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Einführung: Wissenschaft und Glaube

 Vorwort              

Das Thema Evolution durchdringt heute alle Teilgebiete der Biowissenschaften. Blendet man diesen historischen Aspekt aus, so zerfällt die Biologie in Fragmente, die keinen zusammenhängenden Sinn mehr ergeben. Nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland werden die Evolutionsbiologen immer wieder in eine Verteidigungsposition versetzt. Wir müssen den Gegenstand unserer Forschungs- und Lehraktivitäten vor Angriffen aus dem christlich-konservativen Lager rechtfertigen und die Tatsache Evolution immer wieder aufs Neue betonen.

Herr Neukamm hat mit dieser Internetseite wertvolles Material zusammengetragen, von dem alle jene profitieren werden, die an objektiver Sachinformation zum Fragenkomplex Evolution/Kreation interessiert sind. Als Ingenieur ist er in gewisser Weise ein neutraler "Outsider", dem man keine einseitige Sicht der Dinge vorhalten kann. Die Beiträge und Analysen zeichnen sich durch enormes Fachwissen und ausgewogene Darlegungen aus. Ich wünsche dieser Homepage eine weite Verbreitung.

Prof. Dr. U. Kutschera, Fachbereich Biologie, Universität Kassel, im Februar 2003

                                                                                                                      

Weshalb die Auseinandersetzung mit dem Kreationismus notwendig erscheint

Die Erkenntnis, daß Tier- und Pflanzenarten einander ähneln und Übergänge zwischen den Lebensformen existieren, ist wahrscheinlich so alt wie die Menschheit selbst und fand schon in die Gedankenwelt der alten Griechen Eingang. Diese Feststellung fand später im Kontinuitätsprinzip, das auf LEIBNIZ zurückgeht, seinen Niederschlag, welches eine übergangslose Kontinuität der Formen annimmt ("natura non facit saltum"). Basierend auf den großen Vordenkern der Antike und dem Datenmaterial, das im Laufe der Zeit durch die verschiedenen Forschungsrichtungen aufgedeckt wurde, keimten schon im 18. Jahrhundert Evolutionsvorstellungen auf, und selbst LINNE, der als konsequenter Verfechter des Konstanzprinzips der Arten gilt, fand auf anderen Wegen zur Bejahung einer Evolution (JAHN et al., 1982, S. 256 f.)

Erst mit DARWIN war jedoch die Zeit vollends reif für den Durchbruch des Evolutionsgedankens, weil er mit seiner Selektionstheorie einen Evolutionsmechanismus präsentieren und die Deszendenzlehre anhand einer Fülle an Daten untermauern konnte. Die ursprüngliche Theorie wurde im Laufe der Zeit zur Sythetischen Theorie der Evolution ausgebaut, die Beiträge aus fast allen biologischen Disziplinen in sich vereinigt. Mit der Formulierung der Systemtheorie der Evolution (RIEDL, 1975, 1990 u.a.) und der Synergetischen Theorie der Evolution (LORENZEN, 1988) findet diese Entwicklung einen vorläufigen Abschluß.

Natürlich ist es wenig verwunderlich, daß dem evolutionstheoretischen Entwicklungsgedanken bis heute (aus zumeist religiös-fundamentalistischen Gründen) ein erheblicher Widerstand entgegenbrandet, wird doch mit der evolutionären Entwicklungsidee stets auch das Selbstverständnis des Menschens berührt. Die (im weitesten Sinne) als Kreationismus(1) bezeichnete Gruppierung hat zum Ziel, anstelle der wissenschaftlichen Entstehungstheorie verschiedene Schöpfungsvorstellungen im Wissenschaftsgefüge zu etablieren, weil geglaubt wird, mit der naturalistischen Evolutionstheorie stehe die Religion insgesamt zur Disposition.

