Nobelpreisträger pro Intelligent Design" Stellung beziehen läßt. Darin heißt es: "Die meisten dieser Naturwissenschaftler haben diese 'private Einstellung' selbst öffentlich genannt, und haben das in vielen Fällen sogar wiederholt getan (...) Viele Forscher haben klar zu verstehen gegeben, dass sie aus ihrer religiösen Grundhaltung sowohl die Motivation als auch Kraft für ihre Forschung erhalten haben (...) Zahlreiche Forschungsprogramme resultieren direkt aus religiösen Grundfragen und die Laureaten geben mit den Ergebnissen ihrer Forschung häufig eine zumindest indirekte Antwort auf diese Probleme (...) 4. Kann man über die ID-Relevanz der einen oder anderen Arbeit, die sich indirekt mit ID-Fragen beschäftigt, vielleicht noch streiten, so besteht doch kein Zweifel darüber, dass Eccles, Millikan, Planck, Wald, Spemann und andere im Rahmen ihrer naturwissenschaftlichen Arbeit, entweder in Vorträgen vor naturwissenschaftlichen Gesellschaften und/oder in naturwissenschaftlichen Publikationen ihre 'philosophisch'-antimaterialistische Argumentation direkt und deutlich zum Ausdruck gebracht haben." (57)


Es entbehrt übrigens nicht einer gewissen Komik, daß ausgerechnet Lönnig gegen die Vertreter der Synthetischen Evolutionstheorie den Vorwurf erhebt, nach der Methode des "Autoritätsbeweises" zu argumentieren - noch dazu in einem Text, in dem er den Autoritätsbeweis über Dutzende von Seiten förmlich zur Perfektion gebracht hat! (Der Vorwurf wird hier übrigens völlig zu unrecht retourniert. Wenn etwa behauptet wird, "alle vernünftigen Biologen akzeptieren die Synthetische Evolutionstheorie", wird die Aussage ja nicht einfach in den Raum gestellt, sondern - in der Regel zumindest - schlüssig begründet, weshalb die Fachwelt keine vernünftigen Zweifel am Sachverhalt der Deszendenz bestehen läßt.)

                  

Lönnigs Ausführungen ziehen sich über Dutzende von Seiten hin, wobei er gar nicht verstanden zu haben scheint, auf welch krasse Weise er das Thema verfehlt. Hier wird offenbar nach der alten Strohmann-Taktik verfahren, wonach die Religiosität eines Wissenschaftlers als Antithese zur naturalistischen Erklärungsweise der Evolutionsbiologie ausgelegt wird. Hier wird nur geflissentlich übersehen, daß man in der Evolutionsbiologie nicht seltener als anderswo auf religiöse Überzeugungen trifft und daß umgekehrt die religiösen Wissenschaftler anderer Wissenschaftsbereiche ebenso an naturalistischen Erklärungen interessiert sind, wie die Evolutionsbiologen! Wenn also Lönnig religiöse Wissenschaftler als Apologeten des "Intelligent Design" anführt, vergleicht er schlicht Äpfel mit Birnen, denn es ist bei all den von ihm genannten Nobelpreisträgern offensichtlich kein einziger darunter, der auf Übernatürliches als Erklärungsgrund im Rahmen seiner Theorie verweist, so daß in deren Arbeiten nicht der Schatten einer Absage an die methodologischen Prinzipien enthalten ist, die auf dem Naturalismus und Materialismus fußen!

Allgemein entspricht die theologische Orientierung der Nobelpreisträger eher dem sogenannten Deismus oder Pantheismus. Damit sind religiöse Positionen gemeint, wonach das naturalistische Weltgeschehen als "Zeichen göttlicher Fügung" interpretiert wird. Anstatt also mit naturalistischen Erklärungen zu konkurrieren und einen Teil des Weltwerdeprozesses in eine transzendente "Sonderwirklichkeit" auszulagern, wird Schöpfung als immanente (naturalistisch beschreibbare) Entwicklung begriffen. Die Vertreter der Lehre vom "Intelligent Design" argumentieren in dieser Hinsicht genau umgekehrt, denn sie begnügen sich nicht damit, in weltimmanenten Prozessen die "Spuren des Designers" zu "lesen", sondern greifen mit Blick auf die Frage der Artentstehung auf ein nicht empirisch erfaßbares "Agens" zurück und setzen es an die Stelle natürlicher Ursachen. (Genauso gut könnte man eine geheimnisvolle "Entelechie", einen Dämon oder sonst eine paranormale Kraft postulieren; das alles hat es ja im Mittelalter schon reichlich gegeben).

Kurzum: Die Protagonisten der ID-Lehre vertreten eine fundamentalistisch verengte Theologie, wonach der Schöpfungsvorgang mit Blick auf die Frage der Artentstehung nur als empirisch nicht zu klärende "Prozeßwirklichkeit" verstanden werden kann und darf! Die Lehre konfligiert somit automatisch mit den modernen Naturwissenschaften und ihren Erklärungsprinzipien und driftet in den Wissenschaftsrevisionismus und Fundamentalismus ab. Die Charakterisierung der ID-Lehre als "Kreationismus (sensu lato)" scheint daher legitim, denn sie hat mit der Methodologie der von Lönnig zitieren Wissenschaftler und Nobelpreisträger nur noch sehr wenig gemein.

Wo, so muß gefragt werden, befindet sich denn in den Keplerschen Planetengesetzen oder in der Newtonschen Mechanik die transnaturale Komponente, mit der das Weltgeschehen beeinflußt wird? Wo befindet sich in Heisenbergs Matrizenmechanik der formale Platzhalter, der auf die "göttliche Fügung" im mikrokosmischen Weltgeschehen bezug nimmt? An welcher Stelle verbirgt sich in Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie die supernaturalistische Bezugsgröße zur Erklärung der Raumzeit-Geometrie? Wo verbirgt sich in Spemanns entwicklungsbiologischer "Entstehungstheorie" der Eingriff des "göttlichen Designers", der anstelle physicochemischer, rein materialistischer Vorgänge und natürlich erklärbarer Regulationsvorgänge die Morphogenese steuert? Wo befindet sich in v. Frischs Theorien der "Designer", der anstelle einer evolutionären eine göttliche Entstehung des Lebens und deren Verhaltensweisen als Erklärungsgrund vorsieht? An welcher Stelle ersetzen Anfinisen und Arber die "totalitär-materialistischen" Vorstellungen über den Verlauf und die Kinetik enzymatischer Reaktionen durch den Eingriff und Ratschluß allwissender Götter oder immaterieller Essenzen? An welcher Stelle hat Eccles (als Nichtmaterialist und "psychophysischer Dualist") die bei der Entstehung des Bewußtseins beteiligten, neurobiologisch-materialistischen Prozesse durch ein "immaterielles Agens" ersetzt? Und wo befindet sich in der Schrödinger-Gleichung oder in der "nichtlokalen" Bohmschen Mechanik die Variable, mit der "Gott würfelt" oder es (nach Bohm) nicht tut?

