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Der Fall des
Affenmenschen von F. Poppenberg
Filmbesprechung von M. Neukamm
Ende 2004 erschien erneut ein evolutionskritisches Video des Berliner
Filmemachers F. Poppenberg mit dem reißerischen Titel "Der Fall
des Affenmenschen", das sich sehr kritisch mit den paläontologischen
und morphologischen Befunden auseinandersetzt, die die Abstammung des Menschen
aus der Gruppe der Primaten bezeugen. Poppenberg läßt dazu im
Film mehrere Evolutionsgegner erörtern, weshalb angesichts der zahlreichen
bis heute bekannten fossilen Hominiden die "Kluft" zwischen dem modernen
Menschen und den rezenten Menschenaffen eher noch größer geworden
sei. So wird nach eingehender Sichtung mehrerer fossiler Funde resümmiert,
daß die Vormenschen Neandertaler und Homo erectus dem
modernen Menschen weitaus ähnlicher waren, als dies von
Evolutionstheoretikern lange Zeit angenommen wurde, während andererseits
die Australopithecinen den Affen viel näher stünden, als
dem modernen Menschen. Da die Funde zudem oft ein unerwartetes Mosaik aus
primitiven und fortgeschrittenen Merkmale zeigten, sei auch keine
"aufsteigende Evolutionslinie" zum Menschen erkennbar und somit "kein
idealtypischer Stammbaum" zu konstruieren.
Es ist klar, worauf diese Argumentation abzielt: Mit Blick auf den angeblichen
"Graben" zwischen Mensch und Affe soll die Darwinsche Abstammungstheorie
infrage gestellt und statt dessen die Existenz zweier genetisch isolierter,
von einem göttlichen Wesen erschaffener "Grundtypen"
nahegelegt werden. Diese Botschaft versucht der Filmproduzent auch unter
Bezugnahme auf ein ethisch fragwürdiges Experiment zu vermitteln, wonach
sowjetische Wissenschaftler in geheimer Mission versucht haben, Menschen
und Schimpansen miteinander zu kreuzen. Natürlich wird das Experiment
in zweifacher Hinsicht gegen die Evolutionstheorie verwendet: Auf der einen
Seite soll das fehlgeschlagene Experiment als Beleg zugunsten des
"Grundtypmodells" gesehen werden, andererseits wird eine sinistre
Kriminalgeschichte um die Recherchen zum Film gesponnen, um die
Evolutionsbiologie in moralischer Hinsicht zu diskreditieren und in die
Nähe des ethischen Nihilismus zu rücken. Dieses Beispiel zeigt
erneut, wie unter Einsatz subtiler Propagandamittel Ressentiments gegen das
evolutionäre Weltbild der Naturwissenschaften geschürt werden.
Bereits der Titel zeugt von emotionaler Ablehnung, denn er erinnert an die
Polemiken im ausgehenden 19. Jahrhunderts, in denen die Evolutionstheorie
als "Affentheorie" verächtlich gemacht und Darwin (dargestellt
als halb Mensch, halb Affe) zum Urmenschen degradiert wurde.
Obgleich die Sichtung der fossilen Funde recht professionell durchgeführt
wird, sind die sachlichen Einwände gegen die Evolutionstheorie eher
dürftig. Einerseits ist es im Hinblick auf die abgestufte
Ähnlichkeit zwischen dem Menschen, den Hominiden und den verschiedenen
(Menschen-) Affen überaus müßig, alle Funde einer der beiden
"Großgruppen" ("Mensch" oder "Affe") zuzuordnen. Das Argument,
dazwischen gäbe es keine evolutionsrelevanten
Übergangsformen, legt nurmehr nahe, daß die Beteiligten
die Grundlagen der modernen phylogenetischen Systematik nicht beachten, denn
es müßte eigentlich bekannt sein, daß die kladistische Analyse
der verschiedenen Funde Merkmalsmosaike zutagefördern, die sich zwar
nicht unbedingt in einen eindeutigen Stammbaum, wohl aber in ein
feinverästeltes Verzweigungsschema übersetzen lassen, in
dem es keine "getrennten Großgruppen" mehr gibt. Insofern fügen
sich paläontologischen Funde in das "natürliche System"
der Lebewesen ein, dessen hierarchische Ordnung den Erwartungen der Darwinschen
Abstammungstheorie entspricht.