Es ist nun im Interesse der Wissenschaft angebracht, die Argumente kreationistisch motivierter Biologen kritisch zu durchleuchten und zu erörtern, weshalb eine Schöpfungstheorie keine wissenschaftliche Alternative zur Evolutionstheorie darstellen kann. Dies geschieht nicht etwa deshalb, weil uns der Glaube an eine transnaturale Schöpferkraft mißfiele oder gar, weil wir deren Existenz widerlegen wollten (diese Aufgabe fällt definitiv nicht den Bereich der Wissenschaft). Die Frage, ob ein Schöpfer existiert, ist in diesem Kontext schlichtweg belanglos, und der weltimmanente Naturalismus, der allen Naturwissenschaften zugrundeliegt, ist kein Atheismus in dem Sinne, daß er die Existenz außerweltlicher Faktoren grundsätzlich bestritte! Auch die Evolutionstheorie, das muß in aller Deutlichkeit festgestellt werden, bestreitet nicht die Existenz eines Schöpfers, ist doch auch die Zahl derer, die an Evolution und Schöpfung glauben, unabschätzbar groß. (2) Einzig und allein die intellektuelle Gefahr, die aus dem Widererstarken der fundamentalistischen Strömungen erwächst, erzwingt eine kritische Auseinandersetzung, denn deren Ziel besteht darin, wissenschaftliche Theorien aufgrund von Glaubensinhalten zu revidieren und die Kritik unter dem Deckmantel der Wissenschaft zu präsentieren. Diesen Motiven Bewegung gilt es aus zweierlei Gründen Widerstand entgegenzusetzen:

Zum einen stellt unser gegenwärtiger Erkenntnisstand ein Allgemeingut dar, das wir nicht leichtfertig aufs Spiel setzen dürfen. Da Antievolutionisten (Kreationisten im weiteren Sinne) stets konterrevolutionär in Erscheinung treten, drohen die Einsichten, die uns die modernen Naturwissenschaften in die Welt gewähren, schleichend im Obskurantismus zu zerfasern. Wenn wir mit anderen Worten irgendeine wissenschaftliche Theorie gegen die Schöpfungsthese eintauschten, könnten wir die revolutionären Einsichten und mit dazuhin auch die Methodenlehre der Naturwissenschaften abschreiben.

Andererseits beinflußt der allgemeine Wissenshintergrund, den uns die Naturwissenschaften vermitteln, stets auch unsere Weltsicht, Denk- und Handlungsweisen in einem nicht unerheblichen Maß. Es ist kein Zufall, daß just mit der Aufklärung und Renaissance der Neuzeit (als die Erkenntnis in unser Bewußtsein eindrang, daß wir für unser Tun und Handeln selbst verantwortlich sind und keine götterartige Wesenheit in unser Leben eingreift) das absolutistische Herrschaftssystem, das auf einer gottgewollten Ordnung gründete, allmählich den modernen westlichen Demokratien wich. Parallel dazu fanden auch die Hexenverbrennungen, Zwangschristianisierungen sowie der finstere Aberglaube des Mittelalters ihr Ende.

Selbstredend war das Betreiben von Technik und Naturwissenschaft, deren Erbe wir heute wie selbstverständlich antreten, von deren Fortschritt wir profitieren und deren revolutionäre Erkenntnisse wir mit intellektuellem Hochgenuß in uns aufsaugen, erst von dem Moment an möglich, als wir Zug um Zug das göttlich-supernaturalistische Weltbild hinter uns ließen und bereit waren, den Naturalismus als Grundlage aller Wissenschaften zu akzeptieren. Wir leben heute sozusagen von den Zinsen eines Kapitals, das andere in Jahrhunderten der Auseinandersetzung mit religiösen Fundamentalisten erstritten haben. Um so kurioser erscheint es, wenn selbst einige renommierte Wissenschaftler zu den Kritikern der Evolutionstheorie gehören, heute wieder das Treiben einer transnaturalen "Schöpfungswissenschaft" einfordern und in einen längst überwunden geglaubten, wissenschaftshistorischen Atavismus zurückfallen.

Obgleich deren Thesen für die Wissenschaft vollkommen belanglos sind, zwingt uns das Renommee der evolutionskritischen Verfasser bzw. deren Status als promovierte Biologen und Universitätsprofessoren dazu, diesen Werken Beachtung zu schenken und die in ihnen propagierte Thesen zu widerlegen. Denn es ist bis in weite Kreise der Bevölkerung die Kunde gedrungen, daß hochgeachtete Biologen die Evolutionstheorie ablehnen. Jeder denkt sich: Ein promovierter Biologe lehnt die Evolutionstheorie ab, also muß er ernste Sachverhalte gegen sie einzuwenden haben. Vor diesem Hintergrund ist es nicht überraschend, daß (nach einer jünsten Umfrage) immerhin rund 20% aller Deutschen, Schweizer und Österreiche die Evolutionslehre ablehnen und sich statt dessen am Schöpfungstext orientieren.

