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Junkers
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Junker, R.; Scherer,
S. (2001): Evolution. Ein kritisches
Lehrbuch
Weyel Lehrmittelverlag, Gießen. 328 Seiten, 360 Abb. Preis: DM 39,80
Die Erkenntnis, daß Tier- und Pflanzenarten
einander ähneln und Übergänge zwischen den Organisationsformen
existieren, ist wahrscheinlich so alt wie die Menschheit selbst und fand
schon in die Gedankenwelt der alten Griechen eingang. Basierend auf den
großen Vordenkern der Antike und dem Datenmaterial, das im Laufe der
Zeit durch die verschiedenen Forschungsrichtungen aufgedeckt wurde, keimten
schon im 18. Jahrhundert Evolutionsvorstellungen auf, weil man erkannte,
daß eine große Anzahl von Beobachtungen im Lichte der Theorie
von der gemeinsamen Abstammung und Entwicklung der Arten überzeugend
erklärbar ist. Mit dieser Einsicht wollen sich viele bibelfeste Menschen
nicht anfreunden, so daß der Evolutionstheorie bis heute ein Widerstand
entgegenbrandet, der in zunehmendem Maße in ideologischen, in der Regel
auf beiden Seiten sehr emotional geführten Wortgefechten gipfelt. Aus
diesem Grunde hat es nicht an Versuchen gefehlt, die Diskussion zu versachlichen
und dem Standardmodell der Bioevolution eine wissenschaftliche
Schöpfungsalternative entgegenzusetzen. Das Buch, das in Kürze
in der sechsten Auflage gedruckt wird, verfolgt genau dieses Ziel, wobei
die Autoren betonen, daß es ihnen nicht um die Widerlegung der
Evolutionstheorie, sondern um die sachliche Kritik am "Paradigma Makroevolution",
"Höherentwicklung" sowie an der "Ursprungsfrage" geht.
Diese Strategie wird in allen Kapiteln des Buches stringent verfolgt und
mit einem enormen biologischen Hintergrundwissen unterlegt. So finden sich
nach einer allgemeinen historischen und theoretischen Einführung
Ausführungen über die Grundbegriffe der Evolutions- und
Grundtypenbiologie. In den Kapiteln 3 und 4 wird über die Reichweite
der Evolutionsfaktoren, "Makroevolution", die kausale und die chemische Evolution
gesprochen, wobei unter Rekurs auf scheinbare Unstimmigkeiten und
ungeklärte Fragen Zweifel an der transspezifischen Evolution gestreut
werden. Schließlich werden in den letzten 3 Kapiteln die historische
Evolutionsforschung unter die Lupe genommen und alternative Deutungen
präsentiert. Das Hauptanliegen der Autoren ist es dabei zu zeigen, daß
Befunde nicht nur zugunsten von Evolution, sondern auch unter der Voraussetzung
von Schöpfung interpretiert werden können.
Die Auseinandersetzung mit der Evolutionstheorie erfolgt vergleichsweise
fair, womit sich das Buch angenehm von vielen zeitgenössischen Artikeln
unterscheidet, die in emotivem Gestus die Widerlegung des Evolutionsgedankens
proklamieren. Das heißt jedoch nicht, daß auf den Einsatz subtiler
Propagandamittel verzichtet wird. So wird der Leser gleich im ersten Kapitel
mit einer fragwürdigen Einführung in die Wissenschaftstheorie
konfrontiert, in der Naturwissenschaft mit "direkter Beobachtung"
und der Erforschung "gegenwärtig ablaufender
Vorgänge" gleichgesetzt wird (vgl. S. 5, 17). Da
transspezifische Evolution und Höherentwicklung historisch geworden
und nicht (mehr) direkt beobachtet werden kann, müßte DARWINs
Abstammungstheorie aus den Naturwissenschaften herausfallen,
eine Implikation, auf der die Autoren strikt beharren.