Bunge und Mahner (2004, S. 225) bemerken hierzu: "weder in Maxwells Theorie noch in anderen wissenschaftlichen Theorien ist so etwas zu finden. Warum? Weil selbst religiös gläubige Wissenschaftler offenbar wissen, (a) dass die Wissenschaft naturalistisch ist, (b) dass in einer supernaturalistischen Ontologie Beliebiges möglich ist und (c) dass sie deshalb ihren Glauben lieber aus der Wissenschaft heraus halten. Die Tatsache, dass in der Biologie sehr lange kreationistische, teleologische und vitalistische Vorstellungen eine Rolle gespielt haben, kann kein Einwand gegen diese Thesen sein, denn solche nichtnaturalistischen bzw. nichtmaterialistischen Komponenten wurden sukzessive aus ihr entfernt." Planck, Heisenberg und alle anderen Nobelpreisträger stehen daher eher in der theologischen Tradition eines Dobzhansky oder v. Ditfurths, aber ganz gewiß nicht in der eines Lönnig oder Dembski! Keiner von ihnen ist derart wissenschaftsrevisionistisch bzw. antievolutionistisch in Erscheinung getreten, wie die Vertreter der ID-Lehre dies tun!


Und hätten sie nicht ausschließlich naturgesetzlich beschreibbare Sachverhalte in wissenschaftlichen Erklärungen akzeptiert, wären sie unweigerlich gescheitert. Für eine Theorie, die sich auf ein "übernatürliches Etwas" beruft, gibt es keinen Nobelpreis!

   

Einen besonders krassen Fall von Vereinnahmung liefert Lönnig, indem er nicht davor zurückschreckt, selbst Einstein (als Pantheist) und sogar Karl von Frisch (ein bekannter Ethologe, Bienenforscher und Evolutionsvertreter!) vor den Karren des "Intelligent Design" zu spannen; ein Akt, dessen Kühnheit ihm zu einem Kalauer geradezu bombastischen Ausmaßes gerät.


Was von Einsteins Religiosität zu halten ist, machen folgende Aussagen deutlich. Einstein schrieb: (1) "Ich glaube an Spinozas Gott, der sich in der gesetzlichen Harmonie des Seienden offenbart, nicht an einen Gott, der sich mit Schicksalen und Handlungen der Menschen abgibt." Und ferner: (2) "Wir Spinoza-Anhänger sehen unseren Gott in der wunderbaren Ordnung und Gesetzlichkeit des Seienden und in der Beseeltheit des Seienden, wie es sich für uns bei Menschen und Tieren offenbart." Quellen: (1) Carl Seelig (1960): Albert Einstein. Leben und Werk eines Genies unserer Zeit. Zürich, S. 258; hier wurde das wichtige Adjektiv "gesetzlich" zu "Harmonie des Seienden" irrtümlich weggelassen; (2) Brief von Albert Einstein an Eduard Büsching (Karl Eddi), 25. Oktober 1929. Einstein war also ein Vertreter des Pantheismus (der - gelegentlich mit Schopenhauer als "frommer Atheismus" paraphrasiert - einfach nur die Naturgesetze "verherrlicht") und würde eine Instrumentalisierung im Namen von ID mit Sicherheit brüsk von sich weisen!

                      

Man gewinnt hier wirklich den Eindruck, als würde jede nur erdenkliche Position unter das Schlagwort "ID" subsumiert, solange sich einige aus dem Kontext gerissene Worte irgendwie mit "dem Göttlichen" in Verbindung bringen lassen. Man darf also gespannt sein, ob Lönnig bald auch noch Dobzhansky, v. Ditfurth oder Hemminger als Apologeten des "Intelligent Design" anführt. Es darf angenommen werden, daß sie die Subsumption unter den gewaltsam aufgeweiteten ID-Begriff nicht entschiedener von sich weisen würden, als Einstein, Heisenberg oder Planck.

Im übrigen läßt sich aus der Tatsache, daß bestimmte Aspekte des Christentums, wie etwa die rationale Diskurstradition, die Entstehung der modernen Naturwissenschaften befördert haben, nicht auf eine Wissenschaftlichkeit von Religion schließen (Mahner, pers. comm.). Dies liegt eben daran, daß die methodologischen Prinzipien der Wissenschaft nicht auf einer supernaturalistischen Ontologie basieren, sondern eben auf der Grundlage des Naturalismus stehen. Daher beruht Lönnigs Argumentation auch auf dem sogenannten "genetischen Fehlschluß". Dies alles wurde nun schon über Jahre und Jahrzehnte erläutert, so daß sich konstatieren läßt, daß Lönnig nicht wirklich die Argumente seiner Gegner berücksichtigt. Wenn man hartnäckig insistiert und ihn "zwingt", zu den wissenschaftstheoretischen Problemen von Schöpfungstheorien Stellung zu beziehen, scheint der vielbeschäftigte Wissenschaftler sehr häufig gerade "wenig Zeit" zu haben. Diese Erfahrung machte ein Biologielehrer, der sich der Mühe unterzog, über einen längeren Zeitraum mit Lönnig zu diskutieren.

5.2.2. Das "argumentum ad hominem" und der naturalistische Fehlschluß

Merkwürdigerweise hinderte der Zeitmangel Lönnig bislang kaum daran, zahlreiche Pamphlete mit jeweils mehreren Dutzend Seiten über die "Widerlegung" der Evolutionstheorie auf seine Homepage zu stellen und darin seine Widersacher mit äußerster verbaler Härte anzugehen. So werden Lönnigs Gegner mit Ideologie-Anfeindungen konfrontiert und mit Kraftausdrücken belegt, in denen er die redlichen Absichten der Evolutionsbiologen schlicht negiert. Bombastische und zum Teil extrem abwertende Adjektive wie "totalitär", "totalitär-dogmatisch", "very simple minded neo-Darwinian" (58) oder "terroristische Wissenschaftsauffassung", findet man immer wieder in allen möglichen Texten (s. Kapitel 1). Darin werden Evolutionsbiologen als Verhinderer "einfachster Tatbestände" (59), als Blockierer "eines ganzen empirischen Wissenschaftszweiges" (60) hingestellt, deren Fakten über weite Bereiche "erdichtet oder glatt erlogen" (61) seien.


Falls sich der Leser selbst ein Bild darüber machen möchte, wessen Behauptungen und Unterstellungen auf Dichtung beruhen, möge er folgende Arbeit gründlich studieren: Neukamm (2003); insbesondere Abschnitt 2 (Behauptung Nr. 6) sowie die in Nachtrag G besprochene "Ausweichtaktik".