Andererseits legt der Film keinen erkennbaren Wert darauf, das Spektrum der
biologischen Tatsachen möglichst breit aufzufächern, um dem biologisch
ungebildeten Zuschauer wenigstens einen groben Einblick in das
reichhaltige Datenmaterial zu verschaffen, das sich unter der Voraussetzung
der Abstammungstheorie in einen rationalen Zusammenhang bringen läßt.
Die Vermittlung des Gesamtbildes, zu dem sich die isoliert
nebeneinanderstehenden Befunde aus den unterschiedlichsten Biologiebereichen
im Lichte der Evolutionstheorie zusammenfügen, ist nämlich auch
(oder gerade) für denjenigen oberste Pflicht, der sich anschickt, sie
mit dem Anspruch auf intellektuelle Redlichkeit zu kritisieren. Tatsächlich
resultiert der Belegstatus der Evolutionstheorie ja nicht aus ein paar einzelnen,
versprengten Daten, sondern eben aus dem harmonischen Zusammentreten
unterschiedlichster Befunde und Befundklassen (wie z.B. der oben
erwähnten abgestuften Ähnlichkeit zwischen den Arten in
Verbindung mit dem systematischen Wandel des Fossilienbestands in
Verbindung mit molekularbiologischen, zellbiologischen,
entwicklungsbiologischen und serologischen Befunden in Verbindung
mit unserem Wissen um die Vererbung, Variation und Selektion etc.). Das
Zusammenspiel der unterschiedlichsten Befundreihen wird jedoch im Film nicht
einmal ansatzweise überblickt. Statt dessen gewinnt der Beobachter den
Eindruck, als müsse einigen Fossilien mehr oder weniger gewaltsam ein
evolutionärer Deutungsrahmen übergestülpt werden, der bereits
beim Wegbrechen eines Teilstücks wie Piltdown und Ramapithecus so gut
wie in sich zusammensackt.
Schlimmer noch als die groben Auslassungen im Bereich der Biologie ist jedoch
die methodologische Inkonsistenz, mit der im Film gegen die
Evolutionstheorie argumentiert wird. So wird z.B. über das Wesen der
naturwissenschaftlichen Beweisführung kein Wort verloren, obwohl
mehrmals dezidiert behauptet wird, der Evolutionstheorie fehlten die Beweise
(u.a. deshalb, weil der Sachverhalt der "Makroevolution" nicht
direkt beobachtbar sei). Dies wäre nun nicht weiter problematisch,
wenn im Film nicht permanent an der naturwissenschaftlichen Definition des
"Beweises" (genauer: des "Indizien-Belegs") vorbeigeredet würde!
Es ist ja unter Wissenschaftlern allgemein üblichen, daß sie zu
den Belegen einer Theorie oder eines Postulats alle empirischen Daten
zählen, die im Lichte der Theorie erklärt, zu einem Gesamtbild
zusammengeführt oder aus der Theorie gefolgert werden können. Unter
Zugrundelegung dieser Definition wird die Annahme der artübergreifenden
Evolution sowie die gemeinsame Abstammung von Mensch und Affe durch ein
vielschichtiges Datenmaterial untermauert, so daß der Einwand, niemand
habe "Makroevolution" direkt beobachtet, naiv wirkt. Wer ihn erhebt,
muß sich darüber belehren lassen, daß auch noch nie ein
Mensch ein Atom, ein Neutrino, ein Schwarzes Loch oder den gekrümmten
Raum gesehen hat, und trotzdem läßt die Fachwelt an deren Existenz
keine (vernünftigen) Zweifel gelten.
Alles in allem zeichnet der Film also ein karges, verzerrtes und leider auch
sehr düsteres Bild von der Evolutionsbiologie und ihren Fachvertretern.
Mit Blick auf die effektheischenden Verknappungen evolutionärer und
historischer Sachverhalte ist sich der Filmemacher ebenso treu geblieben,
wie hinsichtlich des Gebrauchs platter Generalisierungen, mit denen er gegen
die Evolutionstheorie und ihre universitären Vertreter Stimmung erzeugt.