Der methodologische Irrtum, der sich durch das ganze Buch zieht, besteht
darin, daß unter strikter Beachtung der eigens errichteten
Wissenschaftsphilosophie kaum eine Theorie übrig bliebe, der noch das
Prädikat "naturwissenschaftlich" zukäme. Denn wenn sich
Naturwissenschaft nur mit dem direkt Feststellbaren abgeben würde,
dürfte sie sich auch nicht mit der Kosmologie, der Geologie oder mit
Objekten, wie Atomen, Elementarteilchen und Schwarzen Löchern
beschäftigen. Auch hier ist ja auf der tieferen, unserer Erkenntnis
verschlossenen Ebene niemand "dabei", der mit Gewißheit die Existenz
der postulierten Atome, Moleküle, Schwarzen Löcher und gekrümmten
Räume "beweisen" könnte. Dabei ist es wenig hilfreich darauf zu
verweisen, daß naturwissenschaftliche Theorien im Experiment geprüft
werden könnten. Experimente sind nicht weniger im Rahmen von
"Grenzüberschreitungen" zu interpretieren als Naturbeobachtungen
in historischen Kontexten, weil natürlich auch sie nicht unmittelbar
feststellbare Erkenntnisgegenstände zum Thema haben. Wissenschaft ist
also gerade die Wissenschaft vom Unbeobachtbaren, das durch Theorienbildung
erschlossen wird. Daher kann der von den Autoren unternommene Versuch, gleichsam
aus der "Mausperspektive" zu argumentieren und zu behaupten, im
Evolutionsexperiment sei meist der Nachweis von "Verlustmutationen"
führbar, wenig überzeugen.
Eine nicht minder beliebte, gleichwohl aber ebenso unglückliche
Argumentationsstrategie ist die Überbetonung offener Fragen bezüglich
der Mechanismen und Detailabläufe der Evolution, um die Abstammungstheorie
infragezustellen und der Schöpfungshypothese Raum zu verschaffen (vgl.
z.B. S. 297). Es wird hier vergessen, daß die Evolutionstheorie
aus zwei Bereichen besteht, zum einen aus der Abstammungs- (Deszendenz-)
theorie, die die gemeinsame Abstammung aller Lebensformen von einer oder
einigen wenigen Stammarten lehrt, sowie aus verschiedenen Kausaltheorien,
die von den Ursachen der Evolution handeln. Beide Bereiche sind insofern
logisch unabhängig, als beispielsweise, selbst wenn sich alle Kausaltheorien
als falsch herausstellen würden, nicht folgte, daß damit die
Deszendenztheorie falsch wäre. Daher können die Autoren aus der
Feststellung, daß dieser Mechanismus oder jener Entwicklungsschritt
noch nicht gelöst oder aber unzureichend zur Erklärung dieser oder
jener Anpassung sei, die Abstammungstheorie nicht infragestellen, für
die ja unabhängig von der Ursachenfrage eine Unzahl an Belegen spricht.
Ungeachtet der methodologischen Fragwürdigkeit des Buches werden immerhin
die evolutionstheoretischen Konzepte und Forschungsergebnisse im wesentlichen
kompetent beschrieben. Eine Ausnahme bilden die Kapitel über die fossilen
Übergangsformen. So zeigt beispielsweise die Behauptung, daß
die mosaikartige Verteilung der Merkmale nicht den Erwartungen an eine
evolutionäre Übergangsform entspräche sowie mit einer
kontinuierlich verlaufenden Evolution nicht in Einklang stünde
(vgl. z.B. S. 244), daß die
Autoren weder die phylogenetische Systematik noch das Konzept der Artspaltung
hinreichend verstanden haben. Die bei
Archaeopteryx erhobene Forderung, Übergangsformen müßten
in allen Charakteren eine Mittelstellung zwischen den zu
überbrückenden Organismengruppen einnehmen (vgl. S 244, das
Zitat von de BEER) und "eine langsame Veränderung der einzelnen
Merkmale bezeug(en)" (ebd.), haben schon MAYR und REMANE vor
über 40 Jahren zurückgewiesen, weil Artspaltung und
die unterschiedlichen Evolutionsgeschwindigkeiten der Merkmale gerade den
Mosaikmodus der Evolution bedingen.
Schließlich erweist sich das im Buch gebrauchte Konzept von einer
Übergangsform (vgl. z. B. S. 243 f.) als ein Relikt aus der
traditionellen Systematik, in der es noch so etwas wie typologisch
voneinander abgekoppelte Großgruppen ("Typen") und hierarchische Kategorien
(wie Gattungen, Familien, Ordnungen, Klassen etc.) gab, die es zu
überbrücken galt. In der heute vorherrschenden
Kladistik gibt es solche Kategorien und Typen gar nicht mehr, sondern
nur noch feinverästelte Verzweigungsschemata. Bereits HEBERER
hatte darauf hingewiesen, daß man sich nach der Einordnung der Arten
in die "Kunstgebilde der Typenlehre" nicht zu wundern braucht, daß
die Übergangsformen ausgerechnet bei den Generationenfolgen zwischen
diesen Bauplänen fehlen. Insgesamt
erweist sich, wie zahlreiche Kenner der phylogenetischen Systematik betonen,
die traditionelle Vorstellung von der Beschaffenheit einer
Übergangsform als nicht mehr haltbar.