         

Eine solch haarsträubende Rhetorik verrät jedoch mehr über die mentale Verfassung derer, die sich ihrer bedienen, als über den reellen Zustand der Evolutionsbiologie. Es scheint fast so, als müsse der ohnmächtigen Wut darüber, daß sich die Wissenschaft nicht dazu bereit erklärt, die Flucht ins Mysterium anzutreten, ein Ventil geschaffen und der Mangel an schlüssigen Argumenten mithilfe verächtlicher Tiraden ausgeglichen werden. Auf diese Weise wird der Eindruck erweckt, als handele es sich bei den Evolutionsbiologen um unmoralische Subjekte, womit emotionale Ablehnung gegen das evolutionäre Weltbild der Naturwissenschaft geschürt wird.

Eine solche Vorgehensweise wird als argumentum ad hominem (oder: Diffamierungskritik) bezeichnet. Unter dem logischem Aspekt betrachtet, handelt es sich um einen Fehlschluß, denn die Richtigkeit einer Theorie und die Folgerichtigkeit einer Argumentation hängen nicht davon ab, was deren Vertreter denken oder glauben, ob sie moralisch integer sind oder nicht und auch nicht davon, welche Verbrechen im Namen jener Regime begangen wurden, in die sie eingebunden sind oder waren. Keinesfalls sind die ethischen Verfehlungen einzelner Wissenschaftler (wie z.B. dem Stalinisten Lyssenko) oder ganzer Regime "der Evolutionsbiologie" anzulasten, die ja als Wissenschaft grundsätzlich wertneutral ist. Diese Differenzierung wird von Lönnig kaum vorgenommen; so wird z.B. mit Blick auf den historischen Streit zwischen den Mendelisten und Darwinisten (der weiter unten noch etwas eingehender zu beleuchten sein wird) der Eindruck vermittelt, als seien "die Mendelisten" (welch zweckmäßige Generalisierung!) zu Opfern "des Darwinismus" geworden, (62) womit die Integrität der Evolutionsbiologen erschüttert werden soll, die pauschal als Fälscher und Verhinderer hingestellt werden. Selbst wenn dies alles richtig wäre, wäre damit aber keinesfalls der Darwinismus widerlegt! (Auch dem Evolutionsbiologen liegt es oft auf der Zunge, die Argumente der Evolutionsgegner mit dem Verweis auf deren Religiosität zu entwerten; hier muß der Nachweis der Unwissenschaftlichkeit antievolutionistischer Argumentation jedoch ebenso im Rahmen einer schlüssigen Argumentation geführt werden.)

Ein auch sehr beliebtes, im Kreationismus regelmäßig angeführtes "Argument" nimmt auf die sozialdarwinistische Begründung des Nationalsozialismus bezug. Lönnig paraphrasiert das Argument in perfider Weise, indem er das Darwinistische Verständnis vom Kampf ums Dasein (den übrigens nicht einmal Darwin wörtlich nahm und der heute längst durch den Begriff der "differentiellen Tauglichkeit" ersetzt worden ist), als "direkte(n) Weg zu Hitlers ‚Mein Kampf' mit allen Folgeerscheinungen" (63) bezeichnet. In Anlehnung an diese undifferenziert-törichte Logik könnte man ebenso Jesus und das Christentum als "direkten Weg" in die Inquisition, Kreuzzüge, Hexenverbrennungen, Zwangschristianisierungen, die Unterdrückung und Verfolgung Homosexueller, Atheisten sowie all die anderen Greuel kennzeichnen, die im Namen des Glaubens begangen wurden und z.T. noch heute von vielen Fundamentalisten gutgeheißen werden. Dies gilt um so mehr, als sich, wie Bunge und Mahner (2004, S. 192) betonen, die meisten Krisenherde der Erde aufgrund religiöser Konflikte und nicht aufgrund humanistisch-aufklärerischer Tendenzen herauskristallisieren!

Wie man es auch dreht und wendet: Selbst der Nationalsozialismus beinhaltet kein Argument gegen die Richtigkeit des Darwinismus, und intellektuell seichte Wortkreationen, wie diejenige von der "Leere und Hohlheit einer solchen [evolutionären] Anschauung" (64), von der "albernen Zufallstheorie" (65) oder von der "Urdummheit und Urbrutalität" (ebd) der Selektionstheorie, werfen ein Schlaglicht auf die mangelnde Professionalität und Sachlichkeit, die (insbesondere im Hinblick auf das erschreckend einfältige Zitat des ansonsten geschätzten Umweltforschers Jakob v. Uexküll) eine krasse Kluft zwischen Fachkompetenz und kompetenter Evolutionskritik offenbart. Diese Ausdrücke zeigen, wie vorurteilsbehaftet und emotional aufgeladen sich der Kreationismus der Evolutions-Debatte annimmt, denn sie taugen bestenfalls als rhetorisch-demagogisches Mittel im Kampf gegen die Evolutionstheorie. Appelle an Emotionen sind an Stellen, wo eigentlich Sachargumente angebracht wären, ganz klar ein Merkmal pseudowissenschaftlicher Agitation!


Unter diesem Gesichtspunkt hat A. Locker zweifelsohne ein rhetorisches Meisterwerk geschaffen, dessen antievolutionistische Allegorie in humoristischer wie in propagandistischer Hinsicht bislang unerreicht sein dürfte. Ganz so, als stünde ein Exorzist vor der Aufgabe, den Satan aus der Wissenschaftsgeschichte auszutreiben und einen wahren Augiasstall vom "Unrat" der Evolutionsbiologie zu säubern, schreibt Locker: "Sind die Auswüchse der ‚Evolutions'-Theorie als absolut ungenießbare (Gift der Scheinplausibilität, doch in Wahrheit Unsinn enthaltende) Früchte erkennbar, so kann auch der Stamm schwerlich etwas anderes als Gift mit sich führen, muß also ganz verrottet sein, und es ist an der Zeit, die Axt an ihn zu legen, ehe er in unvermutetem Zusammenbrechen viele, die sich im Schatten des längst morsch gewordenen Riesengewächses bequem niedergelassen haben, geistigem Tod überantwortet" (zit. nach Mahner 1986, S. 5).