Das Publikum ist dabei nur selten imstande zu erkennen, daß der Kreationismus weniger sachliche als vielmehr methodische Einwände gegen die Evolutionstheorie vorzubringen hat, die jedoch auf Kriegsfuß mit der Methodologie der Naturwissenschaften insgesamt stehen und sich daher von den Einschätzungen der Fachwelt grundlegend unterscheiden. Den Unterschied zwischen methodologischer und sachlicher Gegnerschaft zu durchzudenken, wird man den wenigsten Lesern abverlangen können. Denn, so fragte schon der renommierte Evolutionsbiologe TSCHULOK vor 80 Jahren (im Hinblick auf die Attacke des Universitätsprofessoren FLEISCHMANNs gegen den Evolutionsgedanken), "wie soll man weiteren Kreisen so viel methodologische Einsicht beibringen, wie wir sie bei den Antievolutionisten selbst vermissen?" (TSCHULOK, 1922, S. 273). Diesen Umstand gilt es zu ändern. Dazu einen bescheidenen Beitrag zu leisten, das ist das Ziel dieser Arbeit.

                                                                                                 

Wie und in welcher Reihenfolge sind die Kapitel dieser Arbeit zu lesen?

Ursprünglich war diese Arbeit als Rezension des Buches "Evolution - ein kritisches Lehrbuch" der Antievolutionisten JUNKER und SCHERER gedacht. Es finden sich deshalb in diesem Werk viele Zitate aus diesem Lehrbuch wieder. Je tiefer ich mich jedoch mit der Argumentation im Kreationismus beschäftigte, desto mehr kam ich zu der Überzeugung, daß es sinnvoller wäre, eine Arbeit zu verfassen, welche die wichtigsten Argumente gegen die Wissenschaftlichkeit der Schöpfungsthese abhandelt und den wissenschaftlichen Wert der Evolutionstheorie sowie deren Belege erörtert. Daher wurden die Kapitel nochmals umfassend überarbeitet, sukzessive weitere Stellungnahmen aus der deutschen Kreationistenszene (hauptsächlich von LÖNNIG aber auch von GISH, SCHEVEN, ILLIES, NACHTWEY und KAHLE) übernommen sowie kritisch aus Sicht der Wissenschaft beleuchtet.

Weil die hier vorliegende Arbeit recht umfangreich ist und sich der Leser oft nur für einige spezielle Fragen interessiert, habe ich alle Kapitel und die untergeordneten Abschnitte so verfaßt, daß sie grundsätzlich unabhängig voneinander gelesen werden können. Zur Orientierung an den entsprechenden Themen dient das Inhaltsverzeichnis, auf das am Ende jeden Kapitels ein Link verweist. Dort können Sie - entsprechend Ihren Interessen - die jeweiligen Kapitel anwählen und sich die von ihnen gewünschten Abschnitte heraussuchen.

Als Einstieg empfehle ich dem Leser in jedem Falle, die Lektüre mit Kapitel 1 zu beginnen, in welchem dezidiert erläutert wird, weshalb eine Schöpfungstheorie keine wissenschaftliche Alternative zur Evolutionstheorie sein kann. Außerdem werden dort grundlegende wissenschaftstheoretische Irrtümer des Antievolutionismus ausgeräumt, die in praktisch jede antievolutionistische Diskussion hineinspielen. Es wird ausführlich geschildert, weshalb die Evolutionstheorie nach allgemein akzeptieren methodologischen Regeln einen durchgehend naturwissenschaftlichen Charakter besitzt und warum die Abstammungshypothese als sehr gut bestätigt gilt. Sie können jedoch auch mit Kapitel 6 beginnen, in dem ich die Struktur der Argumentation im Kreationismus kurz und knapp nach den Regeln der informalen Logik geordnet habe.

Wer sich für die Belege zugunsten der Evolutionstheorie interessiert, der sei auf Kapitel 5 verwiesen; eine Diskussion zu der Frage nach den Wahrscheinlichkeiten, die oft im Zentrum des Antievolutionismus steht, finden Sie in Kapitel 4. Allgemeine antievolutionistische Einwände gegen die phylogenetische Systematik und die Beweiskraft des Fossilbefunds sowie zur Frage der Übergangsformenen werden schließlich in Kapitel 2 besprochen.