Ein Paradebeispiel in der antievolutionistischen Diskussion verkörpert
auch das Infragestellen der Entstehung bestimmter Proteine oder komplexer
Organe aus Wahrscheinlichkeitsgründen. Die
Autoren bemühen dazu als Beispiel den "Bakterienmotor" von Escherichia
coli, verleihen den Strukturen eine mathematische
Präzision und weisen nach, daß die Wahrscheinlichkeit für
die Entstehung der fraglichen Merkmale extrem klein sei (vgl. S. 128
ff.). Dieses Argument erweist sich allerdings schon deshalb
als fehlerhaft, weil sich praktisch jedes beliebige Ereignis im Nachhinein
außerordentlich unwahrscheinlich machen ließe. Zudem wird
übersehen, daß die Zahl der Alternativen, um ein System
"selektionspositiv" weiterzuentwickeln, gar nicht abgeschätzt werden
kann. Die allgemeinen Randbedingungen, unter denen sich die Umwandlung
von Merkmalen vollzogen hat, sind heute noch kaum bekannt. Auf Nichtwissen
läßt sich aber keine Wahrscheinlichkeitsanalyse begründen.
Selbst wenn der geneigte Leser von den fragwürdigen fachlichen und
wissenschaftstheoretischen Gesichtspunkten abzusehen gewillt wäre,
käme er jedoch kaum umhin festzustellen, daß sich der wohl
größe Irrtum im Buche in der originären Zielsetzung der Autoren
niederschlägt. Die Evolutionskritik kann im Rahmen der Schöpfungsidee
nur dann überhaupt einen Sinn machen, wenn die vermeintliche
Fragwürdigkeit des Evolutionskonzepts in Argumente für die
Schöpfungsvorstellung umgemünzt werden. Selbst wenn es den Autoren
aber gelungen wäre, die Abstammungshypothese zu widerlegen, hielten
sie kein Argument in Händen, das die Idee von dem "intelligenten
Programmierer" evident erscheinen ließe. Anstelle der
Schöpfungsalternative könnten nämlich auch andere Modelle
treten, so daß man aus der Falschheit einer Theorie nicht automatisch
auf die Richtigkeit einer konkurrierenden schließen darf.
Das zentrale Problem der Schöpfungshypothese (als Kernpostulat aller
Schöpfungstheorien) gründet in ihrer prinzipiellen Nichtwiderlegbarkeit
durch beobachtbare Sachverhalte. Mit der Schöpfungshypothese kann man
selbst höchst gegensätzliche Beobachtungen (wie die Ähnlichkeit
und die vollkommene Unähnlichkeit von Arten) gleichermaßen gut
erklären. Eine Theorie oder Hypothese, die jedoch alles erklärt,
erklärt nichts. Man bekommt demzufolge durch keine spezifische Beobachtung
einen wirklichen Hinweis auf die Existenz eines Schöpfers. Dieses
methodologische Dilemma ist der Hauptgrund für die heuristische
Unfruchtbarkeit und Unwissenschaftlichkeit der Schöpfungsvorstellung.
Im Gegensatz zur Abstammungshypothese der Biologie kann es prinzipiell nicht
gelingen, das Schöpfungspostulat durch Beobachtungen zu bereichern,
weshalb die Schöpfungstheoretiker auf die Destruktion der transspezifischen
Evolutionsidee ausweichen müssen. Vor dem Hintergrund all des Gesagten
nimmt es nicht wunder, daß Junkers und Scherers Buch weder die
evolutionäre Abstammungshypothese überzeugend infragestellen konnte
noch zur Klärung der Frage, ob denn ein Schöpfer existiert, einen
profunden Beitrag hat leisten können.
Eine umfassende Detailkritik zu Junker/Scherer findet sich in dem Essay:
Die
Evolutionstheorie und der moderne Antievolutionismus
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update:
21.10.07
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© by Martin Neukamm, 03.04.2002