                

Wer regelmäßig die Verbrechen des Kommunismus, Faschismus und Nationalsozialismus in eine Reihe mit der Evolutionsbiologie stellt, erliegt kurzerhand dem sogenannten naturalistischen Fehlschluß. Hier handelt es sich um den von Hume formulierten Grundsatz, daß aus deskriptiven Aussagen keine normativen Aussagen abgeleitet werden können. So beschreibt und erklärt die Evolutionstheorie Beziehungen und Zusammenhänge, die keine moralischen Grundsätze implizieren. Wenn etwa die Selektionstheorie die unterschiedliche Fitneß und differentielle Tauglichkeit der Morphen beschreibt und den "Kampf ums Dasein" als Evolutionsprinzip formuliert, folgen daraus keine Wertungen, Bewertungsmaßstäbe oder Ziele, so daß sie als wertfreie Wissenschaft ungeeignet ist, um die normativen Aussagen im Nationalsozialismus zu rechtfertigen. Welcher Mißbrauch im Namen selbsternannter Heilsbringer und politischer Ideologen mit wissenschaftlichen Theorien getrieben wird, liegt nicht in deren Verantwortung, sonst könnte man genauso gut das bekannte Theorem aus der Speziellen Relativitätstheorie, wonach die Energie der Materie äquivalent ist (E=m*c2) als Grundlage und Rechtfertigung für den Bau und den Einsatz von Atombomben interpretieren. Jeder sieht ein, wie absurd es wäre, wollte man Einstein und die Relativitätstheorie als Wegbereiter des Atombombenabwurfs über Hiroshima und Nagasaki verurteilen. Wer mit Blick auf die Evolutionstheorie soweit nicht zu denken bereit ist, verdreht die Fakten und kann nicht hoffen, in der Sache noch ernstgenommen zu werden.


Wenn angesichts dessen einer von Lönnigs Wegbegleitern das Bekenntnis ablegt, es komme einzig darauf an, "dass im Dritten Reich das Darwinsche Gedankengut sehr wohl bekannt war, angenommen wurde und wirkte", um es zum Wegbereiter des Nationalsozialismus abzustempeln, begibt er sich in die geistige Nähe desjenigen, der die Newtonsche Mechanik, mit deren Hilfe die Militär-Strategen die Flugbahn ballistischer Raketen berechnen, als "Teufelszeug" verurteilt, das er für das Übel der Weltkriege verantwortlich machen zu können glaubt. Auf einem solchen Niveau kann ein rationaler Diskurs nicht zustandekommen.

         

Im übrigen scheint der Kreationismus nicht begriffen zu haben, daß er sich das moralische Argument gegen den Selektionismus selbst wieder in Gestalt des "Theodizee-Problems" zur Hintertür hereinholt. Denn es ist doch klar, daß Gott das Gesetz des "Fressens und gefressen werden" erschaffen haben müßte, will man dem Kreationismus glauben schenken.

Interessanterweise, scheint Lönnig keinerlei moralische Bedenken zu hegen, wenn es darum geht, den Evolutionsbiologen zum "Ur- und Affenmenschen" zu degradien. Lönnig schreibt: "Hier hören nun tatsächlich viele evolutionistische Zeitgenossen einfach auf, weiterzudenken, - glücklich mit der naturwissenschaftlich vollkommen abgesicherten und unbestreitbaren Erkenntnis, ein solcher Affe zu sein (und viele fühlen und handeln entsprechend, manche laufen sogar so, wenn ich das einmal ironisch hinzufügen darf). Aber wie schon angedeutet, bleibt noch die Möglichkeit, weiterzudenken und - ganz im Rahmen der Evolutionstheorie - die (allerdings für die "99 Prozent Affe"-Theorie fatale) Frage stellen, woher denn der Schimpanse seine Gene hat." (66) Wer also der "Affentheorie" anhängt, handelt auch entsprechend - wer dagegen "weiterdenkt", entkommt diesem Schicksal.

Ansichts solch kruder Herabsetzungen ist zu fragen, aufgrund welcher Legitimation sich Lönnig eigentlich noch getraut, den moralischen Zeigefinger gegen seine Kritiker zu erheben (deren Beispiele nicht minder "ironisch" gemeint sind) und etwa folgendes zu monieren: "Kutschera selbst bestätigt übrigens in seinem Nachruf zu Gould die Richtigkeit der obigen Definition des Kreationismus-Begriffs, wenn er in biologenheute (4/2002, p. 19) anerkennend hervorhebt, dass Gould in seinem Buch Wonderful Life eine gegen den Kreationismus gerichtete Zeitungskarikatur reproduziert: ‚Es ist eine ‚Ahnenreihe' in der Abfolge: Australopithecus africanus - Homo erectus - Kreationist mit dem Schild ‚Earth is only 10.000 years old' - Neandertaler - moderner Mensch dargestellt' Zu dieser Form der Diskriminierung (der Kreationist als Ur- und Untermensch!) sei übrigens erwähnt: Bei Haeckel wurden die Juden als fehlendes Bindeglied zwischen Menschen und Affen verunglimpft!" (67) Hat, so darf man mit Blick auf die in beiden Lagern zurecht monierten Affenvergleiche fragen, nicht auch der Kreationismus seinen Haeckel gefunden?

Nun scheinen glücklicherweise einige noch "härtere" Ausdrücke, wie "skrupellose Fanatiker", "rücksichtslose Opportunisten" u.ä. (die wir hier aus dem Gedächtnis zitieren müssen), inzwischen von der Homepage verschwunden zu sein. Und immerhin vernimmt der Leser aus Lönnigs Munde auch versöhnliche Töne, denn er läßt vereinzelt durchblicken, daß er "selbstverständlich nicht alle [sic!] Darwinisten und Neodarwinisten in einen Topf mit [dem Verbrecher] Lyssenko werfen möchte" (68), was angesichts einer Argumentation, die nicht gerade durch ein hohes Maß an Differenziertheit besticht, grundsätzlich schon einmal erfreulich ist! Daher sei betont, daß selbstverständlich auch wir "nicht alle" Kreationisten in einen Topf mit religiösen Fanatikern, Fundamentalisten und Mördern werfen möchten, die die Geschichte des Christentums in den letzten 2000 Jahren hervorgebracht hat, obgleich natürlich auch hier "bis in die Gegenwart sehr bedenkliche Tendenzen festzustellen" (ebd) sind.

Kurzum: Lönnig hatte seine Chance, uns von der Seriosität seiner Argumentation zu überzeugen. Er hat sie nicht genutzt, im Gegenteil: alle paar Monate findet sich eine neue ad-hominem-Kritik auf der Homepage unseres Gegners. Man höre und staune: selbst der Wissenschaftsjournalist U. Willmann muß sich vor den Richterstuhl Lönnigs zerren lassen. Der Publizist hatte es im Rahmen seiner weitgehend nüchternen Tatsachenbeschreibung (ganz im Sinn der scientific community) "gewagt", punktuell einige Wertungen einfließen zu lassen, in denen er die Verflechtungen innerhalb des Kreationismus aufdeckte und die ID-Lehre als das bezeichnete, was sie ist: ein Gebilde aus "wolkigen" Formulierungen, denen keine mechanismischen Hypothesen zur Seite gestellt wurden. Da man mit dem Inhalt nicht einverstanden war, sah sich Willmann flugs in eine böse Diffamierungskampagne verwickelt.