So wird in einem Akt der polemischen Entgleisung resümmiert, der Darwinismus
habe die Wissenschaft 150 Jahre lang "mehrfach blockiert", "in
Sackgassen geleitet", ja sogar "unterdrückt", die Embryologie
durch Haeckels "Fälschung blockiert", die Mendelschen Regeln
"bekämpft", mittels "plumper Fälschungen",
"kurzschlüssiger Interpretationen", unmoralischer Experimente,
Mord und brutaler Verfolgung versucht, die Abstammungstheorie zu beweisen,
während den "neodarwinistischen Dogmatikern" im Verband deutscher
Biologen bis heute "überzeugende wissenschaftliche Argumente
fehlten", so daß sie darauf angewiesen seien, die Sperrung der
unliebsamen Homepage eines Evolutionskritikers "zu veranlassen".
Die Tatsache jedoch, daß sich der Betreiber der "ausgedruckt mehr
als 1000 Seiten" umfassenden Homepage nachhaltig weigert,
wissenschaftstheoretische
Einwände
gegen seine vorgeblich "naturwissenschaftliche" Argumentation auch
nur zur Kenntnis zu nehmen (weil er sonst nicht nur sein Welt-, sondern
auch sein Gottesbild infragestellen müßte), daß desweiteren
die "neodarwinistischen Dogmatiker" in allen Biologiebereichen
höchst erfolgreiche Forschungsprogramme aufgelegt haben, daß mit
der Embryologie und "EvoDevo-Forschung" heute ein ganzer Biologiezweig am
Haeckelschen Leitbild der ontogenetischen Rekapitulation anknüpft und
daß bereits Darwin wesentliche Belege zugunsten seiner Abstammungstheorie
beisammen hatte, so daß sich seitdem der Streit nur noch auf die Frage
nach den "tieferen" Mechanismen der Evolution und auf historische Detailfragen
konzentriert, gerät in dem Machwerk ebenso unter die Räder, wie
die Tatsache, daß die "Evolutionisten" es waren, die die Schwachstellen
und offenen Fragen ihrer Theorie herausarbeiteten, ihre Irrtümer
selbst korrigierten und dabei ein solches Maß an
"Selbstreinungskräften" entwickelten, daß es möglich wurde,
die Theorie Darwins weit über ihr ursprüngliches Niveau
hinauszuentwickeln.
Vor allem, was die Verfolgung Andersdenkender anbelangt, muß
explizit betont werden, daß dies immer nur auf dem Boden von
Terrorregimen geschah, in deren Dienste auch einzelne Evolutionsbiologen
standen. Keinesfalls aber sind die ethischen Verfehlungen einzelner
Wissenschaftler (so auch von Ivanow, der die oben erwähnten
Kreuzungsexperimente durchführte) "der Evolutionsbiologie"
anzulasten, die ja als Wissenschaft grundsätzlich wertneutral
ist. Diese Differenzierung wird im Film nicht vorgenommen - auch mit Blick
auf den historischen Streit zwischen den Mendelisten und Darwinisten wird
erneut der Eindruck vermittelt, als seien "die Mendelisten" (welch
zweckmäßige Generalisierung!) zu Opfern "des Darwinismus"
geworden, womit im übrigen verschwiegen wird, daß die Mendelisten
bereits um 1900 die Evolutionstheorie voll akzeptiert hatten und sich
mit den "Darwinisten" nur über die Ursachen der Evolution entzweiten.
Es ist also offensichtlich, daß es im Film nur vordergründig um
die Sachauseinandersetzung geht, denn was nach Abzug aller Polemiken,
Verschwörungstheorien und mystischen Spekulationen an Fakten
übrig bleibt, ist aufgrund der geringen Informationsdichte kaum von
didaktischem Wert. (Man vergleiche den Film nur einmal mit einer der
großartigen BBC-Reportagen, in denen erschöpfend die großen
Transformationen im Tierreich sowie die Belege der Evolutionstheorie behandelt
werden.) Letztlich verfolgt das Video nur einen Zweck: es geht um die
Diskreditierung eines ganzen Wissenschaftszweigs, um dem Schöpfungsmythos
mehr Raum zu verschaffen. Interessanterweise wird auf das
"Design-Argument" nur kurz am Schluß eingegangen, sein
wissenschaftlicher Erklärungswert jedoch mit keinem Wort erläutert.
Vorgetragen wird nur die alte Paleysche Design-Analogie, die allerdings bereits
Hume gute
25 Jahre vor Paley (und damit vor über 200 Jahren) widerlegt hatte.
Last
update:
04.03.05
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© by Martin Neukamm