In Kapitel 3 werden speziellere Fragen diskutiert, die sich um das Problem der Entstehung neuer Organisationstypen ("Makroevolution") drehen. Dort finden sich relativ diffizile, jedoch interessante Aspekte zur Systemtheorie, anhand deren aufgezeigt werden soll, daß die Entstehung neuer Organsiationstypen - entgegen den Behauptungen im Antievolutionismus - nicht "völlig unerklärt" im Raume steht.

                               

Danksagung

An dieser Stelle möchte ich Herrn Dr. Martin Mahner für die fachliche Unterstützung ganz herzlich danken, ohne die meine Arbeit in dieser Form nicht zustandegekommen wäre. Herr Mahner hat mir die wissenschaftstheoretischen Zusammenhänge bzw. das saubere methodologische Fundament der Wissenschaft gelehrt und mir wertvolle Ratschläge gegeben, die insbesondere Kapitel I und II Eingang gefunden haben. Einige Argumente (insbesondere in Kapitel 6) wurden seinem Buch entliehen, das leider nur noch über die Universitätsbibliotheken erhältlich ist (vgl. MAHNER, 1986). Ferner hat er einige Ungenauigkeiten angemahnt, die ich in meiner überarbeiteten Fassung berücksichtigt habe.

Mein weiterer Dank gilt Herrn Prof. Dr. Ulrich Kutschera, der mir viele Artikel und Beiträge zum Thema Evolution und Kreationismus zukommen läßt und mich in meiner Aufklärungsarbeit hilfreich unterstützt. Dabei beziehe von ihm auch neueste Erkenntnisse und Informationen über die deutsche Kreationistenszene.      

Auch Thomas Gaßner sei gedankt, der das zweite Kapitel zur phylogenetischen Systematik kritisch durchgesehen und manch wertvolles Argument zur Kladistik bzw. zur "Frage der fehlenden Übergangsformen" beigesteuert hat.

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Fußnoten:

(1) Der Leser wird bemerken, daß ich die Begriffe Antievolutionismus und Kreationismus gelegentlich synonym verwende, obwohl sie es streng genommen nicht sind. Evolutionskritik wird nämlich in Gestalt unterschiedlicher Schöpfungslehren vertreten, hauptsächlich in Form des Kreationismus (im engeren Sinne) und der "Intelligent-Design-Theorien". Der Kreationismus (im engeren Wortsinn) hält an der wortwörtlichen Auslegung der Bibel fest, vertritt eine göttliche 6-Tage-Schöpfung und behauptet, Weltall und Erde seien erst wenige Tausend Jahre alt. Die "Intelligent-Design-Theorien" sind dagegen eine "mildere" Form des Kreationismus und verlagern den Schöpfungsakt weiter in die Vergangenheit zurück. Desweiteren machen sie explizit keine Angaben über die Natur des Schöpfers. Es wird anerkannt, daß die Schöpfungsarten ("Grundtypen") nicht synchron erschaffen wurden, wie der Kreationismus behauptet, sondern - im Einklang mit den paläontologischen Formenreihen und radiometrischen Datierungen  - sukzessive entstanden sind. Insgesamt wird versucht, die Erkenntnisstrategie der Wissenschaft gegen einen heuristisch fragwürdigen "god of gaps" einzutauschen.

Desweiteren herrschen auch paraevolutionäre Vorstellungen vor, die immerhin eingestehen, daß es eine Evolution gibt. Es wird der Evolution jedoch eine teleologische Note verliehen und beispielsweise behauptet, daß ein Kreator die Verzweigungen im Stammbaum des Lebens bedingt haben müsse. Eine interessante Einführung über diese und weitere Vorstellungen sowie Untergruppierungen im Kreationismus findet sich beispielsweise in MAHNER, 1986.

(2) Es muß daher die Frage erlaubt sein, ob sich die Theologie nicht von vorn herein ins Abseits manövriert, wenn sie ihre Rolle in der wissenschaftlichen Fundamentalopposition sucht und naturalistische "Erklärungenlücken" durch einen Schöpfer ausfüllt, dessen Wirkungssphäre als Folge des Wissensfortschritts immer kleiner wird oder ob es nicht klüger wäre, wissenschaftliche Erkenntnisse anzuerkennen, gleichsam einen "theistischen Naturalismus" zu vertreten.

            

Zweite, völlig neubearbeitete Fassung, (c) 22.12.2001                                                           

Last update: 18.07.03                                  

               

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