Die "ZEIT" habe (vor Willmann) schon bessere Zeiten gesehen, polemisiert Lönnig in der Replik (69) - so z.B. 1974, als in einem Artikel die "offenen Fragen" zu den Mechanismen der Evolution diskutiert wurden. Dagegen habe Willmann die Leser schlicht in allen "grundlegenden Fragen" fehlinformiert. Zudem habe sich der Artikelschreiber ("nach Auffassung vieler ZEIT-Leser" selbstverständlich) zum "verlängerten Arm polemisierender materialistischer Ideologen gemacht", die "statt wissenschaftliche Argumente zu diskutieren, eine pure ad-hominem-Kritik" betrieben. (Diese Retourkutsche ist jedoch insofern widersinnig, als Willmanns Artikel überwiegend auf die Aussagen Dritter bezug nimmt, so daß er über weite Bereiche nur Feststellungen wiedergibt.) Und in grotesker Umkehrung der Willmannschen Argumentation wird ihm die "Zugehörigkeit zur 'Religionsgemeinschaft' der Materialisten" unterstellt, so daß man auch schreiben könne: "Der Mann steht in Diensten der Herren Kutschera und Hölldobler und ist zu seriösem Wissenschaftsjournalismus unfähig." Angesichts solch widerwärtiger Diskussionsformen erübrigt sich jeder weitere Kommentar.

       

5.3. Die Überbetonung und einseitige Darstellung historischer Irrtümer

5.3.1. Mendel und der Darwinismus

Eine weitere beliebte Argumentationsstrategie unseres Gegners ist die Überbetonung historischer Irrtümer, um vergessen zu machen, daß sich der "Darwinismus" längst über sein ursprüngliches Niveau hinausentwickelt hat, während die ID-Lehre seit Paley statisch geblieben ist und in keinem wissenschaftlichen Bereich etwas zur Problemlösung beigetragen hat. Welches Thema scheint dazu besser geeignet zu sein, als die historisch gewordene Kontroverse zwischen den Protagonisten der Mendelschen Vererbungsregeln (den sogenannten "Mendelisten") und den Darwinisten, zumal die Evolutionsbiologen jahrzehntelang einer falschen Vererbungstheorie anhingen und sich einen erbitterten Kampf über die Ursachen der Evolution geleistet haben? Lönnig stellt die Geschichte äußerst tendentiös dar und bemerkt dazu: "warum hat man Mendel nicht akzeptiert 35 Jahre mindestens? Und heraus stellte sich, es war wieder die Dogmatik des Darwinismus." (70)

Die Gründe hierfür sind allerdings vielschichtig und lassen sich nicht ohne weiteres in das undifferenzierte Klischee hineinzwängen, das vor allem in Lönnigs Texten über Mendel auf einem erschreckend niedrigen Niveau diskutiert wird. (71) Erstens war zahlreichen Menschen der damaligen Zeit Mendels Arbeit schlichtweg unbekannt - der Grund wird "allgemein im geringen Verbreitungsgrad und der niedrigen Auflage jener wenig bekannten Zeitschrift gesehen, in der die Veröffentlichung erschien" (Vollmann und Ruckenbauer 1997). Daher nimmt es nicht wunder, daß die Vererbungsregeln bei vielen in Vergessenheit gerieten und die Wiederentdeckung erst um 1900 durch Correns, Tschermak und de Vries erfolgte. Zweitens stießen die Mendelschen Gesetze auf Kritik, weil sie unvollständig und simplistisch sind, denn sie berücksichtigen nicht die Veränderlichkeit der Arten und sagen nichts über die ihnen zugrundeliegenden kausalen Mechanismen aus (Jahn et al. 1982, S. 558). Selbst Botanikern, wie z.B. Correns oder Nägeli, erschienen die Mendelschen Regeln simplistisch - sie rieten zu weiteren Experimenten. Allgemein erinnerten Mendels Vererbungsregeln zunächst eher an nebulöse Naturphilosophie als an eine seriöse Wissenschaft (Vollmann und Ruckenbauer 1997). Und drittens wies Pearson zurecht darauf hin, daß es eine allgemeine Theorie Mendels nicht gibt - tatsächlich muß für jedes genetische Experiment eine spezielle Form der Vererbung angenommen werden (Mühlenbein 1995).

Interssanterweise waren die Mendelisten nicht minder rücksichtslos bei der Durchsetzung ihrer Thesen, die teilweise sogar falsch waren und ihrerseits die Anerkennung der Selektionstheorie jahrzehntelang behinderten. Junker und Hoßfeld (2001, S. 164) bemerken hierzu: "De Vries' Mutationstheorie ist ausgesprochen spekulativ und sie basiert nur auf den Experimenten an einer einzigen Art (Nachtkerze, Oenothera). Die Experimente mit anderen Arten schob er einfach mit der Bemerkung beiseite, dass diese sich in immutablen Perioden befinden. Trotz dieser mageren Beweislage und trotz harscher Kritik dominierten seine Thesen die Biologie im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts". Somit handelt es sich bei der Behinderung konkurrierender Theorien um kein rein "Darwinistisches" Phänomen, sondern um ein Kennzeichen für jenes (für alle wissenschaftliche Forschung typisches) Frühstadium, in welchem Thesen und Antithesen noch unversöhnlich aufeinanderprallen.

Insgesamt muß man sich fragen, was es einem Evolutionsgegner einbringen kann, die Schlachten vergangener Jahrhunderte noch einmal zu schlagen, wenn feststeht, daß die Gegensätze zwischen Mendelisten und Darwinisten mit der Synthetischen Theorie weitgehend aus der Welt geräumt wurden. Das wäre etwa so, als würde man heute den zu Goethes Zeiten tobenden Streit zwischen "Neptunisten" (die behaupteten, daß alle Gesteine Sedimentgesteine seien) und "Plutonisten" (denen zufolge alle Gesteine vulkanischen Ursprungs sind) aus dem Grab der Geschichte exhumieren, um der modernen Geologie daraus einen Strick zu drehen. Wenn Lönnig behauptet, daß "das, was Darwin produziert hatte, seine Pangenesis-Theorie, die die Vererbung erworbener Eigenschaften erklären sollte" nicht zu Mendel paßte (72), besagt dies nicht viel, wenn man sich (welch Ironie der Geschichte!) nur einmal klarmacht, daß die Mendelschen Vererbungsregeln dem "Darwinismus" überhaupt erst zum Durchbruch verhalfen! Und man darf hier keinesfalls vergessen, daß die meisten "Mendelisten" um 1900 (wie z.B. de Vries oder Bateson) die Deszendenztheorie in vollem Umfang anerkannt haben!

Tatsache ist ferner, daß Thomas Hunt Morgan anhand seiner Drosophila-Experimente im Jahre 1909 erkannt hatte, daß de Vries sich irrte und die Selektionisten in entscheidenden Punkten recht behielten. Mit seiner Arbeit "For Darwin" (1909) wurde erstmals ein Fundament für die Fusion beider Theorien geschaffen (Jahn et al. 1982, S. 477), das sich später als sehr tragfähig und heuristisch fruchtbar erwies. Überhaupt wäre die Genetik heute nicht dort angelangt, wo sie steht, wenn nicht bedeutende Neodarwinisten wie z.B. Haldane, Fisher und Wright die mathematischen Grundlagen der Populationsgenetik erarbeitet hätten. Angesichts dessen ist es einfach nicht mehr nachvollziehbar, wenn Lönnig die Plattitüde verbreitet: "Ohne Darwin wären wir heute in der Genetik wahrscheinlich 35 Jahre weiter!" (73) In Wahrheit ist die Auseinandersetzung zwischen den "Darwinisten" und den "Mendelisten" nur ein Beleg für die "Selbstreinigungskräfte" innerhalb der Evolutionstheorie, denn einerseits waren die Mendelisten ebenso Evolutionsbiologen wie die Darwinisten und andererseits wurden die Schwachstellen des Darwinismus und Mendelismus nicht ohne Zutun der Darwinisten im Rahmen der Synthese überwunden. Eine Kritik, die nur rückwärtsgewandt auf die "falsche Vererbungstheorie" der frühen Darwinisten starrt, ist wie betont eher als ein Mittel der Agitation als ein sachlicher Beitrag zur Geschichtsbewältigung zu sehen.

5.3.2. Ernst Haeckel und das Leitbild der ontogenetischen Rekapitulation

In ähnlich einseitiger Form widmet sich Lönnig der kritischen Betrachtung der Person Ernst Haeckel sowie des auf ihn zurückgehenden Leitbildes von der auszugsweisen und schnellen Rekapitulation stammesgeschichtlicher Stadien in der Keimesentwicklung (Ontogenese). So ist auf einer seiner Internetseiten (74) vom "Sturz Haeckels" und dessen angeblich gefälschten Abbildungen in seinen "Embryonentafeln" die Rede, so daß der unbedarfte Leser unwillkürlich zu der Einschätzung gelangen muß, als handele es sich bei der Rekapitulationsregel um eine völlig überholte Vorstellung. Interessanterweise endet der "Zeithorizont" der von Lönnig zitierten Literatur abrupt im Jahre 1997; so weist er hauptsächlich auf Richardsens Kritik an den Embryonentafeln sowie auf einen Leitartikel von Penisi hin. (ebd) Was nur die wenigsten Leser wissen können, ist die Tatsache, daß sich mit Blick auf die kreationistische Vereinnahmung dieser beiden Artikel eine rege Diskussion in der Fachwelt entsponn, die im Jahre 1998 begann und bis heute nachhallt und eine Welle von Richtigstellungen nach sich zog, die Lönnig völlig unterschlägt. Obschon Haeckels Umgang mit gewissen embryologischen Daten Anlaß zur Rüge gab, mußten seine Kritiker ihm im Grundsätzlichen recht geben. So liest man beispielsweise bei Richardson et al. (1998, S. 983): "Our work has been used in a nationally televised debate to attack evolutionary theory, and to suggest that evolution cannot explain embryology (2). We strongly disagree with this viewpoint. Data from embryology are fully consistent with Darwinian evolution. Haeckel's famous drawings are a Creationist cause célèbre (3)." Und: "On a fundamental level, Haeckel was correct: All vertebrates develop a similar body plan (...) This shared developmental program reflects shared evolutionary history". Und schließlich: "It also fits with overwhelming recent evidence that development in different animals is controlled by common genetic mechanisms." (Hervorhebungen im Text von M.N.)

Wer sich also dazu entschließt, auf Richardson (1997) hinzuweisen, der ist im Interesse einer seriösen Abwägung aller Fakten gehalten, die Wahrheit komplett offenzulegen; er darf sich nicht einzelne Aspekte herauspicken, die gut zum weltanschaulichen Hintergrund des Kreationismus zu passen scheinen und den Rest geflissentlich ignorieren. Auch hier ist der Leser also von Lönnig in allen Punkten fehlinformiert worden! Selbst Kritiker der Biogenetischen Grundregel, die ihren Wert in der Phylogeneseforschung als marginal einstufen, wie z.B. Peters, räumen ein, "daß die Einstufung eines bestimmten Ontogenesestadiums als Rekapitulation überhaupt nur in Verbindung mit einer phylogenetischen Erklärung einen Sinn erhält." (Peters, D.S. (1980): Das Biogenetische Grundgesetz - Vorgeschichte und Folgerungen. Medizinhistorisches Journal 15, 57-69.) Denn es ist doch für jeden, der ein gewisses Maß an rationaler Überlegung zuläßt, einzusehen, daß die weitreichenden Ähnlichkeiten zwischen bestimmten Embryonalstadien und Adultmerkmalen nicht zufällig existieren können, daß also aufgrund der augenfälligen Parallelen zwischen Embryologie, vergleichender Morphologie und Paläontologie ein kausaler Zusammenhang zwischen den Strukturen bestehen muß, der im epigenetischen System und dessen Geschichte zu suchen ist.

Als besonders erstaunliches Beispiel sei hier der für Affenbabies charakteristische Handgreif- oder Klammerreflex erwähnt, der den Neugeborenen das Festhalten im Fell der Mutter ermöglicht. Dieser Reflex, bei dem nacheinander alle Finger in die charakteristische Greifposition einlaufen, findet sich in genau derselben Ausprägung auch bei menschlichen Neugeborenen, obwohl er dort keine ersichtliche Funktion mehr hat (Hemminger 1988, S. 23 ff.). Nimmt man nun an, dass sich Menschen aus der Gruppe der Primaten entwickelt haben, ist die Existenz des charakteristischen Reflexes leicht als Verhaltensrudiment erklärbar. Wird dagegen die historische Entwicklung als "ultimative Ursache" geleugnet, bleibt die Existenz des Reflexes in seiner charakteristischen Form unerklärlich. Zwar läßt sich, wie an dieser Stelle oft entgegnet wird, immer auch eine entwicklungsmechanische ("proximate") Ursache oder auch eine funktionelle Begründung für das Zustandekommen solcher Merkmale postulieren, so daß prinzipiell immer auch eine schöpfungstheoretische Deutung möglich ist (die wir ja grundsätzlich nie widerlegen können). Wer aber so argumentiert, argumentiert am Kern des Problems vorbei. Denn was es hier zu erklären gilt, ist ja nicht einfach nur die Entstehung irgendeiner funktionellen Struktur, sondern die Existenz einer Struktur, "die vom Gesamtbauplan her einem anderen Organ entspricht, aber entweder gar nichts Erkennbares mehr oder etwas anderes tut" (Hemminger 1988, a.a.O.).

Warum etwa hätte der Schöpfer, würde der menschliche Säugling einen Handgreifreflex benötigen, diesen exakt in der Form einer Klammerbewegung erschaffen sollen, mit denen es nur Affenbabies gelingt, sich im Fell ihr Mutter festzukrallen? Warum hätte der "intelligente Designer", wenn die Wirbeltiere in der Ontogenese eine Chorda dorsalis als Anlage zum Rückenmark und Rückenstrang benötigen, diese just jenem knorpeligen Stützgewebe homolog erschaffen sollen, das die Seescheiden im Larvalstadium ausformen? Warum hätte der Schöpfer, wenn aus entwicklungsmechanischen Gründen in der 4. Entwicklungswoche die charakteristischen "Beugefalten" entstehen (müssen?), die Keimesentwicklung derart anlegen sollen, daß die Pharyngealbögen den Kiementaschen und Aortenbögen der Fische ähnlich sind? Warum hätte der Schöpfer, würde der Wal Muskelansatzstellen im Hinterleib benötigen, diese in Gestalt eines Beckengürtels geben sollen?

Diese Liste läßt sich beliebig erweitern, und der Leser sei eingeladen, dies zu tun. Denn auf derlei Fragenkomplexe hat der Kreationismus keine einzige differenzierte - geschweige denn plausible - Antwort parat. Die einzige Antwort, die halbwegs als Erklärung gelten könnte, lautet, daß es dem Schöpfer in seinem weisen Ratschluß eben so und nicht anders gefallen habe! Damit aber wird die Erklärung nur wieder in ein Mysterium hinein verschoben, um einem Erklärungsnotstand zu entkommen. Angesichts dessen sei nur noch einmal an das naive Glaubensbekenntnis erinnert, wonach die Phänomene "mit der Intelligent-Design-Theorie jetzt erst intellektuell zureichend und sogar völlig befriedigend erklärt" (a.a.O.) würden. Wer an dieser Stelle immer noch kühn und voll der apodiktischen Überzeugung behauptet, daß der Kerngedanke der ontogenetischen Rekapitulation nicht haltbar, widerlegt und dessen empirische Grundlage von Haeckel gefälscht worden sei, der repetiert nur weltanschauliche Parolen, die weder mit der biologischen Realität noch mit einer wohlbegründeten wissenschaftstheoretischen Position etwas zu tun haben, weswegen sie sich von der Auffassung der Fachwelt (von Ausnahmen abgesehen) völlig unterscheiden.

So resümmiert Sander (2004, S. 164 f.) , daß heute mit der "EvoDevo"-Forschung - bewußt oder unbewußt - ein ganzer Biologiezweig am Leitbild der ontogenetischen Rekapitulation anknüpfe, gehört es doch zu ihrer Aufgabe, die "vielfachen Wechselwirkungen zwischen regulatorischen Genen aufeinanderfolgender Stufen der ontogenetischen Kaskade" auszuwerten und so die Zusammenhänge zwischen der Phylogense und den epigenetischen Mechanismen aufzuklären. Und obschon "einige von Haeckels Postulaten seit langem nicht mehr haltbar sind und das ‚Grundgesetz' zur ‚Grundregel' herabgestuft wurde, ist sein Kern, die historische Bedingtheit des Geschehens in der Ontogenese, heute unbestritten - außer in Kreisen, welche die biologische Evolution aus weltanschaulichen Gründen ablehnen".


Sander, K. (2004): Ernst Haeckels ontogenetische Rekapitulation. Leitbild und Ärgernis bis heute? In: Höxtermann, E.; Kaasch, J.; Kaasch, M.(Hrsg.): Von der "Entwickelungsmechanik" zur Entwicklungsbiologie. Verhandlungen zur Geschichte und Theorie der Biologie. Bd. 10. VWB, Berlin, 163-176.

               

Was den sattsam bekannten, an Haeckel gerichteten "Fälschungsvorwurf" anbelangt, so gehört auch der Beitrag von Bender (1998) zur Pflichtlektüre eines jeden Kritikers, in dem anhand von Bildmaterial sowie unter Bezugnahme auf die Darstellungen mehrerer Embryologen eine umfassende Bewertung der Embryonentafeln sowie einiger Postulate Haeckels vorgenommen wird. Nach Abwägung aller Fakten gelangt Bender zu dem Schluß, daß der Fälschungsvorwurf nicht aufrecht zu erhalten ist, obwohl er in einigen Punkten durchaus kritisch mit Haeckel ins Gericht geht. (vgl. Bender, R. (1998): Der Streit um Ernst Haeckels Embryonenbilder. Biologie in unserer Zeit 28, 157-165.)

Wenn einer von Lönnigs Weggefährten (als Biologe!) dann noch behauptet, die Biogenetische Grundregel sei "lange schon als bedeutungslos" erkannt worden und Haeckel habe auch Zeichnungen veröffentlichte, die "aus seiner Phantasie stammten", so kann man sich über das Ausmaß an Unkenntnis nur wundern. So räumt Bender (a.a.O.) zwar ein, daß Haeckel einige gewagte Idealisierungen vornahm und einen Teil der damals noch unbekannten Merkmalsausprägungen deduktiv im Sinne der Evolutionstheorie überbrückte, ohne sie als solche zu charakterisieren. Einiges davon gab also durchaus zur Rüge Anlage, doch eine hypotetisch-deduktive Vorgehensweise hat nichts mit reiner Phantasie und schon gar nichts mit Fälschung zu tun, sondern entspricht einer wissenschaftlich legitimen Methodologie. Die Deduktionen sind ja durchaus prüfbar - ein Teil davon wurde, wie Bender zeigt, tatsächlich auch bestätigt. Doch selbst wenn wir annehmen würden, daß Haeckels Embryonentafeln in allen relevanten Merkmalen "gefälscht" (und nicht nur idealisiert) worden wären, sind doch die ausgeprägten "Parallelen" zwischen bestimmten Embryonalstadien, der systematischen Klassifikation und bestimmte Fossilformen den vergleichenden Biologen bereits in der vorphylogenetischen Ära aufgefallen und (angefangen mit Leibnitz, Robinet und Bonnet, Agassiz, über Meckel und v. Baer bis hin zu Remane, Gould, Riedl, Osche u.v.a.) so oft und so deutlich wiederholt und bestätigt worden, daß keine Zweifel an der empirischen Grundlage der Rekapitulationsregel bestehen.

Wer sich für eine umfassende Bewertung der Biogenetischen Grundregel und ihrer Bedeutung für die Phylogenetik interessiert, sei übrigens auf die hervorragende Arbeit von Osche (1982) hingewiesen, an der gemessen selbst die neueste Auflage eines deutschen kreationistischen Lehrbuchs hinter der Diskussion zurückbleibt; so hatte Osche zahlreiche der von Junker und Scherer (1998/2001) gegen die biogenetische Grundregel ins Feld geführten Kritikpunkte schon 16 (bzw. 19) Jahre vorher widerlegt oder zumindest deutlich relativiert. Alles in allem hat der Haeckel-Spezialist U. Hoßfeld in einer persönlichen (an A. Beyer gerichteten) Mitteilung wie folgt zu der Haeckel-Kontroverse Stellung bezogen:


"Die wissenschaftlichen Kontroversen um Haeckels Embryonenbilder, seine Weltanschauung etc. sind weit mehr als 100 Jahre alt und bereits Heinrich Schmidt, Haeckels letzter Schüler, hat schon 1902 in seinem Buch ‚Haeckels biogenetisches Grundgesetz und seine Gegner' umfassend zu dieser Thematik Stellung bezogen; eine Darstellung, der man eigentlich nichts mehr hinzuzufügen hat, wären hier nicht die immer wieder aufkommenden Diskussionen um "fraud in science". Hier kann man sich auch im Jahre 2005 nicht dem Eindruck verwehren, dass mit der Person Haeckels in der Titelüberschrift manchen Aufsatzes etc. mehr die publicity-trächtigen als inhaltlichen Fragen im Vordergrund der Auseinandersetzungen stehen. An dieser Stelle soll nicht auf Junkers Haeckel-Bemerkungen in Gänze eingegangen werden, da in den letzten 15 Jahren zahlreiche Wissenschaftler (Bender, Breidbach, Hoßfeld, Hopwood, Sander) umfassende Arbeiten zu dieser Thematik vorgelegt haben, in denen solide diese Thematik dargestellt wurde. Die Kritiker Haeckels sollten bitte erst einmal diese Publikationen zur Kenntnis nehmen, um dann weiterführende, solidere und originäre Argumente in die Diskussion einbringen zu können. Immer wieder die mehr als hundert Jahre alten Kamellen und Zitate hervorzuholen (ohne dabei den Kenntnisstand heutiger Forschung in Relation zum Darwin-Zeitalter zu setzen) bzw. "Kronzeugen aus dem 19. Jahrhundert zu benennen", bringt uns in der Wissenschaft/Wissenschaftshistorie/Haeckel-Forschung nicht weiter!"

            

Da jedoch "Haeckels nachdrücklich verfochtene Ableitung des Menschen aus dem Tierreich" den "fundamental-christlich geprägten Traditionen, die tief im Selbstverständnis von eher geistig denn naturwissenschaftlich interessierten Zeitgenossen verankert sind (...) läßt sich vorhersagen, dass Haeckels ‚Embryonenfälschung' auch fernerhin als Munition in weltanschaulichen Kontroversen dienen wird" (Sander 2004, S. 173 f.).

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(*) Nachtrag, 05.12.10

Seit einigen Monaten kursiert im Internet eine Propangandaschrift des religiösen Eiferers W.-E. Lönnig mit dem Titel "Die Affäre Max Planck, die es nie gegeben hat" (2 Teile), die man kaum als etwas anderes als ein Verlegenheitsmanöver interpretieren kann. Denn beschämenderweise geht Lönnig darin auf die kardinalen Anklagepunkte gar nicht ein - seine Diskussion endet präzise an dem Punkt, an dem seine Methodologie ins Fadenkreuz wissenschaftlicher Analyse gerät. Das heißt, alles was ab Kapitel 3 ("Die Lönnigsche Methodologie") bzw. zwischen den Seiten 236 und 271 im Buch "Kreationismus in Deutschland" (U. Kutschera, 2007, Hg.) besprochen und analysiert wird (vgl. http://ag-evolutionsbiologie.de/app/download/3828704602/Max-Planck(Buchfassung).pdf), kehrt Lönnig nonchalant, und in der Hoffnung, es möge keiner seiner Leser bemerken, unter den Teppich. Selbst der 2. Teil der Erwiderung, der Monate zuvor als "Fortsetzung der Diskussion" angekündigt wurde, widmet sich allem möglichen, nur nicht der methodologische Analysen des Beitrags "Wolff-Ekkehard Lönnig und die Affäre Max Planck", um die es doch eigentlich ursprünglich ging. Wenn das kein krudes Ablenkungsmanöver ist, was dann?

Davon abgesehen reibt man sich über die Wahl des Titels ("Die Affäre Max Planck, die es nie gegeben hat") verwundert die Augen. Was lesen wir bei Wikipedia (Eintrag vom 05.12.10) über die Bedeutung des Begriffs Affäre? "Der Begriff Affäre bezeichnet eine unangenehme, dunkle, peinliche oder skandalöse Angelegenheit..., einen Skandal in Politik und Wirtschaft..., oder aber ein sexuelles 'Liebesabenteuer', das oftmals zeitgleich zu einer bestehenden Partnerschaft stattfindet" (http://de.wikipedia.org/wiki/Aff%C3%A4re). Ungeachtet der platonischen Liebesabenteuer, die sich zwischen Lönnig und Jehova auf fiktiver Ebene abspielen mögen (oder auch nicht), war die Angelegenheit für Lönnigs Arbeitgeber so abgrundtief unangenehm und peinlich, dass das Direktorium des Kölner MPIZ die Instituts-Website des religiösen Fanatikers nach 3-stündiger Krisensitzung "massiv entrümpelte", und zwar kurz nachdem die Vorkommnisse dank der renommierten Wissenschaftszeitschrift Nature der Weltöffentlichkeit bekannt wurden (vgl. hierzu die erhellende Reportage von Urs Willmann: http://www.zeit.de/2003/19/Kreationisten). Die Angelegenheit war den Direktoren des Max-Planck-Instituts sogar so peinlich, dass sie sich noch Jahre später in der Zeitschrift Laborjournal (6/2006) zu der Feststellung genötigt sahen, man distanziere sich in aller Klarheit von Lönnigs Weltanschauung namens "Intelligent Design". Wenn das keine Affäre in der ureigensten Bedeutung dieses Wortes ist, was dann? Einmal ganz zu schweigen davon, dass die übrige "scientific community" die Versuche, Intelligent Design mithilfe des Renommees eines Max-Planck-Instituts wissenschaftlich abzusichern, tatsächlich als einen Skandal, als einen dreisten Indokrinationsversuch betrachtete, sonst hätte es die Affäre nicht bis in die Wissenschaftszeitschrift Nature geschafft.

     

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